Anden, liefern einleuchtende Beweise für die Richtigkeit dieses Satzes.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachsen. Große Bäume aus der Familie der Mimosen, Ceiba- und Feigenbäume beschatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur sehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgestürzten Baum- stämmen und Schmarotzergewächsen, mit dichtem Rasenfilz überzogen, und gab somit die strahlende Wärme nicht so leicht von sich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen- glut nicht geschützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollen- baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüsse des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht sich nur schwer einen Begriff davon, welch ungeheure Wassermassen durch die Verdunstung in der heißen Zone aufgesogen werden, und vollends in einem Thale, das von steil abfallenden Bergen umgeben ist, wo gegen Abend der Seewind und die nieder- gehenden Luftströmungen auftreten, und dessen Boden ganz flach, wie vom Wasser geebnet ist. Wir haben schon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura, Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrscht, der stärksten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt. Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua ist ungefähr 25,5°; die hygrometrischen Beobachtungen er- gaben mir für den Monat Februar im Durchschnitte aus Tag und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an sich haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen sehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte, so kann man über diese klimatischen Verhältnisse nur urteilen, wenn man verschiedene Orte in derselben Zone vergleicht. Nun ist in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht regnet, und wo ich zu verschiedenen Stunden bei Tage und bei Nacht sehr viele hygrometrische Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86°, entsprechend der mittleren Temperatur von 27,7°. Rechnet man die Regen- monate ein, das heißt schätzt man den Unterschied zwischen der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahres, wie man denselben in anderen Teilen des tropischen Amerikas beobachtet, so ergibt sich für die Thäler
Anden, liefern einleuchtende Beweiſe für die Richtigkeit dieſes Satzes.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald bewachſen. Große Bäume aus der Familie der Mimoſen, Ceiba- und Feigenbäume beſchatteten die Ufer des Sees und verbreiteten Kühlung. Die damals nur ſehr dünn bevölkerte Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgeſtürzten Baum- ſtämmen und Schmarotzergewächſen, mit dichtem Raſenfilz überzogen, und gab ſomit die ſtrahlende Wärme nicht ſo leicht von ſich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen- glut nicht geſchützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume, mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollen- baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüſſe des Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht ſich nur ſchwer einen Begriff davon, welch ungeheure Waſſermaſſen durch die Verdunſtung in der heißen Zone aufgeſogen werden, und vollends in einem Thale, das von ſteil abfallenden Bergen umgeben iſt, wo gegen Abend der Seewind und die nieder- gehenden Luftſtrömungen auftreten, und deſſen Boden ganz flach, wie vom Waſſer geebnet iſt. Wir haben ſchon oben erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura, Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrſcht, der ſtärkſten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt. Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua iſt ungefähr 25,5°; die hygrometriſchen Beobachtungen er- gaben mir für den Monat Februar im Durchſchnitte aus Tag und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an ſich haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter den Tropen ſehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte, ſo kann man über dieſe klimatiſchen Verhältniſſe nur urteilen, wenn man verſchiedene Orte in derſelben Zone vergleicht. Nun iſt in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht regnet, und wo ich zu verſchiedenen Stunden bei Tage und bei Nacht ſehr viele hygrometriſche Beobachtungen gemacht, die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86°, entſprechend der mittleren Temperatur von 27,7°. Rechnet man die Regen- monate ein, das heißt ſchätzt man den Unterſchied zwiſchen der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des ganzen Jahres, wie man denſelben in anderen Teilen des tropiſchen Amerikas beobachtet, ſo ergibt ſich für die Thäler
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0216"n="208"/>
Anden, liefern einleuchtende Beweiſe für die Richtigkeit dieſes<lb/>
Satzes.</p><lb/><p>Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die<lb/>
Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald<lb/>
bewachſen. Große Bäume aus der Familie der Mimoſen,<lb/>
Ceiba- und Feigenbäume beſchatteten die Ufer des Sees und<lb/>
verbreiteten Kühlung. Die damals nur ſehr dünn bevölkerte<lb/>
Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgeſtürzten Baum-<lb/>ſtämmen und Schmarotzergewächſen, mit dichtem Raſenfilz<lb/>
überzogen, und gab ſomit die ſtrahlende Wärme nicht ſo leicht<lb/>
von ſich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen-<lb/>
glut nicht geſchützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume,<lb/>
mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollen-<lb/>
baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüſſe des<lb/>
Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht ſich nur ſchwer<lb/>
einen Begriff davon, welch ungeheure Waſſermaſſen durch die<lb/>
Verdunſtung in der heißen Zone aufgeſogen werden, und<lb/>
vollends in einem Thale, das von ſteil abfallenden Bergen<lb/>
umgeben iſt, wo gegen Abend der Seewind und die nieder-<lb/>
gehenden Luftſtrömungen auftreten, und deſſen Boden ganz<lb/>
flach, wie vom Waſſer geebnet iſt. Wir haben ſchon oben<lb/>
erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura,<lb/>
Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrſcht,<lb/>
der ſtärkſten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt.<lb/>
Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua<lb/>
iſt ungefähr 25,5°; die hygrometriſchen Beobachtungen er-<lb/>
gaben mir für den Monat Februar im Durchſchnitte aus Tag<lb/>
und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große<lb/>
Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an ſich<lb/>
haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter<lb/>
den Tropen ſehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte,<lb/>ſo kann man über dieſe klimatiſchen Verhältniſſe nur urteilen,<lb/>
wenn man verſchiedene Orte in derſelben Zone vergleicht.<lb/>
Nun iſt in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht<lb/>
regnet, und wo ich zu verſchiedenen Stunden bei Tage und<lb/>
bei Nacht ſehr viele hygrometriſche Beobachtungen gemacht,<lb/>
die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86°, entſprechend der<lb/>
mittleren Temperatur von 27,7°. Rechnet man die Regen-<lb/>
monate ein, das heißt ſchätzt man den Unterſchied zwiſchen<lb/>
der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des<lb/>
ganzen Jahres, wie man denſelben in anderen Teilen des<lb/>
tropiſchen Amerikas beobachtet, ſo ergibt ſich für die Thäler<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[208/0216]
Anden, liefern einleuchtende Beweiſe für die Richtigkeit dieſes
Satzes.
Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts waren die
Berge, in denen die Thäler von Aragua liegen, mit Wald
bewachſen. Große Bäume aus der Familie der Mimoſen,
Ceiba- und Feigenbäume beſchatteten die Ufer des Sees und
verbreiteten Kühlung. Die damals nur ſehr dünn bevölkerte
Ebene war voll Strauchwerk, bedeckt mit umgeſtürzten Baum-
ſtämmen und Schmarotzergewächſen, mit dichtem Raſenfilz
überzogen, und gab ſomit die ſtrahlende Wärme nicht ſo leicht
von ſich als der beackerte und eben deshalb gegen die Sonnen-
glut nicht geſchützte Boden. Mit der Ausrodung der Bäume,
mit der Ausdehnung des Zucker-, Indigo- und Baumwollen-
baues nahmen die Quellen und alle natürlichen Zuflüſſe des
Sees von Jahr zu Jahr ab. Man macht ſich nur ſchwer
einen Begriff davon, welch ungeheure Waſſermaſſen durch die
Verdunſtung in der heißen Zone aufgeſogen werden, und
vollends in einem Thale, das von ſteil abfallenden Bergen
umgeben iſt, wo gegen Abend der Seewind und die nieder-
gehenden Luftſtrömungen auftreten, und deſſen Boden ganz
flach, wie vom Waſſer geebnet iſt. Wir haben ſchon oben
erwähnt, daß die Wärme, welche das ganze Jahr in Cura,
Guacara, Nueva Valencia und an den Ufern des Sees herrſcht,
der ſtärkſten Sommerhitze in Neapel und Sizilien gleichkommt.
Die mittlere Temperatur der Luft in den Thälern von Aragua
iſt ungefähr 25,5°; die hygrometriſchen Beobachtungen er-
gaben mir für den Monat Februar im Durchſchnitte aus Tag
und Nacht 71,4° am Haarhygrometer. Da die Worte: große
Trockenheit oder große Feuchtigkeit keine Bedeutung an ſich
haben, und da eine Luft, die man in den Niederungen unter
den Tropen ſehr trocken nennt, in Europa für feucht gälte,
ſo kann man über dieſe klimatiſchen Verhältniſſe nur urteilen,
wenn man verſchiedene Orte in derſelben Zone vergleicht.
Nun iſt in Cumana, wo es oft ein ganzes Jahr lang nicht
regnet, und wo ich zu verſchiedenen Stunden bei Tage und
bei Nacht ſehr viele hygrometriſche Beobachtungen gemacht,
die mittlere Feuchtigkeit der Luft gleich 86°, entſprechend der
mittleren Temperatur von 27,7°. Rechnet man die Regen-
monate ein, das heißt ſchätzt man den Unterſchied zwiſchen
der mittleren Feuchtigkeit der trockenen Monate und der des
ganzen Jahres, wie man denſelben in anderen Teilen des
tropiſchen Amerikas beobachtet, ſo ergibt ſich für die Thäler
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/216>, abgerufen am 06.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.