am Westende des Sees der Cerrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir besuchten zwei noch ganz von Wasser umgebene Inseln und fanden unter dem Gesträuche auf kleinen Ebenen, 8 bis 12, sogar 15 m über dem jetzigen Seespiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einst die Wellen hier abgesetzt. Auf allen diesen Inseln begegnet man den unzweideutigsten Spuren vom allmählichen Fallen des Wassers. Noch mehr, und diese Erscheinung wird von der Bevölkerung als ein Wunder angesehen: im Jahre 1796 erschienen drei neue Inseln östlich von der Insel Caiguire, in derselben Rich- tung wie die Inseln Burro, Otama und Zorro. Diese neuen Inseln, die beim Volke Los nuevos Pennones oder Las Apa- recidas heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener Oberfläche. Sie waren im Jahre 1800 bereits über 1 m höher als der mittlere Wasserstand.
Wie wir zu Anfang dieses Abschnittes bemerkt, bildet der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexiko, den Mittelpunkt eines kleinen Systemes von Flüssen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung steht. Die meisten dieser Gewässer können nur Bäche heißen; es sind ihrer zwölf bis vierzehn. Die Einwohner wissen wenig davon, was die Verdunstung leistet, und glauben daher schon lange, der See habe einen unterirdischen Abzug, durch den ebensoviel ab- fließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen lassen diesen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen sollen, in Ver- bindung stehen; andere nehmen an, das Wasser fließe durch einen schiefen Kanal in das Meer. Dergleichen kühne Hypo- thesen über den Zusammenhang zwischen zwei benachbarten Wasserbecken hat die Einbildungskraft des Volkes wie die der Physiker in allen Erdstrichen ausgeheckt; denn letztere, wenn sie es sich auch nicht eingestehen, setzen nicht selten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wissenschaft um. In der Neuen Welt wie am Ufer des Kaspischen Meeres hört man von unterirdischen Schlünden und Kanälen sprechen, ob- gleich der See von Tacarigua 412 m über und die Kaspische See 105 m unter dem Meeresspiegel liegt, und so gut man auch weiß, daß Flüssigkeiten, die seitlich miteinander in Ver- bindung stehen, sich in dasselbe Niveau setzen.
Einerseits die Verringerung der Masse der Zuflüsse, die seit einem halben Jahrhunderte infolge der Ausrodung der Wälder, der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaues eingetreten ist, andererseits die Verdunstung des Bodens und
am Weſtende des Sees der Cerrito de San Pedro, der Islote und der Caratapona. Wir beſuchten zwei noch ganz von Waſſer umgebene Inſeln und fanden unter dem Geſträuche auf kleinen Ebenen, 8 bis 12, ſogar 15 m über dem jetzigen Seeſpiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einſt die Wellen hier abgeſetzt. Auf allen dieſen Inſeln begegnet man den unzweideutigſten Spuren vom allmählichen Fallen des Waſſers. Noch mehr, und dieſe Erſcheinung wird von der Bevölkerung als ein Wunder angeſehen: im Jahre 1796 erſchienen drei neue Inſeln öſtlich von der Inſel Caiguire, in derſelben Rich- tung wie die Inſeln Burro, Otama und Zorro. Dieſe neuen Inſeln, die beim Volke Los nuevos Peñones oder Las Apa- recidas heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener Oberfläche. Sie waren im Jahre 1800 bereits über 1 m höher als der mittlere Waſſerſtand.
Wie wir zu Anfang dieſes Abſchnittes bemerkt, bildet der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexiko, den Mittelpunkt eines kleinen Syſtemes von Flüſſen, von denen keiner mit dem Meere in Verbindung ſteht. Die meiſten dieſer Gewäſſer können nur Bäche heißen; es ſind ihrer zwölf bis vierzehn. Die Einwohner wiſſen wenig davon, was die Verdunſtung leiſtet, und glauben daher ſchon lange, der See habe einen unterirdiſchen Abzug, durch den ebenſoviel ab- fließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen laſſen dieſen Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen ſollen, in Ver- bindung ſtehen; andere nehmen an, das Waſſer fließe durch einen ſchiefen Kanal in das Meer. Dergleichen kühne Hypo- theſen über den Zuſammenhang zwiſchen zwei benachbarten Waſſerbecken hat die Einbildungskraft des Volkes wie die der Phyſiker in allen Erdſtrichen ausgeheckt; denn letztere, wenn ſie es ſich auch nicht eingeſtehen, ſetzen nicht ſelten nur Volksmeinungen in die Sprache der Wiſſenſchaft um. In der Neuen Welt wie am Ufer des Kaſpiſchen Meeres hört man von unterirdiſchen Schlünden und Kanälen ſprechen, ob- gleich der See von Tacarigua 412 m über und die Kaspiſche See 105 m unter dem Meeresſpiegel liegt, und ſo gut man auch weiß, daß Flüſſigkeiten, die ſeitlich miteinander in Ver- bindung ſtehen, ſich in dasſelbe Niveau ſetzen.
Einerſeits die Verringerung der Maſſe der Zuflüſſe, die ſeit einem halben Jahrhunderte infolge der Ausrodung der Wälder, der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaues eingetreten iſt, andererſeits die Verdunſtung des Bodens und
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am Weſtende des Sees der Cerrito de San Pedro, der Islote
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Waſſer umgebene Inſeln und fanden unter dem Geſträuche
auf kleinen Ebenen, 8 bis 12, ſogar 15 m über dem jetzigen
Seeſpiegel, feinen Sand mit Heliciten, den einſt die Wellen
hier abgeſetzt. Auf allen dieſen Inſeln begegnet man den
unzweideutigſten Spuren vom allmählichen Fallen des Waſſers.
Noch mehr, und dieſe Erſcheinung wird von der Bevölkerung
als ein Wunder angeſehen: im Jahre 1796 erſchienen drei
neue Inſeln öſtlich von der Inſel Caiguire, in derſelben Rich-
tung wie die Inſeln Burro, Otama und Zorro. Dieſe neuen
Inſeln, die beim Volke Los nuevos Peñones oder Las Apa-
recidas heißen, bilden eine Art Untiefen mit völlig ebener
Oberfläche. Sie waren im Jahre 1800 bereits über 1 m
höher als der mittlere Waſſerſtand.
Wie wir zu Anfang dieſes Abſchnittes bemerkt, bildet
der See von Valencia, gleich den Seen im Thale von Mexiko,
den Mittelpunkt eines kleinen Syſtemes von Flüſſen, von
denen keiner mit dem Meere in Verbindung ſteht. Die meiſten
dieſer Gewäſſer können nur Bäche heißen; es ſind ihrer zwölf
bis vierzehn. Die Einwohner wiſſen wenig davon, was die
Verdunſtung leiſtet, und glauben daher ſchon lange, der See
habe einen unterirdiſchen Abzug, durch den ebenſoviel ab-
fließe, als die Bäche hereinbringen. Die einen laſſen dieſen
Abzug mit Höhlen, die in großer Tiefe liegen ſollen, in Ver-
bindung ſtehen; andere nehmen an, das Waſſer fließe durch
einen ſchiefen Kanal in das Meer. Dergleichen kühne Hypo-
theſen über den Zuſammenhang zwiſchen zwei benachbarten
Waſſerbecken hat die Einbildungskraft des Volkes wie die
der Phyſiker in allen Erdſtrichen ausgeheckt; denn letztere,
wenn ſie es ſich auch nicht eingeſtehen, ſetzen nicht ſelten nur
Volksmeinungen in die Sprache der Wiſſenſchaft um. In
der Neuen Welt wie am Ufer des Kaſpiſchen Meeres hört
man von unterirdiſchen Schlünden und Kanälen ſprechen, ob-
gleich der See von Tacarigua 412 m über und die Kaspiſche
See 105 m unter dem Meeresſpiegel liegt, und ſo gut man
auch weiß, daß Flüſſigkeiten, die ſeitlich miteinander in Ver-
bindung ſtehen, ſich in dasſelbe Niveau ſetzen.
Einerſeits die Verringerung der Maſſe der Zuflüſſe, die
ſeit einem halben Jahrhunderte infolge der Ausrodung der
Wälder, der Urbarmachung der Ebenen und des Indigobaues
eingetreten iſt, andererſeits die Verdunſtung des Bodens und
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/214>, abgerufen am 19.07.2024.
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