Kaum hatten wir solches angeordnet, so fing der Wind an stark von der See her zu blasen und der Thermometer stieg auf 12,5°. Es war ohne Zweifel ein aufsteigender Luft- strom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünste auflöste. Kaum zwei Minuten, so verschwanden die Wolken und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefsten Punkte der Einsenkung zwischen den Gipfeln bei einer kleinen Lache schlammigen Wassers. Hier wie auf den Antillen findet man sumpfige Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das be- waldete Gebirge die Wolken anzieht, sondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, infolge der Wärmestrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächse, der Wasserdunst verdichtet wird. Das Quecksilber stand auf 562 mm. Wir gingen jetzt gerade auf den östlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs hielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Helikonien umhauen, aber diese baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und standen nicht mehr so dicht. Die Gipfel der Silla selbst, wie schon öfter erwähnt, sind nur mit Gras und kleinen Befariasträuchern bewachsen. Aber nicht wegen ihrer Höhe sind sie so kahl; die Baumgrenze liegt in dieser Zone noch um 800 m höher; denn nach anderen Gebirgen zu schließen, befände sich diese Grenze hier erst in 3200 m Höhe. Große Bäume scheinen auf den beiden Felsgipfeln der Silla nur deshalb zu fehlen, weil der Boden so dürr und der Seewind so heftig ist, und die Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, so oft abbrennt.
Um auf den höchsten, östlichen Gipfel zu kommen, muß man so nahe als möglich an dem ungeheuren Absturz Cara- valleda und der Küste zu hingehen. Der Gneis hatte bisher sein blätteriges Gefüge und seine ursprüngliche Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufstiegen, ging er in Granit über. Wir brauchten drei Viertelstunden bis auf die Spitze der Pyramide. Dieses Stück des Weges ist keineswegs gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsstücke, auf die man den Fuß setzt, fest liegen. Der dem Gneis aufgelagerte Granit ist nicht regelmäßig geschichtet, sondern durch Spalten geteilt, die sich oft unter rechten Winkeln scheiden. Pris- matische, 30 cm breite, 4 m lange Blöcke ragen schief aus dem Boden hervor, und am Rande des Absturzes sieht es aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrunde hingen.
Kaum hatten wir ſolches angeordnet, ſo fing der Wind an ſtark von der See her zu blaſen und der Thermometer ſtieg auf 12,5°. Es war ohne Zweifel ein aufſteigender Luft- ſtrom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünſte auflöſte. Kaum zwei Minuten, ſo verſchwanden die Wolken und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefſten Punkte der Einſenkung zwiſchen den Gipfeln bei einer kleinen Lache ſchlammigen Waſſers. Hier wie auf den Antillen findet man ſumpfige Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das be- waldete Gebirge die Wolken anzieht, ſondern weil durch die Abkühlung bei Nacht, infolge der Wärmeſtrahlung des Bodens und des Parenchyms der Gewächſe, der Waſſerdunſt verdichtet wird. Das Queckſilber ſtand auf 562 mm. Wir gingen jetzt gerade auf den öſtlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs hielt uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch Helikonien umhauen, aber dieſe baumartigen Kräuter waren jetzt nicht mehr hoch und ſtanden nicht mehr ſo dicht. Die Gipfel der Silla ſelbſt, wie ſchon öfter erwähnt, ſind nur mit Gras und kleinen Befariaſträuchern bewachſen. Aber nicht wegen ihrer Höhe ſind ſie ſo kahl; die Baumgrenze liegt in dieſer Zone noch um 800 m höher; denn nach anderen Gebirgen zu ſchließen, befände ſich dieſe Grenze hier erſt in 3200 m Höhe. Große Bäume ſcheinen auf den beiden Felsgipfeln der Silla nur deshalb zu fehlen, weil der Boden ſo dürr und der Seewind ſo heftig iſt, und die Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, ſo oft abbrennt.
Um auf den höchſten, öſtlichen Gipfel zu kommen, muß man ſo nahe als möglich an dem ungeheuren Abſturz Cara- valleda und der Küſte zu hingehen. Der Gneis hatte bisher ſein blätteriges Gefüge und ſeine urſprüngliche Streichung behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufſtiegen, ging er in Granit über. Wir brauchten drei Viertelſtunden bis auf die Spitze der Pyramide. Dieſes Stück des Weges iſt keineswegs gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsſtücke, auf die man den Fuß ſetzt, feſt liegen. Der dem Gneis aufgelagerte Granit iſt nicht regelmäßig geſchichtet, ſondern durch Spalten geteilt, die ſich oft unter rechten Winkeln ſcheiden. Pris- matiſche, 30 cm breite, 4 m lange Blöcke ragen ſchief aus dem Boden hervor, und am Rande des Abſturzes ſieht es aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrunde hingen.
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Kaum hatten wir ſolches angeordnet, ſo fing der Wind
an ſtark von der See her zu blaſen und der Thermometer
ſtieg auf 12,5°. Es war ohne Zweifel ein aufſteigender Luft-
ſtrom, der die Temperatur erhöhte und damit die Dünſte
auflöſte. Kaum zwei Minuten, ſo verſchwanden die Wolken
und die beiden Gipfel der Silla lagen ganz auffallend nahe
vor uns. Wir öffneten den Barometer am tiefſten Punkte
der Einſenkung zwiſchen den Gipfeln bei einer kleinen Lache
ſchlammigen Waſſers. Hier wie auf den Antillen findet man
ſumpfige Stellen in bedeutenden Höhen, nicht weil das be-
waldete Gebirge die Wolken anzieht, ſondern weil durch die
Abkühlung bei Nacht, infolge der Wärmeſtrahlung des Bodens
und des Parenchyms der Gewächſe, der Waſſerdunſt verdichtet
wird. Das Queckſilber ſtand auf 562 mm. Wir gingen jetzt
gerade auf den öſtlichen Gipfel zu. Der Pflanzenwuchs hielt
uns nachgerade weniger auf; zwar mußte man immer noch
Helikonien umhauen, aber dieſe baumartigen Kräuter waren
jetzt nicht mehr hoch und ſtanden nicht mehr ſo dicht. Die
Gipfel der Silla ſelbſt, wie ſchon öfter erwähnt, ſind nur
mit Gras und kleinen Befariaſträuchern bewachſen. Aber
nicht wegen ihrer Höhe ſind ſie ſo kahl; die Baumgrenze
liegt in dieſer Zone noch um 800 m höher; denn nach
anderen Gebirgen zu ſchließen, befände ſich dieſe Grenze hier
erſt in 3200 m Höhe. Große Bäume ſcheinen auf den
beiden Felsgipfeln der Silla nur deshalb zu fehlen, weil der
Boden ſo dürr und der Seewind ſo heftig iſt, und die
Oberfläche, wie auf allen Bergen unter den Tropen, ſo oft
abbrennt.
Um auf den höchſten, öſtlichen Gipfel zu kommen, muß
man ſo nahe als möglich an dem ungeheuren Abſturz Cara-
valleda und der Küſte zu hingehen. Der Gneis hatte bisher
ſein blätteriges Gefüge und ſeine urſprüngliche Streichung
behalten; jetzt, da wir am Gipfel hinaufſtiegen, ging er in
Granit über. Wir brauchten drei Viertelſtunden bis auf die
Spitze der Pyramide. Dieſes Stück des Weges iſt keineswegs
gefährlich, wenn man nur prüft, ob die Felsſtücke, auf die
man den Fuß ſetzt, feſt liegen. Der dem Gneis aufgelagerte
Granit iſt nicht regelmäßig geſchichtet, ſondern durch Spalten
geteilt, die ſich oft unter rechten Winkeln ſcheiden. Pris-
matiſche, 30 cm breite, 4 m lange Blöcke ragen ſchief aus
dem Boden hervor, und am Rande des Abſturzes ſieht es
aus, als ob ungeheure Balken über dem Abgrunde hingen.
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/146>, abgerufen am 16.02.2025.
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