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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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wie kommt es, daß die Keime von Organismen, die sich im
Habitus und selbst im inneren Bau gleichen, sich in ungleichen
Abständen von den Polen und von der Meeresfläche überall
entwickeln, wo so weit entlegene Orte in der Temperatur
einigermaßen übereinkommen? Trotz des Einflusses des Luft-
druckes und der stärkeren oder geringeren Schwächung des
Lichtes auf die Lebensthätigkeit der Gewächse ist doch die un-
gleiche Verteilung der Wärme und die verschiedenen Jahres-
zeiten als die Haupttriebkraft der Vegetation anzusehen.

Der Arten, welche auf beiden Kontinenten und in beiden
Halbkugeln gleichmäßig vorkommen, sind lange nicht so viele,
als man nach den Angaben der ältesten Reisenden geglaubt
hatte. Auf den hohen Gebirgen des tropischen Amerikas kommen
allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter, Ranunkeln,
Mispeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer Physio-
gnomie mit den europäischen verwechseln könnte; sie sind aber
alle spezifisch von letzteren verschieden. Bringt aber auch die
Natur nicht dieselben Arten hervor, so wiederholt sie doch die
Gattungen. Nahe verwandte Arten kommen oft in unge-
heuren Entfernungen voneinander vor, in den Niederungen
des gemäßigten Erdstriches die einen, in den Alpenregionen
unter dem Aequator die anderen. Andere Male (und die
Silla von Caracas bietet ein auffallendes Beispiel hierfür) sind
nicht Arten europäischer Gattungen wie Kolonisten auf die
Berge der heißen Zone herübergekommen, es treten vielmehr
hier wie dort Gattungen derselben Zunft auf, die nach dem
Habitus nicht leicht zu unterscheiden sind und unter verschie-
denen Breiten einander ersetzen.

Von den Bergen von Neugranada, welche die Hochebene
von Bogota umgeben, bis zu den Bergen von Caracas sind
es über 900 km, und doch zeigt die Silla, der einzige hohe
Gipfel einer ziemlich niedrigen Bergkette, dieselbe merkwürdige
Zusammenstellung von Befarien mit purpurroten Blüten, An-
dromeden, Gaultherien, Myrtillen, Uvas camaronas, Nertera
und Aralien mit wolligen Blättern, wie sie für die Vegetation
der Paramos auf den hohen Kordilleren von Santa Fe
charakteristisch ist. Wir fanden dieselbe Thibaudia glandulosa
am Eingang der Hochebene von Bogota und im Pejual auf
der Silla. Die Küstenkette von Caracas hängt unzweifelhaft
(über den Torito, die Palomera, Tocuyo, die Paramos de
las Rosas, Bocono und Niquitao) mit den hohen Kordilleren
von Merida, Pamplona und Santa Fe zusammen; aber von

wie kommt es, daß die Keime von Organismen, die ſich im
Habitus und ſelbſt im inneren Bau gleichen, ſich in ungleichen
Abſtänden von den Polen und von der Meeresfläche überall
entwickeln, wo ſo weit entlegene Orte in der Temperatur
einigermaßen übereinkommen? Trotz des Einfluſſes des Luft-
druckes und der ſtärkeren oder geringeren Schwächung des
Lichtes auf die Lebensthätigkeit der Gewächſe iſt doch die un-
gleiche Verteilung der Wärme und die verſchiedenen Jahres-
zeiten als die Haupttriebkraft der Vegetation anzuſehen.

Der Arten, welche auf beiden Kontinenten und in beiden
Halbkugeln gleichmäßig vorkommen, ſind lange nicht ſo viele,
als man nach den Angaben der älteſten Reiſenden geglaubt
hatte. Auf den hohen Gebirgen des tropiſchen Amerikas kommen
allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter, Ranunkeln,
Miſpeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer Phyſio-
gnomie mit den europäiſchen verwechſeln könnte; ſie ſind aber
alle ſpezifiſch von letzteren verſchieden. Bringt aber auch die
Natur nicht dieſelben Arten hervor, ſo wiederholt ſie doch die
Gattungen. Nahe verwandte Arten kommen oft in unge-
heuren Entfernungen voneinander vor, in den Niederungen
des gemäßigten Erdſtriches die einen, in den Alpenregionen
unter dem Aequator die anderen. Andere Male (und die
Silla von Caracas bietet ein auffallendes Beiſpiel hierfür) ſind
nicht Arten europäiſcher Gattungen wie Koloniſten auf die
Berge der heißen Zone herübergekommen, es treten vielmehr
hier wie dort Gattungen derſelben Zunft auf, die nach dem
Habitus nicht leicht zu unterſcheiden ſind und unter verſchie-
denen Breiten einander erſetzen.

Von den Bergen von Neugranada, welche die Hochebene
von Bogota umgeben, bis zu den Bergen von Caracas ſind
es über 900 km, und doch zeigt die Silla, der einzige hohe
Gipfel einer ziemlich niedrigen Bergkette, dieſelbe merkwürdige
Zuſammenſtellung von Befarien mit purpurroten Blüten, An-
dromeden, Gaultherien, Myrtillen, Uvas camaronas, Nertera
und Aralien mit wolligen Blättern, wie ſie für die Vegetation
der Paramos auf den hohen Kordilleren von Santa Fé
charakteriſtiſch iſt. Wir fanden dieſelbe Thibaudia glandulosa
am Eingang der Hochebene von Bogota und im Pejual auf
der Silla. Die Küſtenkette von Caracas hängt unzweifelhaft
(über den Torito, die Palomera, Tocuyo, die Paramos de
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[132/0140] wie kommt es, daß die Keime von Organismen, die ſich im Habitus und ſelbſt im inneren Bau gleichen, ſich in ungleichen Abſtänden von den Polen und von der Meeresfläche überall entwickeln, wo ſo weit entlegene Orte in der Temperatur einigermaßen übereinkommen? Trotz des Einfluſſes des Luft- druckes und der ſtärkeren oder geringeren Schwächung des Lichtes auf die Lebensthätigkeit der Gewächſe iſt doch die un- gleiche Verteilung der Wärme und die verſchiedenen Jahres- zeiten als die Haupttriebkraft der Vegetation anzuſehen. Der Arten, welche auf beiden Kontinenten und in beiden Halbkugeln gleichmäßig vorkommen, ſind lange nicht ſo viele, als man nach den Angaben der älteſten Reiſenden geglaubt hatte. Auf den hohen Gebirgen des tropiſchen Amerikas kommen allerdings Wegeriche, Baldriane, Sandkräuter, Ranunkeln, Miſpeln, Eichen und Fichten vor, die man nach ihrer Phyſio- gnomie mit den europäiſchen verwechſeln könnte; ſie ſind aber alle ſpezifiſch von letzteren verſchieden. Bringt aber auch die Natur nicht dieſelben Arten hervor, ſo wiederholt ſie doch die Gattungen. Nahe verwandte Arten kommen oft in unge- heuren Entfernungen voneinander vor, in den Niederungen des gemäßigten Erdſtriches die einen, in den Alpenregionen unter dem Aequator die anderen. Andere Male (und die Silla von Caracas bietet ein auffallendes Beiſpiel hierfür) ſind nicht Arten europäiſcher Gattungen wie Koloniſten auf die Berge der heißen Zone herübergekommen, es treten vielmehr hier wie dort Gattungen derſelben Zunft auf, die nach dem Habitus nicht leicht zu unterſcheiden ſind und unter verſchie- denen Breiten einander erſetzen. Von den Bergen von Neugranada, welche die Hochebene von Bogota umgeben, bis zu den Bergen von Caracas ſind es über 900 km, und doch zeigt die Silla, der einzige hohe Gipfel einer ziemlich niedrigen Bergkette, dieſelbe merkwürdige Zuſammenſtellung von Befarien mit purpurroten Blüten, An- dromeden, Gaultherien, Myrtillen, Uvas camaronas, Nertera und Aralien mit wolligen Blättern, wie ſie für die Vegetation der Paramos auf den hohen Kordilleren von Santa Fé charakteriſtiſch iſt. Wir fanden dieſelbe Thibaudia glandulosa am Eingang der Hochebene von Bogota und im Pejual auf der Silla. Die Küſtenkette von Caracas hängt unzweifelhaft (über den Torito, die Palomera, Tocuyo, die Paramos de las Roſas, Bocono und Niquitao) mit den hohen Kordilleren von Merida, Pamplona und Santa Fé zuſammen; aber von

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/140>, abgerufen am 27.11.2024.