aufgenommen, schien mir dieser Gipfel nicht so hoch über dem Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito. Diese Schätzung stimmte aber schlecht mit den Vorstellungen der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man sie genau gemessen hat, schreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor- urteil zu verstoßen.
Der Generalkapitän Guevara verschaffte uns Führer durch den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der westlichen Spitze der Silla vorbei zur Küste führt, etwas bekannt war. Dieser Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unsere Führer, noch die erfahrensten Leute in der Miliz, welche die Schleichhändler in diesen Wildnissen verfolgen, waren je auf der östlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla gewesen. Während des ganzen Dezembers war der Berg, dessen Höhen- winkel mich das Spiel der irdischen Refraktion beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt gewesen. Da in dieser Jahres- zeit selten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, sondern zu einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch stehen und man hoffen darf, über der ersten gleichförmig verbreiteten Dunstschicht in trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der Estancia de Gallegos zu, einer Kaffee- pflanzung, bei der in einer schattigen Schlucht der Bach Cha- caito, der vom Gebirge herabkommt, schöne Fälle bildet. Die Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines beschwerlichen Marsches gern einiger Ruhe genossen hätten, harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus bestimmt und doch verfehlten wir alle, weil sich in die Connaissance des temps Rechnungs- fehler eingeschlichen hatten. Ein böser Stern waltete über den Angaben hinsichtlich der Bedeckung für Dezember und Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechselt.
Dieses Mißgeschick machte mir großen Verdruß, und nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intensität der magneti- schen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um 5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unsere Instrumente trugen, auf. Wir waren unser 18 Personen und gingen auf
aufgenommen, ſchien mir dieſer Gipfel nicht ſo hoch über dem Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito. Dieſe Schätzung ſtimmte aber ſchlecht mit den Vorſtellungen der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man ſie genau gemeſſen hat, ſchreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor- urteil zu verſtoßen.
Der Generalkapitän Guevara verſchaffte uns Führer durch den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der Weg, der über den Bergkamm an der weſtlichen Spitze der Silla vorbei zur Küſte führt, etwas bekannt war. Dieſer Weg wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unſere Führer, noch die erfahrenſten Leute in der Miliz, welche die Schleichhändler in dieſen Wildniſſen verfolgen, waren je auf der öſtlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla geweſen. Während des ganzen Dezembers war der Berg, deſſen Höhen- winkel mich das Spiel der irdiſchen Refraktion beobachten ließen, nur fünfmal unumwölkt geweſen. Da in dieſer Jahres- zeit ſelten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, ſondern zu einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch ſtehen und man hoffen darf, über der erſten gleichförmig verbreiteten Dunſtſchicht in trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des 2. Januars in der Eſtancia de Gallegos zu, einer Kaffee- pflanzung, bei der in einer ſchattigen Schlucht der Bach Cha- caito, der vom Gebirge herabkommt, ſchöne Fälle bildet. Die Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines beſchwerlichen Marſches gern einiger Ruhe genoſſen hätten, harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte der Beobachtungen zum voraus beſtimmt und doch verfehlten wir alle, weil ſich in die Connaissance des temps Rechnungs- fehler eingeſchlichen hatten. Ein böſer Stern waltete über den Angaben hinſichtlich der Bedeckung für Dezember und Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechſelt.
Dieſes Mißgeſchick machte mir großen Verdruß, und nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intenſität der magneti- ſchen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um 5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unſere Inſtrumente trugen, auf. Wir waren unſer 18 Perſonen und gingen auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0134"n="126"/>
aufgenommen, ſchien mir dieſer Gipfel nicht ſo hoch über dem<lb/>
Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito.<lb/>
Dieſe Schätzung ſtimmte aber ſchlecht mit den Vorſtellungen<lb/>
der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen<lb/>
Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten<lb/>
einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man ſie genau gemeſſen<lb/>
hat, ſchreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man<lb/>
nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor-<lb/>
urteil zu verſtoßen.</p><lb/><p>Der Generalkapitän Guevara verſchaffte uns Führer durch<lb/>
den <hirendition="#g">Teniente</hi> von Chacao. Es waren Schwarze, denen der<lb/>
Weg, der über den Bergkamm an der weſtlichen Spitze der<lb/>
Silla vorbei zur Küſte führt, etwas bekannt war. Dieſer Weg<lb/>
wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unſere<lb/>
Führer, noch die erfahrenſten Leute in der Miliz, welche die<lb/>
Schleichhändler in dieſen Wildniſſen verfolgen, waren je auf<lb/>
der öſtlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla geweſen.<lb/>
Während des ganzen Dezembers war der Berg, deſſen Höhen-<lb/>
winkel mich das Spiel der irdiſchen Refraktion beobachten<lb/>
ließen, nur fünfmal unumwölkt geweſen. Da in dieſer Jahres-<lb/>
zeit ſelten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man<lb/>
uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, ſondern zu<lb/>
einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch ſtehen und man hoffen<lb/>
darf, über der erſten gleichförmig verbreiteten Dunſtſchicht in<lb/>
trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des<lb/>
2. Januars in der <hirendition="#g">Eſtancia</hi> de Gallegos zu, einer Kaffee-<lb/>
pflanzung, bei der in einer ſchattigen Schlucht der Bach Cha-<lb/>
caito, der vom Gebirge herabkommt, ſchöne Fälle bildet. Die<lb/>
Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines<lb/>
beſchwerlichen Marſches gern einiger Ruhe genoſſen hätten,<lb/>
harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei<lb/>
Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte<lb/>
der Beobachtungen zum voraus beſtimmt und doch verfehlten<lb/>
wir alle, weil ſich in die <hirendition="#aq">Connaissance des temps</hi> Rechnungs-<lb/>
fehler eingeſchlichen hatten. Ein böſer Stern waltete über<lb/>
den Angaben hinſichtlich der Bedeckung für Dezember und<lb/>
Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechſelt.</p><lb/><p>Dieſes Mißgeſchick machte mir großen Verdruß, und<lb/>
nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intenſität der magneti-<lb/>ſchen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um<lb/>
5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unſere Inſtrumente<lb/>
trugen, auf. Wir waren unſer 18 Perſonen und gingen auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[126/0134]
aufgenommen, ſchien mir dieſer Gipfel nicht ſo hoch über dem
Meere zu liegen, als der große Platz in der Stadt Quito.
Dieſe Schätzung ſtimmte aber ſchlecht mit den Vorſtellungen
der Bewohner des Thales. Die Berge, welche über großen
Städten liegen, erhalten eben dadurch in beiden Kontinenten
einen ungemeinen Ruf. Lange bevor man ſie genau gemeſſen
hat, ſchreiben ihnen die Lokalgelehrten eine Höhe zu, die man
nicht in Zweifel ziehen kann, ohne gegen ein Nationalvor-
urteil zu verſtoßen.
Der Generalkapitän Guevara verſchaffte uns Führer durch
den Teniente von Chacao. Es waren Schwarze, denen der
Weg, der über den Bergkamm an der weſtlichen Spitze der
Silla vorbei zur Küſte führt, etwas bekannt war. Dieſer Weg
wird von den Schleichhändlern begangen; aber weder unſere
Führer, noch die erfahrenſten Leute in der Miliz, welche die
Schleichhändler in dieſen Wildniſſen verfolgen, waren je auf
der öſtlichen Spitze, dem eigentlichen Gipfel der Silla geweſen.
Während des ganzen Dezembers war der Berg, deſſen Höhen-
winkel mich das Spiel der irdiſchen Refraktion beobachten
ließen, nur fünfmal unumwölkt geweſen. Da in dieſer Jahres-
zeit ſelten zwei heitere Tage aufeinander folgen, hatte man
uns geraten, nicht bei hellem Wetter aufzubrechen, ſondern zu
einer Zeit, wo die Wolken nicht hoch ſtehen und man hoffen
darf, über der erſten gleichförmig verbreiteten Dunſtſchicht in
trockene, helle Luft zu gelangen. Wir brachten die Nacht des
2. Januars in der Eſtancia de Gallegos zu, einer Kaffee-
pflanzung, bei der in einer ſchattigen Schlucht der Bach Cha-
caito, der vom Gebirge herabkommt, ſchöne Fälle bildet. Die
Nacht war ziemlich hell, und obgleich wir am Vorabend eines
beſchwerlichen Marſches gern einiger Ruhe genoſſen hätten,
harrten wir, Bonpland und ich, die ganze Nacht auf drei
Bedeckungen der Jupiterstrabanten. Ich hatte die Zeitpunkte
der Beobachtungen zum voraus beſtimmt und doch verfehlten
wir alle, weil ſich in die Connaissance des temps Rechnungs-
fehler eingeſchlichen hatten. Ein böſer Stern waltete über
den Angaben hinſichtlich der Bedeckung für Dezember und
Januar: man hatte mittlere und wahre Zeit verwechſelt.
Dieſes Mißgeſchick machte mir großen Verdruß, und
nachdem ich vor Sonnenaufgang die Intenſität der magneti-
ſchen Kraft am Fuße des Berges beobachtet, brachen wir um
5 Uhr morgens mit den Sklaven, die unſere Inſtrumente
trugen, auf. Wir waren unſer 18 Perſonen und gingen auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/134>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.