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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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schmalem Fußpfad in einer Reihe hintereinander. Dieser Pfad
läuft über einen steilen, mit Rasen bedeckten Abhang. Man
sucht zuerst den Gipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen
Südwest hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Der-
selbe hängt mit der Masse des Berges selbst durch einen
schmalen Damm zusammen, den die Hirten sehr bezeichnend
"die Pforte", Puerta de la Silla, nennen. Wir erreichten
ihn gegen 7 Uhr. Der Morgen war schön und kühl, und
der Himmel schien bis jetzt unser Vorhaben zu begünstigen.
Der Thermometer stand ein wenig unter 14°. Nach dem
Barometer waren wir bereits 1335 m über dem Meere, das
heißt gegen 156 m höher als die Venta, wo man die präch-
tige Aussicht auf die Küste hat. Unsere Führer meinten, wir
würden bis auf den Gipfel noch 6 Stunden brauchen.

Wir gingen auf einem schmalen, mit Rasen bedeckten
Felsdamm, und dieser führte uns vom Vorgebirge der Puerta
auf den Gipfel des großen Berges. Man blickt zu beiden
Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht bewachsene
Spalten sind. Zur Rechten sieht man die Schlucht, die zwi-
schen beiden Gipfeln gegen den Hof Mundoz herabläuft; links
hat man unter sich die Spalte des Chacaito, deren reiche
Gewässer am Hofe Gallego vorbeifließen. Man hört die
Wasserfälle rauschen, ohne den Bach zu sehen, der im dichten
Schatten der Erythrina, Clusia und der indischen Feigen-
bäume 1 fließt. Nichts malerischer in einem Erdstrich, wo so
viele Gewächse große, glänzende, lederartige Blätter haben,
als tief unter sich die Baumwipfel von den fast senkrechten
Sonnenstrahlen beleuchtet zu sehen.

Von der Puerta an wird der Berg immer steiler. Man
mußte sich stark vornüber beugen, um vorwärts zu kommen.
Der Winkel beträgt häufig 30 bis 32°. Der Rasen ist
dicht und er war durch die lange Trockenheit sehr glatt ge-
worden. Gern hätten wir Fußeisen und mit Eisen beschlagene
Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneisfelsen und
man kann sich weder am Grase halten, noch Stufen ein-
schneiden wie auf weicherem Boden. Dieses mehr mühsame
als gefährliche Ansteigen wurde den Leuten aus der Stadt,
die uns begleitet hatten und das Bergsteigen nicht gewöhnt
waren, bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf sie zu
warten, und wir entschlossen uns erst, unseren Weg allein

1 Ficus nymphaeifolia, Erythrina mitis.

ſchmalem Fußpfad in einer Reihe hintereinander. Dieſer Pfad
läuft über einen ſteilen, mit Raſen bedeckten Abhang. Man
ſucht zuerſt den Gipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen
Südweſt hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Der-
ſelbe hängt mit der Maſſe des Berges ſelbſt durch einen
ſchmalen Damm zuſammen, den die Hirten ſehr bezeichnend
„die Pforte“, Puerta de la Silla, nennen. Wir erreichten
ihn gegen 7 Uhr. Der Morgen war ſchön und kühl, und
der Himmel ſchien bis jetzt unſer Vorhaben zu begünſtigen.
Der Thermometer ſtand ein wenig unter 14°. Nach dem
Barometer waren wir bereits 1335 m über dem Meere, das
heißt gegen 156 m höher als die Venta, wo man die präch-
tige Ausſicht auf die Küſte hat. Unſere Führer meinten, wir
würden bis auf den Gipfel noch 6 Stunden brauchen.

Wir gingen auf einem ſchmalen, mit Raſen bedeckten
Felsdamm, und dieſer führte uns vom Vorgebirge der Puerta
auf den Gipfel des großen Berges. Man blickt zu beiden
Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht bewachſene
Spalten ſind. Zur Rechten ſieht man die Schlucht, die zwi-
ſchen beiden Gipfeln gegen den Hof Muñoz herabläuft; links
hat man unter ſich die Spalte des Chacaito, deren reiche
Gewäſſer am Hofe Gallego vorbeifließen. Man hört die
Waſſerfälle rauſchen, ohne den Bach zu ſehen, der im dichten
Schatten der Erythrina, Cluſia und der indiſchen Feigen-
bäume 1 fließt. Nichts maleriſcher in einem Erdſtrich, wo ſo
viele Gewächſe große, glänzende, lederartige Blätter haben,
als tief unter ſich die Baumwipfel von den faſt ſenkrechten
Sonnenſtrahlen beleuchtet zu ſehen.

Von der Puerta an wird der Berg immer ſteiler. Man
mußte ſich ſtark vornüber beugen, um vorwärts zu kommen.
Der Winkel beträgt häufig 30 bis 32°. Der Raſen iſt
dicht und er war durch die lange Trockenheit ſehr glatt ge-
worden. Gern hätten wir Fußeiſen und mit Eiſen beſchlagene
Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneisfelſen und
man kann ſich weder am Graſe halten, noch Stufen ein-
ſchneiden wie auf weicherem Boden. Dieſes mehr mühſame
als gefährliche Anſteigen wurde den Leuten aus der Stadt,
die uns begleitet hatten und das Bergſteigen nicht gewöhnt
waren, bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf ſie zu
warten, und wir entſchloſſen uns erſt, unſeren Weg allein

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[127/0135] ſchmalem Fußpfad in einer Reihe hintereinander. Dieſer Pfad läuft über einen ſteilen, mit Raſen bedeckten Abhang. Man ſucht zuerſt den Gipfel eines Hügels zu erreichen, der gegen Südweſt hin eine Art Vorgebirge der Silla bildet. Der- ſelbe hängt mit der Maſſe des Berges ſelbſt durch einen ſchmalen Damm zuſammen, den die Hirten ſehr bezeichnend „die Pforte“, Puerta de la Silla, nennen. Wir erreichten ihn gegen 7 Uhr. Der Morgen war ſchön und kühl, und der Himmel ſchien bis jetzt unſer Vorhaben zu begünſtigen. Der Thermometer ſtand ein wenig unter 14°. Nach dem Barometer waren wir bereits 1335 m über dem Meere, das heißt gegen 156 m höher als die Venta, wo man die präch- tige Ausſicht auf die Küſte hat. Unſere Führer meinten, wir würden bis auf den Gipfel noch 6 Stunden brauchen. Wir gingen auf einem ſchmalen, mit Raſen bedeckten Felsdamm, und dieſer führte uns vom Vorgebirge der Puerta auf den Gipfel des großen Berges. Man blickt zu beiden Seiten in zwei Thäler nieder, die vielmehr dicht bewachſene Spalten ſind. Zur Rechten ſieht man die Schlucht, die zwi- ſchen beiden Gipfeln gegen den Hof Muñoz herabläuft; links hat man unter ſich die Spalte des Chacaito, deren reiche Gewäſſer am Hofe Gallego vorbeifließen. Man hört die Waſſerfälle rauſchen, ohne den Bach zu ſehen, der im dichten Schatten der Erythrina, Cluſia und der indiſchen Feigen- bäume 1 fließt. Nichts maleriſcher in einem Erdſtrich, wo ſo viele Gewächſe große, glänzende, lederartige Blätter haben, als tief unter ſich die Baumwipfel von den faſt ſenkrechten Sonnenſtrahlen beleuchtet zu ſehen. Von der Puerta an wird der Berg immer ſteiler. Man mußte ſich ſtark vornüber beugen, um vorwärts zu kommen. Der Winkel beträgt häufig 30 bis 32°. Der Raſen iſt dicht und er war durch die lange Trockenheit ſehr glatt ge- worden. Gern hätten wir Fußeiſen und mit Eiſen beſchlagene Stöcke gehabt. Das kurze Gras bedeckt die Gneisfelſen und man kann ſich weder am Graſe halten, noch Stufen ein- ſchneiden wie auf weicherem Boden. Dieſes mehr mühſame als gefährliche Anſteigen wurde den Leuten aus der Stadt, die uns begleitet hatten und das Bergſteigen nicht gewöhnt waren, bald zu viel. Wir verloren viele Zeit, um auf ſie zu warten, und wir entſchloſſen uns erſt, unſeren Weg allein 1 Ficus nymphaeifolia, Erythrina mitis.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/135>, abgerufen am 22.11.2024.