von Nordamerika in kleinen Städten von 3000 Einwohnern Zeitungen erscheinen, so wundert man sich, wenn man hört, daß Caracas mit einer Bevölkerung von 40000 bis 50000 Seelen bis zum Jahre 1806 keine Druckerei hatte; denn so kann man doch nicht wohl Pressen nennen, auf denen man Jahr um Jahr einen Kalender von ein paar Seiten oder ein bischöfliches Aus- schreiben zustande bringt. Der Personen, denen Lesen ein Bedürfnis ist, sind nicht sehr viele, selbst in denjenigen spa- nischen Kolonieen, wo die Kultur am weitesten fortgeschritten ist; es wäre aber unbillig, den Kolonisten zur Last zu legen, was das Werk einer argwöhnischen Staatskunst ist. Ein Franzose, Delpeche, der durch Heirat einer der geachtetsten Familien des Landes angehört, hat sich durch die Errichtung der ersten guten Druckerei in Caracas verdient gemacht. Es ist in unserer Zeit gewiß eine auffallende Erscheinung, daß das kräftigste Mittel des Gedankenaustausches nicht vor einer politischen Umwälzung eingeführt wird, sondern erst nachher.
In einem Lande mit so reizenden Fernsichten, zu einer Zeit, wo trotz der Aufstandsversuche die große Mehrzahl der Einwohner nur an materielle Interessen dachte, an die Frucht- barkeit des Jahres, an die lange Dürre, an den Kampf zwi- schen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Um- gegend genau bekannt wären; wir konnten aber in Caracas nicht einen Menschen auftreiben, der je auf dem Gipfel der Silla gewesen wäre. Die Jäger kommen in den Bergen nicht bis oben hinauf, und in diesen Ländern geht kein Mensch hinaus, um Alpenpflanzen zu sammeln, um Gebirgsarten zu untersuchen und ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen. Man ist an ein einförmiges Leben zwischen seinen vier Wänden gewöhnt, man scheut die Anstrengung und die raschen Witte- rungswechsel, und es ist, als lebe man nicht, um des Lebens zu genießen, sondern eben nur, um fortzuleben.
Wir kamen auf unseren Spaziergängen häufig auf zwei Kaffeepflanzungen, deren Eigentümer angenehme Gesellschafter waren. Die Pflanzungen liegen der Silla von Caracas gegen- über. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die schroffen Ab- hänge des Berges und seine beiden Spitzen, und konnten so zum voraus ermessen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben würden, um auf den Gipfel zu gelangen. Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unserem Platze Trinidad
von Nordamerika in kleinen Städten von 3000 Einwohnern Zeitungen erſcheinen, ſo wundert man ſich, wenn man hört, daß Caracas mit einer Bevölkerung von 40000 bis 50000 Seelen bis zum Jahre 1806 keine Druckerei hatte; denn ſo kann man doch nicht wohl Preſſen nennen, auf denen man Jahr um Jahr einen Kalender von ein paar Seiten oder ein biſchöfliches Aus- ſchreiben zuſtande bringt. Der Perſonen, denen Leſen ein Bedürfnis iſt, ſind nicht ſehr viele, ſelbſt in denjenigen ſpa- niſchen Kolonieen, wo die Kultur am weiteſten fortgeſchritten iſt; es wäre aber unbillig, den Koloniſten zur Laſt zu legen, was das Werk einer argwöhniſchen Staatskunſt iſt. Ein Franzoſe, Delpeche, der durch Heirat einer der geachtetſten Familien des Landes angehört, hat ſich durch die Errichtung der erſten guten Druckerei in Caracas verdient gemacht. Es iſt in unſerer Zeit gewiß eine auffallende Erſcheinung, daß das kräftigſte Mittel des Gedankenaustauſches nicht vor einer politiſchen Umwälzung eingeführt wird, ſondern erſt nachher.
In einem Lande mit ſo reizenden Fernſichten, zu einer Zeit, wo trotz der Aufſtandsverſuche die große Mehrzahl der Einwohner nur an materielle Intereſſen dachte, an die Frucht- barkeit des Jahres, an die lange Dürre, an den Kampf zwi- ſchen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Um- gegend genau bekannt wären; wir konnten aber in Caracas nicht einen Menſchen auftreiben, der je auf dem Gipfel der Silla geweſen wäre. Die Jäger kommen in den Bergen nicht bis oben hinauf, und in dieſen Ländern geht kein Menſch hinaus, um Alpenpflanzen zu ſammeln, um Gebirgsarten zu unterſuchen und ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen. Man iſt an ein einförmiges Leben zwiſchen ſeinen vier Wänden gewöhnt, man ſcheut die Anſtrengung und die raſchen Witte- rungswechſel, und es iſt, als lebe man nicht, um des Lebens zu genießen, ſondern eben nur, um fortzuleben.
Wir kamen auf unſeren Spaziergängen häufig auf zwei Kaffeepflanzungen, deren Eigentümer angenehme Geſellſchafter waren. Die Pflanzungen liegen der Silla von Caracas gegen- über. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die ſchroffen Ab- hänge des Berges und ſeine beiden Spitzen, und konnten ſo zum voraus ermeſſen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben würden, um auf den Gipfel zu gelangen. Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unſerem Platze Trinidad
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von Nordamerika in kleinen Städten von 3000 Einwohnern
Zeitungen erſcheinen, ſo wundert man ſich, wenn man hört, daß
Caracas mit einer Bevölkerung von 40000 bis 50000 Seelen
bis zum Jahre 1806 keine Druckerei hatte; denn ſo kann man
doch nicht wohl Preſſen nennen, auf denen man Jahr um Jahr
einen Kalender von ein paar Seiten oder ein biſchöfliches Aus-
ſchreiben zuſtande bringt. Der Perſonen, denen Leſen ein
Bedürfnis iſt, ſind nicht ſehr viele, ſelbſt in denjenigen ſpa-
niſchen Kolonieen, wo die Kultur am weiteſten fortgeſchritten
iſt; es wäre aber unbillig, den Koloniſten zur Laſt zu legen,
was das Werk einer argwöhniſchen Staatskunſt iſt. Ein
Franzoſe, Delpeche, der durch Heirat einer der geachtetſten
Familien des Landes angehört, hat ſich durch die Errichtung
der erſten guten Druckerei in Caracas verdient gemacht.
Es iſt in unſerer Zeit gewiß eine auffallende Erſcheinung,
daß das kräftigſte Mittel des Gedankenaustauſches nicht vor
einer politiſchen Umwälzung eingeführt wird, ſondern erſt
nachher.
In einem Lande mit ſo reizenden Fernſichten, zu einer
Zeit, wo trotz der Aufſtandsverſuche die große Mehrzahl der
Einwohner nur an materielle Intereſſen dachte, an die Frucht-
barkeit des Jahres, an die lange Dürre, an den Kampf zwi-
ſchen den Winden von Petare und Catia, glaubte ich viele
Leute zu finden, welche mit den hohen Bergen in der Um-
gegend genau bekannt wären; wir konnten aber in Caracas
nicht einen Menſchen auftreiben, der je auf dem Gipfel der
Silla geweſen wäre. Die Jäger kommen in den Bergen nicht
bis oben hinauf, und in dieſen Ländern geht kein Menſch
hinaus, um Alpenpflanzen zu ſammeln, um Gebirgsarten zu
unterſuchen und ein Barometer auf hohe Punkte zu bringen.
Man iſt an ein einförmiges Leben zwiſchen ſeinen vier Wänden
gewöhnt, man ſcheut die Anſtrengung und die raſchen Witte-
rungswechſel, und es iſt, als lebe man nicht, um des Lebens
zu genießen, ſondern eben nur, um fortzuleben.
Wir kamen auf unſeren Spaziergängen häufig auf zwei
Kaffeepflanzungen, deren Eigentümer angenehme Geſellſchafter
waren. Die Pflanzungen liegen der Silla von Caracas gegen-
über. Wir betrachteten mit dem Fernrohr die ſchroffen Ab-
hänge des Berges und ſeine beiden Spitzen, und konnten ſo
zum voraus ermeſſen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu
kämpfen haben würden, um auf den Gipfel zu gelangen.
Nach den Höhenwinkeln, die ich auf unſerem Platze Trinidad
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/133>, abgerufen am 16.02.2025.
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