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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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es in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt
als zu Hause auf der Halbinsel, so haben die Weißen von
diesem Volksstamme nicht wenig dazu beigetragen, den Grundsatz
von der Gleichheit aller Menschen, deren Blut nicht mit afri-
kanischem Blut vermischt ist, in den Kolonieen zur Geltung
zu bringen.

Zudem sind die Länder, wo man, auch ohne Repräsen-
tativregierung und ohne Pairschaft, auf Stammbäume und
Geburtsvorzüge so sehr viel hält, keineswegs immer die, wo
die Familienaristokratie am verletzendsten auftritt. Vergebens
sucht man bei den Völkern spanischen Ursprunges das kalte,
anspruchsvolle Wesen, das durch den Charakter der modernen
Bildung im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden
scheint. In den Kolonieen wie im Mutterlande knüpfen Herz-
lichkeit, Unbefangenheit und große Anspruchslosigkeit des Be-
nehmens ein Band zwischen allen Ständen. Ja, man kann
sagen, Eitelkeit und Selbstsucht verletzen um so weniger,
da sie sich mit einer gewissen Offenheit und Naivität aus-
sprechen.

Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für
Bildung; man kennt die Hauptwerke der französischen und
italienischen Litteratur, man liebt die Musik, man treibt sie
mit Erfolg, und sie verknüpft, wie die Pflege aller schönen
Kunst, die verschiedenen Stufen der Gesellschaft. Für Natur-
wissenschaften und zeichnende Künste bestehen hier keine großen
Anstalten, wie Mexiko und Santa Fe sie der Freigebigkeit
der Regierung und dem patriotischen Eifer der spanischen Be-
völkerung verdanken. In einer so wundervollen, überschwenglich
reichen Natur gab sich kein Mensch an dieser Küste mit Bo-
tanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franziskanerkloster
fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von
Venezuela den Kalender berechnete und vom gegenwärtigen
Stande der Astronomie einige richtige Begriffe hatte. Unsere
Instrumente waren ihm höchst merkwürdig, und eines Morgens
kamen uns sämtliche Franziskaner ins Haus und verlangten
zu unserer großen Ueberraschung einen Inklinationskompaß
zu sehen. In Ländern, die vom vulkanischen Feuer unter-
höhlt sind, und in einem Himmelsstrich, wo die Natur so
großartig und dabei so geheimnisvoll unruhig ist, steigert sich
von selbst die Aufmerksamkeit auf physikalische Erscheinungen,
und damit die Neubegier.

Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten

es in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt
als zu Hauſe auf der Halbinſel, ſo haben die Weißen von
dieſem Volksſtamme nicht wenig dazu beigetragen, den Grundſatz
von der Gleichheit aller Menſchen, deren Blut nicht mit afri-
kaniſchem Blut vermiſcht iſt, in den Kolonieen zur Geltung
zu bringen.

Zudem ſind die Länder, wo man, auch ohne Repräſen-
tativregierung und ohne Pairſchaft, auf Stammbäume und
Geburtsvorzüge ſo ſehr viel hält, keineswegs immer die, wo
die Familienariſtokratie am verletzendſten auftritt. Vergebens
ſucht man bei den Völkern ſpaniſchen Urſprunges das kalte,
anſpruchsvolle Weſen, das durch den Charakter der modernen
Bildung im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden
ſcheint. In den Kolonieen wie im Mutterlande knüpfen Herz-
lichkeit, Unbefangenheit und große Anſpruchsloſigkeit des Be-
nehmens ein Band zwiſchen allen Ständen. Ja, man kann
ſagen, Eitelkeit und Selbſtſucht verletzen um ſo weniger,
da ſie ſich mit einer gewiſſen Offenheit und Naivität aus-
ſprechen.

Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für
Bildung; man kennt die Hauptwerke der franzöſiſchen und
italieniſchen Litteratur, man liebt die Muſik, man treibt ſie
mit Erfolg, und ſie verknüpft, wie die Pflege aller ſchönen
Kunſt, die verſchiedenen Stufen der Geſellſchaft. Für Natur-
wiſſenſchaften und zeichnende Künſte beſtehen hier keine großen
Anſtalten, wie Mexiko und Santa Fé ſie der Freigebigkeit
der Regierung und dem patriotiſchen Eifer der ſpaniſchen Be-
völkerung verdanken. In einer ſo wundervollen, überſchwenglich
reichen Natur gab ſich kein Menſch an dieſer Küſte mit Bo-
tanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franziskanerkloſter
fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von
Venezuela den Kalender berechnete und vom gegenwärtigen
Stande der Aſtronomie einige richtige Begriffe hatte. Unſere
Inſtrumente waren ihm höchſt merkwürdig, und eines Morgens
kamen uns ſämtliche Franziskaner ins Haus und verlangten
zu unſerer großen Ueberraſchung einen Inklinationskompaß
zu ſehen. In Ländern, die vom vulkaniſchen Feuer unter-
höhlt ſind, und in einem Himmelsſtrich, wo die Natur ſo
großartig und dabei ſo geheimnisvoll unruhig iſt, ſteigert ſich
von ſelbſt die Aufmerkſamkeit auf phyſikaliſche Erſcheinungen,
und damit die Neubegier.

Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten

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[124/0132] es in Amerika und auf den Philippinen mehr Biscayer gibt als zu Hauſe auf der Halbinſel, ſo haben die Weißen von dieſem Volksſtamme nicht wenig dazu beigetragen, den Grundſatz von der Gleichheit aller Menſchen, deren Blut nicht mit afri- kaniſchem Blut vermiſcht iſt, in den Kolonieen zur Geltung zu bringen. Zudem ſind die Länder, wo man, auch ohne Repräſen- tativregierung und ohne Pairſchaft, auf Stammbäume und Geburtsvorzüge ſo ſehr viel hält, keineswegs immer die, wo die Familienariſtokratie am verletzendſten auftritt. Vergebens ſucht man bei den Völkern ſpaniſchen Urſprunges das kalte, anſpruchsvolle Weſen, das durch den Charakter der modernen Bildung im übrigen Europa nur noch allgemeiner zu werden ſcheint. In den Kolonieen wie im Mutterlande knüpfen Herz- lichkeit, Unbefangenheit und große Anſpruchsloſigkeit des Be- nehmens ein Band zwiſchen allen Ständen. Ja, man kann ſagen, Eitelkeit und Selbſtſucht verletzen um ſo weniger, da ſie ſich mit einer gewiſſen Offenheit und Naivität aus- ſprechen. Ich fand in Caracas in mehreren Familien Sinn für Bildung; man kennt die Hauptwerke der franzöſiſchen und italieniſchen Litteratur, man liebt die Muſik, man treibt ſie mit Erfolg, und ſie verknüpft, wie die Pflege aller ſchönen Kunſt, die verſchiedenen Stufen der Geſellſchaft. Für Natur- wiſſenſchaften und zeichnende Künſte beſtehen hier keine großen Anſtalten, wie Mexiko und Santa Fé ſie der Freigebigkeit der Regierung und dem patriotiſchen Eifer der ſpaniſchen Be- völkerung verdanken. In einer ſo wundervollen, überſchwenglich reichen Natur gab ſich kein Menſch an dieſer Küſte mit Bo- tanik oder Mineralogie ab. Nur in einem Franziskanerkloſter fand ich einen ehrwürdigen Alten, der für alle Provinzen von Venezuela den Kalender berechnete und vom gegenwärtigen Stande der Aſtronomie einige richtige Begriffe hatte. Unſere Inſtrumente waren ihm höchſt merkwürdig, und eines Morgens kamen uns ſämtliche Franziskaner ins Haus und verlangten zu unſerer großen Ueberraſchung einen Inklinationskompaß zu ſehen. In Ländern, die vom vulkaniſchen Feuer unter- höhlt ſind, und in einem Himmelsſtrich, wo die Natur ſo großartig und dabei ſo geheimnisvoll unruhig iſt, ſteigert ſich von ſelbſt die Aufmerkſamkeit auf phyſikaliſche Erſcheinungen, und damit die Neubegier. Wenn man daran denkt, daß in den Vereinigten Staaten

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/132>, abgerufen am 03.05.2024.