Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Nachkommen der Konquistadoren, das heißt der Spanier,
die bei der ersten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieser
Krieger, der Waffengenossen der Cortez, Losada und Pizarro,
gehörten den vornehmsten Familien der pyrenäischen Halbinsel
an; andere aus den unteren Volksklassen haben ihren Namen
durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug
des frühen 16. Jahrhunderts ist, zu Ehren gebracht. Ich
habe oben daran erinnert, daß in der Geschichte dieser Zeit
der religiösen und kriegerischen Begeisterung im Gefolge der
großen Anführer mehrere redliche, schlichte, großmütige Männer
auftraten. Sie eiferten wider die Grausamkeiten, welche
die Ehre des spanischen Namens befleckten; aber sie ver-
schwanden in der Menge und konnten der allgemeinen
Aechtung nicht entgehen. Der Name "Konquistadores" ist
desto verhaßter geblieben, als die wenigsten, nachdem sie
friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberflusses
geschwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem schweren
Umschlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men-
schen sänftigt und nicht selten das harte Urteil der Geschichte
mildert.

Aber nicht allein der Fortschritt der Kultur und der
Konflikt zwischen zwei Adelsklassen von verschiedenem Ursprung
nötigt die privilegierten Stände, ihre Ansprüche aufzugeben
oder doch aus Klugheit nicht merken zu lassen. Die Aristo-
kratie findet in den spanischen Kolonieen noch ein anderes
Gegengewicht, das sich von Tag zu Tage mehr geltend macht.
Unter den Weißen hat sich das Gefühl der Gleichheit aller
Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als
Sklaven oder als Freigelassene angesehen werden, ist die an-
gestammte Freiheit, das Bewußtsein, daß man nur Freie zu
Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen ist die
Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desselben. In Mexiko
wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage
einen Menschen, der barfuß geht, sagen hören: "Will der
reiche weiße Mann weißer sein als ich?" Da Europa so
große Menschenmengen an Amerika abgeben kann, so ist be-
greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße ist Ritter, todo blanco
es caballero,
den altadeligen europäischen Familien mit ihren
Ansprüchen sehr unbequem ist. Noch mehr: dieser selbe Satz
ist in Spanien bei einem wegen seiner Biederkeit, seines Fleißes
und seines Nationalgeistes mit Recht geachteten Volksstamm
längst anerkannt; jeder Biscayer nennt sich adelig, und da

Nachkommen der Konquiſtadoren, das heißt der Spanier,
die bei der erſten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieſer
Krieger, der Waffengenoſſen der Cortez, Loſada und Pizarro,
gehörten den vornehmſten Familien der pyrenäiſchen Halbinſel
an; andere aus den unteren Volksklaſſen haben ihren Namen
durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug
des frühen 16. Jahrhunderts iſt, zu Ehren gebracht. Ich
habe oben daran erinnert, daß in der Geſchichte dieſer Zeit
der religiöſen und kriegeriſchen Begeiſterung im Gefolge der
großen Anführer mehrere redliche, ſchlichte, großmütige Männer
auftraten. Sie eiferten wider die Grauſamkeiten, welche
die Ehre des ſpaniſchen Namens befleckten; aber ſie ver-
ſchwanden in der Menge und konnten der allgemeinen
Aechtung nicht entgehen. Der Name „Konquiſtadores“ iſt
deſto verhaßter geblieben, als die wenigſten, nachdem ſie
friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberfluſſes
geſchwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem ſchweren
Umſchlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men-
ſchen ſänftigt und nicht ſelten das harte Urteil der Geſchichte
mildert.

Aber nicht allein der Fortſchritt der Kultur und der
Konflikt zwiſchen zwei Adelsklaſſen von verſchiedenem Urſprung
nötigt die privilegierten Stände, ihre Anſprüche aufzugeben
oder doch aus Klugheit nicht merken zu laſſen. Die Ariſto-
kratie findet in den ſpaniſchen Kolonieen noch ein anderes
Gegengewicht, das ſich von Tag zu Tage mehr geltend macht.
Unter den Weißen hat ſich das Gefühl der Gleichheit aller
Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als
Sklaven oder als Freigelaſſene angeſehen werden, iſt die an-
geſtammte Freiheit, das Bewußtſein, daß man nur Freie zu
Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen iſt die
Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desſelben. In Mexiko
wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage
einen Menſchen, der barfuß geht, ſagen hören: „Will der
reiche weiße Mann weißer ſein als ich?“ Da Europa ſo
große Menſchenmengen an Amerika abgeben kann, ſo iſt be-
greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße iſt Ritter, todo blanco
es caballero,
den altadeligen europäiſchen Familien mit ihren
Anſprüchen ſehr unbequem iſt. Noch mehr: dieſer ſelbe Satz
iſt in Spanien bei einem wegen ſeiner Biederkeit, ſeines Fleißes
und ſeines Nationalgeiſtes mit Recht geachteten Volksſtamm
längſt anerkannt; jeder Biscayer nennt ſich adelig, und da

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="123"/>
Nachkommen der <hi rendition="#g">Konqui&#x017F;tadoren</hi>, das heißt der Spanier,<lb/>
die bei der er&#x017F;ten Eroberung im Heere gedient. Mehrere die&#x017F;er<lb/>
Krieger, der Waffengeno&#x017F;&#x017F;en der Cortez, Lo&#x017F;ada und Pizarro,<lb/>
gehörten den vornehm&#x017F;ten Familien der pyrenäi&#x017F;chen Halbin&#x017F;el<lb/>
an; andere aus den unteren Volkskla&#x017F;&#x017F;en haben ihren Namen<lb/>
durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug<lb/>
des frühen 16. Jahrhunderts i&#x017F;t, zu Ehren gebracht. Ich<lb/>
habe oben daran erinnert, daß in der Ge&#x017F;chichte die&#x017F;er Zeit<lb/>
der religiö&#x017F;en und kriegeri&#x017F;chen Begei&#x017F;terung im Gefolge der<lb/>
großen Anführer mehrere redliche, &#x017F;chlichte, großmütige Männer<lb/>
auftraten. Sie eiferten wider die Grau&#x017F;amkeiten, welche<lb/>
die Ehre des &#x017F;pani&#x017F;chen Namens befleckten; aber &#x017F;ie ver-<lb/>
&#x017F;chwanden in der Menge und konnten der allgemeinen<lb/>
Aechtung nicht entgehen. Der Name &#x201E;Konqui&#x017F;tadores&#x201C; i&#x017F;t<lb/>
de&#x017F;to verhaßter geblieben, als die wenig&#x017F;ten, nachdem &#x017F;ie<lb/>
friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberflu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
ge&#x017F;chwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem &#x017F;chweren<lb/>
Um&#x017F;chlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;änftigt und nicht &#x017F;elten das harte Urteil der Ge&#x017F;chichte<lb/>
mildert.</p><lb/>
          <p>Aber nicht allein der Fort&#x017F;chritt der Kultur und der<lb/>
Konflikt zwi&#x017F;chen zwei Adelskla&#x017F;&#x017F;en von ver&#x017F;chiedenem Ur&#x017F;prung<lb/>
nötigt die privilegierten Stände, ihre An&#x017F;prüche aufzugeben<lb/>
oder doch aus Klugheit nicht merken zu la&#x017F;&#x017F;en. Die Ari&#x017F;to-<lb/>
kratie findet in den &#x017F;pani&#x017F;chen Kolonieen noch ein anderes<lb/>
Gegengewicht, das &#x017F;ich von Tag zu Tage mehr geltend macht.<lb/>
Unter den Weißen hat &#x017F;ich das Gefühl der Gleichheit aller<lb/>
Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als<lb/>
Sklaven oder als Freigela&#x017F;&#x017F;ene ange&#x017F;ehen werden, i&#x017F;t die an-<lb/>
ge&#x017F;tammte Freiheit, das Bewußt&#x017F;ein, daß man nur Freie zu<lb/>
Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen i&#x017F;t die<lb/>
Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen des&#x017F;elben. In Mexiko<lb/>
wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage<lb/>
einen Men&#x017F;chen, der barfuß geht, &#x017F;agen hören: &#x201E;Will der<lb/>
reiche weiße Mann weißer &#x017F;ein als ich?&#x201C; Da Europa &#x017F;o<lb/>
große Men&#x017F;chenmengen an Amerika abgeben kann, &#x017F;o i&#x017F;t be-<lb/>
greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße i&#x017F;t Ritter, <hi rendition="#aq">todo blanco<lb/>
es caballero,</hi> den altadeligen europäi&#x017F;chen Familien mit ihren<lb/>
An&#x017F;prüchen &#x017F;ehr unbequem i&#x017F;t. Noch mehr: die&#x017F;er &#x017F;elbe Satz<lb/>
i&#x017F;t in Spanien bei einem wegen &#x017F;einer Biederkeit, &#x017F;eines Fleißes<lb/>
und &#x017F;eines Nationalgei&#x017F;tes mit Recht geachteten Volks&#x017F;tamm<lb/>
läng&#x017F;t anerkannt; jeder Biscayer nennt &#x017F;ich adelig, und da<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0131] Nachkommen der Konquiſtadoren, das heißt der Spanier, die bei der erſten Eroberung im Heere gedient. Mehrere dieſer Krieger, der Waffengenoſſen der Cortez, Loſada und Pizarro, gehörten den vornehmſten Familien der pyrenäiſchen Halbinſel an; andere aus den unteren Volksklaſſen haben ihren Namen durch die ritterliche Tapferkeit, die ein bezeichnender Zug des frühen 16. Jahrhunderts iſt, zu Ehren gebracht. Ich habe oben daran erinnert, daß in der Geſchichte dieſer Zeit der religiöſen und kriegeriſchen Begeiſterung im Gefolge der großen Anführer mehrere redliche, ſchlichte, großmütige Männer auftraten. Sie eiferten wider die Grauſamkeiten, welche die Ehre des ſpaniſchen Namens befleckten; aber ſie ver- ſchwanden in der Menge und konnten der allgemeinen Aechtung nicht entgehen. Der Name „Konquiſtadores“ iſt deſto verhaßter geblieben, als die wenigſten, nachdem ſie friedliche Völker mißhandelt und im Schoße des Ueberfluſſes geſchwelgt, dafür am Ende ihrer Laufbahn mit jenem ſchweren Umſchlag des Glückes gebüßt haben, der den Haß der Men- ſchen ſänftigt und nicht ſelten das harte Urteil der Geſchichte mildert. Aber nicht allein der Fortſchritt der Kultur und der Konflikt zwiſchen zwei Adelsklaſſen von verſchiedenem Urſprung nötigt die privilegierten Stände, ihre Anſprüche aufzugeben oder doch aus Klugheit nicht merken zu laſſen. Die Ariſto- kratie findet in den ſpaniſchen Kolonieen noch ein anderes Gegengewicht, das ſich von Tag zu Tage mehr geltend macht. Unter den Weißen hat ſich das Gefühl der Gleichheit aller Gemüter bemächtigt. Ueberall, wo die Farbigen entweder als Sklaven oder als Freigelaſſene angeſehen werden, iſt die an- geſtammte Freiheit, das Bewußtſein, daß man nur Freie zu Ahnen hat, der eigentliche Adel. In den Kolonieen iſt die Hautfarbe das wahre äußere Abzeichen desſelben. In Mexiko wie in Peru, in Caracas wie auf Cuba kann man alle Tage einen Menſchen, der barfuß geht, ſagen hören: „Will der reiche weiße Mann weißer ſein als ich?“ Da Europa ſo große Menſchenmengen an Amerika abgeben kann, ſo iſt be- greiflich, daß der Satz: Jeder Weiße iſt Ritter, todo blanco es caballero, den altadeligen europäiſchen Familien mit ihren Anſprüchen ſehr unbequem iſt. Noch mehr: dieſer ſelbe Satz iſt in Spanien bei einem wegen ſeiner Biederkeit, ſeines Fleißes und ſeines Nationalgeiſtes mit Recht geachteten Volksſtamm längſt anerkannt; jeder Biscayer nennt ſich adelig, und da

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/131
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/131>, abgerufen am 03.05.2024.