Als ich zum erstenmal über diese Hochebene nach der Hauptstadt von Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirtshause auf dem Guayavo viele Reisende, die ihre Maul- tiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; sie stritten über den Aufstand zur Befreiung des Landes, der kurz zuvor stattgefunden. Joseph Espanna hatte auf dem Schafott geendet; sein Weib schmachtete im Gefängnis, weil sie ihren Mann auf der Flucht bei sich aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen stritt, über die Landsleute nie verschiedener Meinung sein sollten, fielen mir ungemein auf. Während man ein langes und breites über den Haß der Mulatten gegen die freien Neger und die Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte, hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla herabzukommen schien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man suchte Schutz in der Venta. In der Wirtsstube machte ein bejahrter Mann, der vorhin am ruhigsten gesprochen hatte, die anderen darauf aufmerksam, wie unvorsichtig es sei, zu einer Zeit, wo überall Angeber lauern, sei es auf dem Berge oder in der Stadt, über politische Gegenstände zu verhandeln. Diese in der Berg- einöde gesprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich sollte denselben auf unseren Reisen durch die Anden von Neugranada und Peru noch oft erhalten. In Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen schlichten, steigt man auf die Berge, um Einsamkeit und Freiheit zu suchen; in der Neuen Welt aber sind die Kordilleren bis zu 3900 m Meereshöhe bewohnt. Die Menschen tragen ihre bürgerlichen Zwiste wie ihre kleinlichen, gehässigen Leiden- schaften mit hinauf. Auf dem Rücken der Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten ge- führt hat, stehen Spielhäuser, und in diesen weiten Einöden, fast über der Region der Wolken, in einer Naturumgebung, die dem Geiste höheren Schwung geben sollte, wird gar oft durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien gestört.
Ob man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt oder nach Südost, nach dem gezackten Felskamm, der schein- bar die Cumbre mit der Silla verbindet, während die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwischen liegt, überall bewundert man
Als ich zum erſtenmal über dieſe Hochebene nach der Hauptſtadt von Venezuela ging, traf ich vor dem kleinen Wirtshauſe auf dem Guayavo viele Reiſende, die ihre Maul- tiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; ſie ſtritten über den Aufſtand zur Befreiung des Landes, der kurz zuvor ſtattgefunden. Joſeph España hatte auf dem Schafott geendet; ſein Weib ſchmachtete im Gefängnis, weil ſie ihren Mann auf der Flucht bei ſich aufgenommen und nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen ſtritt, über die Landsleute nie verſchiedener Meinung ſein ſollten, fielen mir ungemein auf. Während man ein langes und breites über den Haß der Mulatten gegen die freien Neger und die Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte, hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla herabzukommen ſchien, in einen dicken Nebel und machte der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man ſuchte Schutz in der Venta. In der Wirtsſtube machte ein bejahrter Mann, der vorhin am ruhigſten geſprochen hatte, die anderen darauf aufmerkſam, wie unvorſichtig es ſei, zu einer Zeit, wo überall Angeber lauern, ſei es auf dem Berge oder in der Stadt, über politiſche Gegenſtände zu verhandeln. Dieſe in der Berg- einöde geſprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf mich, und ich ſollte denſelben auf unſeren Reiſen durch die Anden von Neugranada und Peru noch oft erhalten. In Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen ſchlichten, ſteigt man auf die Berge, um Einſamkeit und Freiheit zu ſuchen; in der Neuen Welt aber ſind die Kordilleren bis zu 3900 m Meereshöhe bewohnt. Die Menſchen tragen ihre bürgerlichen Zwiſte wie ihre kleinlichen, gehäſſigen Leiden- ſchaften mit hinauf. Auf dem Rücken der Anden, wo die Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten ge- führt hat, ſtehen Spielhäuſer, und in dieſen weiten Einöden, faſt über der Region der Wolken, in einer Naturumgebung, die dem Geiſte höheren Schwung geben ſollte, wird gar oft durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen oder einen Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien geſtört.
Ob man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt oder nach Südoſt, nach dem gezackten Felskamm, der ſchein- bar die Cumbre mit der Silla verbindet, während die Schlucht (Quebrada) Tocume dazwiſchen liegt, überall bewundert man
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Als ich zum erſtenmal über dieſe Hochebene nach der
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ſie ſtritten über den Aufſtand zur Befreiung des Landes, der
kurz zuvor ſtattgefunden. Joſeph España hatte auf dem
Schafott geendet; ſein Weib ſchmachtete im Gefängnis, weil
ſie ihren Mann auf der Flucht bei ſich aufgenommen und
nicht der Regierung angegeben hatte. Die Aufregung der
Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen ſtritt, über
die Landsleute nie verſchiedener Meinung ſein ſollten, fielen
mir ungemein auf. Während man ein langes und breites
über den Haß der Mulatten gegen die freien Neger und die
Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die
man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten, verhandelte,
hüllte uns ein kalter Wind, der vom hohen Gipfel der Silla
herabzukommen ſchien, in einen dicken Nebel und machte
der lebhaften Unterhaltung ein Ende; man ſuchte Schutz in
der Venta. In der Wirtsſtube machte ein bejahrter Mann,
der vorhin am ruhigſten geſprochen hatte, die anderen darauf
aufmerkſam, wie unvorſichtig es ſei, zu einer Zeit, wo überall
Angeber lauern, ſei es auf dem Berge oder in der Stadt,
über politiſche Gegenſtände zu verhandeln. Dieſe in der Berg-
einöde geſprochenen Worte machten einen tiefen Eindruck auf
mich, und ich ſollte denſelben auf unſeren Reiſen durch die
Anden von Neugranada und Peru noch oft erhalten. In
Europa, wo die Völker ihre Streitigkeiten in den Ebenen
ſchlichten, ſteigt man auf die Berge, um Einſamkeit und
Freiheit zu ſuchen; in der Neuen Welt aber ſind die Kordilleren
bis zu 3900 m Meereshöhe bewohnt. Die Menſchen tragen
ihre bürgerlichen Zwiſte wie ihre kleinlichen, gehäſſigen Leiden-
ſchaften mit hinauf. Auf dem Rücken der Anden, wo die
Entdeckung von Erzgängen zur Gründung von Städten ge-
führt hat, ſtehen Spielhäuſer, und in dieſen weiten Einöden,
faſt über der Region der Wolken, in einer Naturumgebung,
die dem Geiſte höheren Schwung geben ſollte, wird gar oft
durch die Kunde, daß der Hof ein Ordenszeichen oder einen
Titel nicht bewilligt habe, das Glück der Familien geſtört.
Ob man auf den weiten Meereshorizont hinausblickt
oder nach Südoſt, nach dem gezackten Felskamm, der ſchein-
bar die Cumbre mit der Silla verbindet, während die Schlucht
(Quebrada) Tocume dazwiſchen liegt, überall bewundert man
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/100>, abgerufen am 27.11.2024.
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