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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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die sich um sehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte
Orangenbäume, Myrten und Cypressen umgeben Kapellen,
welche die Andacht auf freistehenden Hügeln errichtet hat.
Ueberall sind die Grundstücke durch Hecken von Agave und
Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamische Gewächse, zumal
Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Wasser-
quellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der
Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt ist, genießt man in diesem
Landstrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag
sich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Be-
völkerung der Küste ist hier sehr stark; sie erscheint noch größer,
weil Häuser und Gärten zerstreut liegen, was den Reiz der
Landschaft noch erhöht. Leider steht der Wohlstand der Be-
wohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur
im Verhältnis. Die das Land bauen, sind meist nicht Eigen-
tümer desselben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel,
und das Lehnssystem, das so lange ganz Europa unglücklich
gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner
Blüte gelangen.

Von Tegueste und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan
de la Rambla, berühmt durch seinen trefflichen Malvasier, ist
die Küste wie ein Garten angebaut. Ich möchte sie mit der
Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur ist die
Westseite von Tenerifa unendlich schöner wegen der Nähe des
Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Ansicht bietet.
Der Anblick dieses Berges ist nicht allein wegen seiner impo-
santen Masse anziehend; er beschäftigt lebhaft den Geist und
läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkanischen Kräfte
nachdenken. Seit Tausenden von Jahren ist kein Lichtschimmer
auf der Spitze des Piton gesehen worden, aber ungeheure
Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweisen
die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöschenden Feuers.
Der Anblick eines Feuerschlundes mitten in einem fruchtbaren
Lande mit reichem Anbau hat indessen etwas Niederschlagen-
des. Die Geschichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane
wieder zerstören, was sie in einer langen Reihe von Jahr-
hunderten aufgebaut. Inseln, welche die unterirdischen Feuer
über die Fluten emporgehoben, schmücken sich allmählich mit
reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden diese neuen
Länder durch dieselben Kräfte zerstört, durch die sie vom Boden
des Ozeans über seine Fläche gelangt sind. Vielleicht waren
Eilande, die jetzt nichts sind als Schlacken- und Aschenhaufen,

die ſich um ſehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte
Orangenbäume, Myrten und Cypreſſen umgeben Kapellen,
welche die Andacht auf freiſtehenden Hügeln errichtet hat.
Ueberall ſind die Grundſtücke durch Hecken von Agave und
Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamiſche Gewächſe, zumal
Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Waſſer-
quellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der
Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt iſt, genießt man in dieſem
Landſtrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag
ſich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Be-
völkerung der Küſte iſt hier ſehr ſtark; ſie erſcheint noch größer,
weil Häuſer und Gärten zerſtreut liegen, was den Reiz der
Landſchaft noch erhöht. Leider ſteht der Wohlſtand der Be-
wohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur
im Verhältnis. Die das Land bauen, ſind meiſt nicht Eigen-
tümer desſelben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel,
und das Lehnsſyſtem, das ſo lange ganz Europa unglücklich
gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner
Blüte gelangen.

Von Tegueſte und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan
de la Rambla, berühmt durch ſeinen trefflichen Malvaſier, iſt
die Küſte wie ein Garten angebaut. Ich möchte ſie mit der
Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur iſt die
Weſtſeite von Tenerifa unendlich ſchöner wegen der Nähe des
Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Anſicht bietet.
Der Anblick dieſes Berges iſt nicht allein wegen ſeiner impo-
ſanten Maſſe anziehend; er beſchäftigt lebhaft den Geiſt und
läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkaniſchen Kräfte
nachdenken. Seit Tauſenden von Jahren iſt kein Lichtſchimmer
auf der Spitze des Piton geſehen worden, aber ungeheure
Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweiſen
die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöſchenden Feuers.
Der Anblick eines Feuerſchlundes mitten in einem fruchtbaren
Lande mit reichem Anbau hat indeſſen etwas Niederſchlagen-
des. Die Geſchichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane
wieder zerſtören, was ſie in einer langen Reihe von Jahr-
hunderten aufgebaut. Inſeln, welche die unterirdiſchen Feuer
über die Fluten emporgehoben, ſchmücken ſich allmählich mit
reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden dieſe neuen
Länder durch dieſelben Kräfte zerſtört, durch die ſie vom Boden
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Eilande, die jetzt nichts ſind als Schlacken- und Aſchenhaufen,

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[68/0084] die ſich um ſehr hohe Spaliere ranken. Mit Blüten bedeckte Orangenbäume, Myrten und Cypreſſen umgeben Kapellen, welche die Andacht auf freiſtehenden Hügeln errichtet hat. Ueberall ſind die Grundſtücke durch Hecken von Agave und Kaktus eingefriedigt. Unzählige kryptogamiſche Gewächſe, zumal Farne, bekleiden die Mauern, die von kleinen klaren Waſſer- quellen feucht erhalten werden. Im Winter, während der Vulkan mit Eis und Schnee bedeckt iſt, genießt man in dieſem Landſtrich eines ewigen Frühlings. Sommers, wenn der Tag ſich neigt, bringt der Seewind angenehme Kühlung. Die Be- völkerung der Küſte iſt hier ſehr ſtark; ſie erſcheint noch größer, weil Häuſer und Gärten zerſtreut liegen, was den Reiz der Landſchaft noch erhöht. Leider ſteht der Wohlſtand der Be- wohner weder mit ihrem Fleiße, noch mit der Fülle der Natur im Verhältnis. Die das Land bauen, ſind meiſt nicht Eigen- tümer desſelben; die Frucht ihrer Arbeit gehört dem Adel, und das Lehnsſyſtem, das ſo lange ganz Europa unglücklich gemacht hat, läßt noch heute das Volk der Kanarien zu keiner Blüte gelangen. Von Tegueſte und Tacoronte bis zum Dorfe San Juan de la Rambla, berühmt durch ſeinen trefflichen Malvaſier, iſt die Küſte wie ein Garten angebaut. Ich möchte ſie mit der Umgegend von Capua oder Valencia vergleichen, nur iſt die Weſtſeite von Tenerifa unendlich ſchöner wegen der Nähe des Piks, der bei jedem Schritt wieder eine andere Anſicht bietet. Der Anblick dieſes Berges iſt nicht allein wegen ſeiner impo- ſanten Maſſe anziehend; er beſchäftigt lebhaft den Geiſt und läßt uns den geheimnisvollen Quellen der vulkaniſchen Kräfte nachdenken. Seit Tauſenden von Jahren iſt kein Lichtſchimmer auf der Spitze des Piton geſehen worden, aber ungeheure Seitenausbrüche, deren letzter im Jahre 1798 erfolgte, beweiſen die fortwährende Thätigkeit eines nicht erlöſchenden Feuers. Der Anblick eines Feuerſchlundes mitten in einem fruchtbaren Lande mit reichem Anbau hat indeſſen etwas Niederſchlagen- des. Die Geſchichte des Erdballes lehrt uns, daß die Vulkane wieder zerſtören, was ſie in einer langen Reihe von Jahr- hunderten aufgebaut. Inſeln, welche die unterirdiſchen Feuer über die Fluten emporgehoben, ſchmücken ſich allmählich mit reichem, lachendem Grün; aber gar oft werden dieſe neuen Länder durch dieſelben Kräfte zerſtört, durch die ſie vom Boden des Ozeans über ſeine Fläche gelangt ſind. Vielleicht waren Eilande, die jetzt nichts ſind als Schlacken- und Aſchenhaufen,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/84>, abgerufen am 27.04.2024.