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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Spanien gehen Orangen- und Dattelbäume nicht zu Grunde,
wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Im allge-
meinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung,
daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und so-
mit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger
empfindlich sind, als solche, die in einem Erdreich wachsen,
das ihnen nur wenig Nahrungssäfte bietet. 1

Zwischen der Stadt Laguna und dem Hafen von Oro-
tava und der Westküste von Tenerifa kommt man zuerst durch
ein hügeliges Land mit schwarzer thoniger Dammerde, in der
man hin und wieder kleine Augitkristalle findet. Wahrschein-
lich reißt das Wasser diese Kristalle vom anstehenden Gestein
ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eisenhaltige
Flözschichten den Boden der geologischen Untersuchung. Nur
in einigen Schluchten kommen säulenförmige, etwas gebogene
Basalte zu Tag, und darüber sehr neue, den vulkanischen
Tuffen ähnliche Mengsteine. In denselben sind Bruchstücke
des unterliegenden Basaltes eingeschlossen, und wie versichert
wird, finden sich Versteinerungen von Seetieren darin; ganz
dasselbe kommt im Vicentinischen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt
man das herrliche Land, von dem die Reisenden aller Nationen
mit Begeisterung sprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel
Landschaften gesehen, wo die Natur großartiger ist, reicher in
der Entwickelung organischer Formen; aber nachdem ich die
Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die schönen
Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich gestehen, nirgends
ein so mannigfaltiges, so anziehendes, durch die Verteilung
von Grün und Felsmassen so harmonisches Gemälde vor mir
gehabt zu haben.

Das Meeresufer schmücken Dattelpalmen und Kokosnuß-
bäume; weiter oben stechen Bananengebüsche von Drachen-
bäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlan-
genleib vergleicht. Die Abhänge sind mit Reben bepflanzt,

1 Die Schwäche der Lebenskraft zeigt sich auch an den Maul-
beerbäumen, die auf magerem sandigen Boden in der Nähe des
Baltischen Meeres gezogen werden. Die Spätfröste thun ihnen weit
weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt
ein Frost von 5° unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume
nicht um. Diese Bäume, die weniger empfindlich sind als Zitronen,
erfrieren nach Galesio erst bei -- 16° der hundertteiligen Skale.

Spanien gehen Orangen- und Dattelbäume nicht zu Grunde,
wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Im allge-
meinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung,
daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und ſo-
mit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger
empfindlich ſind, als ſolche, die in einem Erdreich wachſen,
das ihnen nur wenig Nahrungsſäfte bietet. 1

Zwiſchen der Stadt Laguna und dem Hafen von Oro-
tava und der Weſtküſte von Tenerifa kommt man zuerſt durch
ein hügeliges Land mit ſchwarzer thoniger Dammerde, in der
man hin und wieder kleine Augitkriſtalle findet. Wahrſchein-
lich reißt das Waſſer dieſe Kriſtalle vom anſtehenden Geſtein
ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eiſenhaltige
Flözſchichten den Boden der geologiſchen Unterſuchung. Nur
in einigen Schluchten kommen ſäulenförmige, etwas gebogene
Baſalte zu Tag, und darüber ſehr neue, den vulkaniſchen
Tuffen ähnliche Mengſteine. In denſelben ſind Bruchſtücke
des unterliegenden Baſaltes eingeſchloſſen, und wie verſichert
wird, finden ſich Verſteinerungen von Seetieren darin; ganz
dasſelbe kommt im Vicentiniſchen bei Montechio maggiore vor.

Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt
man das herrliche Land, von dem die Reiſenden aller Nationen
mit Begeiſterung ſprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel
Landſchaften geſehen, wo die Natur großartiger iſt, reicher in
der Entwickelung organiſcher Formen; aber nachdem ich die
Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die ſchönen
Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich geſtehen, nirgends
ein ſo mannigfaltiges, ſo anziehendes, durch die Verteilung
von Grün und Felsmaſſen ſo harmoniſches Gemälde vor mir
gehabt zu haben.

Das Meeresufer ſchmücken Dattelpalmen und Kokosnuß-
bäume; weiter oben ſtechen Bananengebüſche von Drachen-
bäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlan-
genleib vergleicht. Die Abhänge ſind mit Reben bepflanzt,

1 Die Schwäche der Lebenskraft zeigt ſich auch an den Maul-
beerbäumen, die auf magerem ſandigen Boden in der Nähe des
Baltiſchen Meeres gezogen werden. Die Spätfröſte thun ihnen weit
weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt
ein Froſt von 5° unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume
nicht um. Dieſe Bäume, die weniger empfindlich ſind als Zitronen,
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[67/0083] Spanien gehen Orangen- und Dattelbäume nicht zu Grunde, wenn es auch bei Nacht zwei Grad Kälte hat. Im allge- meinen macht man beim Garten- und Landbau die Bemerkung, daß Pflanzen in fruchtbarem Boden weniger zärtlich und ſo- mit auch für ungewöhnlich niedrige Temperaturgrade weniger empfindlich ſind, als ſolche, die in einem Erdreich wachſen, das ihnen nur wenig Nahrungsſäfte bietet. 1 Zwiſchen der Stadt Laguna und dem Hafen von Oro- tava und der Weſtküſte von Tenerifa kommt man zuerſt durch ein hügeliges Land mit ſchwarzer thoniger Dammerde, in der man hin und wieder kleine Augitkriſtalle findet. Wahrſchein- lich reißt das Waſſer dieſe Kriſtalle vom anſtehenden Geſtein ab, wie zu Frascati bei Rom. Leider entziehen eiſenhaltige Flözſchichten den Boden der geologiſchen Unterſuchung. Nur in einigen Schluchten kommen ſäulenförmige, etwas gebogene Baſalte zu Tag, und darüber ſehr neue, den vulkaniſchen Tuffen ähnliche Mengſteine. In denſelben ſind Bruchſtücke des unterliegenden Baſaltes eingeſchloſſen, und wie verſichert wird, finden ſich Verſteinerungen von Seetieren darin; ganz dasſelbe kommt im Vicentiniſchen bei Montechio maggiore vor. Wenn man ins Thal von Tacoronte hinabkommt, betritt man das herrliche Land, von dem die Reiſenden aller Nationen mit Begeiſterung ſprechen. Ich habe im heißen Erdgürtel Landſchaften geſehen, wo die Natur großartiger iſt, reicher in der Entwickelung organiſcher Formen; aber nachdem ich die Ufer des Orinoko, die Kordilleren von Peru und die ſchönen Thäler von Mexiko durchwandert, muß ich geſtehen, nirgends ein ſo mannigfaltiges, ſo anziehendes, durch die Verteilung von Grün und Felsmaſſen ſo harmoniſches Gemälde vor mir gehabt zu haben. Das Meeresufer ſchmücken Dattelpalmen und Kokosnuß- bäume; weiter oben ſtechen Bananengebüſche von Drachen- bäumen ab, deren Stamm man ganz richtig mit einem Schlan- genleib vergleicht. Die Abhänge ſind mit Reben bepflanzt, 1 Die Schwäche der Lebenskraft zeigt ſich auch an den Maul- beerbäumen, die auf magerem ſandigen Boden in der Nähe des Baltiſchen Meeres gezogen werden. Die Spätfröſte thun ihnen weit weher als den Maulbeerbäumen in Piemont. In Italien bringt ein Froſt von 5° unter dem Gefrierpunkt kräftige Orangenbäume nicht um. Dieſe Bäume, die weniger empfindlich ſind als Zitronen, erfrieren nach Galeſio erſt bei — 16° der hundertteiligen Skale.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/83>, abgerufen am 19.04.2024.