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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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klären, und wie sollte man es glaublich finden, daß sich das
Wasser am Fuße der Klippen in die Tiefe stürzt, und daß
bei diesem fortwährenden Zug nach unten die Wasserteilchen
den entstehenden leeren Raum auszufüllen suchen? 1

Am 18. morgens wurde der Wind etwas frischer, und
so gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen
dem Infierno noch einmal sehr nahe, und jetzt bemerkten wir
im Gestein große Spalten, durch welche wahrscheinlich die
Gase entwichen, als die Basaltkuppe emporgehoben wurde.
Wir verloren die kleinen Inseln Alegranza, Montanna Clara
und Graciosa aus dem Gesicht. Sie scheinen nie von Guanchen
bewohnt gewesen zu sein und man besucht sie jetzt nur, um
Orseille dort zu sammeln; diese Pflanze ist übrigens weniger
gesucht, seit so viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen
Europa kostbare Farbstoffe liefern. Montanna Clara ist be-
rühmt wegen der schönen Kanarienvögel, die dort vorkommen.
Der Gesang dieser Vögel wechselt nach Schwärmen, wie ja
auch bei uns der Gesang der Finken in zwei benachbarten
Landstrichen häufig ein anderer ist. Auf Montanna Clara gibt
es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren
nicht so öde ist als die Küste, die wir gesehen. Der Name
Alegranza kommt her von "La Joyeuse", wie die ersten Er-
oberer der Kanarien, zwei normännische Barone, Jean de
Bethencourt und Gadifer de Salle, die Insel benannten. Es
war der erste Punkt, wo sie gelandet. Nach einem Aufent-
halt von einigen Tagen auf der Insel Graciosa, von der wir
ein kleines Stück gesehen, beschlossen sie sich der benachbarten
Insel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia,
dem Häuptling der Guanchen, so gastfreundlich empfangen,
wie Cortez im Palast Montezumas. Der Hirtenkönig, der
keine anderen Schätze hatte als seine Ziegen, wurde so schmäh-
lich verraten, wie der mexikanische Sultan.

Wir fuhren an den Küsten von Lanzarote, Lobos und
Fuerteventura hin. Die zweite scheint früher mit den anderen
zusammengehangen zu haben. Diese geologische Hypothese

1 Mit Verwunderung liest man in einem sonst ganz nützlichen,
unter den Seeleuten sehr verbreiteten Buche, in der neunten Aus-
gabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, in-
folge der Massenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein
Fahrzeug schwer von der Küste weg und werde die Schaluppe einer
Fregatte von dieser selbst angezogen.

klären, und wie ſollte man es glaublich finden, daß ſich das
Waſſer am Fuße der Klippen in die Tiefe ſtürzt, und daß
bei dieſem fortwährenden Zug nach unten die Waſſerteilchen
den entſtehenden leeren Raum auszufüllen ſuchen? 1

Am 18. morgens wurde der Wind etwas friſcher, und
ſo gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen
dem Infierno noch einmal ſehr nahe, und jetzt bemerkten wir
im Geſtein große Spalten, durch welche wahrſcheinlich die
Gaſe entwichen, als die Baſaltkuppe emporgehoben wurde.
Wir verloren die kleinen Inſeln Alegranza, Montaña Clara
und Gracioſa aus dem Geſicht. Sie ſcheinen nie von Guanchen
bewohnt geweſen zu ſein und man beſucht ſie jetzt nur, um
Orſeille dort zu ſammeln; dieſe Pflanze iſt übrigens weniger
geſucht, ſeit ſo viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen
Europa koſtbare Farbſtoffe liefern. Montaña Clara iſt be-
rühmt wegen der ſchönen Kanarienvögel, die dort vorkommen.
Der Geſang dieſer Vögel wechſelt nach Schwärmen, wie ja
auch bei uns der Geſang der Finken in zwei benachbarten
Landſtrichen häufig ein anderer iſt. Auf Montaña Clara gibt
es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren
nicht ſo öde iſt als die Küſte, die wir geſehen. Der Name
Alegranza kommt her von „La Joyeuſe“, wie die erſten Er-
oberer der Kanarien, zwei normänniſche Barone, Jean de
Béthencourt und Gadifer de Salle, die Inſel benannten. Es
war der erſte Punkt, wo ſie gelandet. Nach einem Aufent-
halt von einigen Tagen auf der Inſel Gracioſa, von der wir
ein kleines Stück geſehen, beſchloſſen ſie ſich der benachbarten
Inſel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia,
dem Häuptling der Guanchen, ſo gaſtfreundlich empfangen,
wie Cortez im Palaſt Montezumas. Der Hirtenkönig, der
keine anderen Schätze hatte als ſeine Ziegen, wurde ſo ſchmäh-
lich verraten, wie der mexikaniſche Sultan.

Wir fuhren an den Küſten von Lanzarote, Lobos und
Fuerteventura hin. Die zweite ſcheint früher mit den anderen
zuſammengehangen zu haben. Dieſe geologiſche Hypotheſe

1 Mit Verwunderung lieſt man in einem ſonſt ganz nützlichen,
unter den Seeleuten ſehr verbreiteten Buche, in der neunten Aus-
gabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, in-
folge der Maſſenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein
Fahrzeug ſchwer von der Küſte weg und werde die Schaluppe einer
Fregatte von dieſer ſelbſt angezogen.
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[48/0064] klären, und wie ſollte man es glaublich finden, daß ſich das Waſſer am Fuße der Klippen in die Tiefe ſtürzt, und daß bei dieſem fortwährenden Zug nach unten die Waſſerteilchen den entſtehenden leeren Raum auszufüllen ſuchen? 1 Am 18. morgens wurde der Wind etwas friſcher, und ſo gelang es uns, aus dem Kanal zu kommen. Wir kamen dem Infierno noch einmal ſehr nahe, und jetzt bemerkten wir im Geſtein große Spalten, durch welche wahrſcheinlich die Gaſe entwichen, als die Baſaltkuppe emporgehoben wurde. Wir verloren die kleinen Inſeln Alegranza, Montaña Clara und Gracioſa aus dem Geſicht. Sie ſcheinen nie von Guanchen bewohnt geweſen zu ſein und man beſucht ſie jetzt nur, um Orſeille dort zu ſammeln; dieſe Pflanze iſt übrigens weniger geſucht, ſeit ſo viele andere Flechtenarten aus dem nördlichen Europa koſtbare Farbſtoffe liefern. Montaña Clara iſt be- rühmt wegen der ſchönen Kanarienvögel, die dort vorkommen. Der Geſang dieſer Vögel wechſelt nach Schwärmen, wie ja auch bei uns der Geſang der Finken in zwei benachbarten Landſtrichen häufig ein anderer iſt. Auf Montaña Clara gibt es auch Ziegen, zum Beweis, daß das Eiland im Inneren nicht ſo öde iſt als die Küſte, die wir geſehen. Der Name Alegranza kommt her von „La Joyeuſe“, wie die erſten Er- oberer der Kanarien, zwei normänniſche Barone, Jean de Béthencourt und Gadifer de Salle, die Inſel benannten. Es war der erſte Punkt, wo ſie gelandet. Nach einem Aufent- halt von einigen Tagen auf der Inſel Gracioſa, von der wir ein kleines Stück geſehen, beſchloſſen ſie ſich der benachbarten Inſel Lanzarote zu bemächtigen, und wurden von Guadarfia, dem Häuptling der Guanchen, ſo gaſtfreundlich empfangen, wie Cortez im Palaſt Montezumas. Der Hirtenkönig, der keine anderen Schätze hatte als ſeine Ziegen, wurde ſo ſchmäh- lich verraten, wie der mexikaniſche Sultan. Wir fuhren an den Küſten von Lanzarote, Lobos und Fuerteventura hin. Die zweite ſcheint früher mit den anderen zuſammengehangen zu haben. Dieſe geologiſche Hypotheſe 1 Mit Verwunderung lieſt man in einem ſonſt ganz nützlichen, unter den Seeleuten ſehr verbreiteten Buche, in der neunten Aus- gabe des Practical Navigator von Hamilton Moore, S. 200, in- folge der Maſſenattraktion oder der allgemeinen Schwere komme ein Fahrzeug ſchwer von der Küſte weg und werde die Schaluppe einer Fregatte von dieſer ſelbſt angezogen.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/64>, abgerufen am 24.11.2024.