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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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wurde schon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner,
Juan Galindo, aufgestellt. Er war sogar der Ansicht,
König Juba habe nur sechs Kanarische Inseln genannt, weil
zu seiner Zeit drei derselben nur eine gebildet. Ohne auf
diese unwahrscheinliche Hypothese einzugehen, haben gelehrte
Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inseln
Junonia, die Inseln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria
der Alten erklärt.

Da der Horizont dunstig war, konnten wir auf der ganzen
Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik
de Teyde nicht ansichtig werden. Ist der Vulkan wirklich
3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometrische Messung an-
gibt, so muß sein Gipfel auf 80 km zu sehen sein, das Auge
am Meeresspiegel angenommen und die Refraktion gleich
0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der
Pik im Kanal zwischen Lanzarote und Fuerteventura, der nach
Varelas Karte 2° 20' oder gegen 225 km davon entfernt ist,
je gesehen worden sei. Der Punkt scheint indessen durch einige
Offiziere der königlich spanischen Marine entschieden worden
zu sein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffs-
tagebuch in Händen gehabt, in dem stand, der Pik von Tene-
rifa sei in 250 km Entfernung beim südlichen Vorgebirge von
Lanzarote, genannt Pichiguera, gesehen worden, und zwar er-
schien der Gipfel unter einem so großen Winkel, daß der
Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte
noch 40,5 km weiter weg gesehen werden können. Das war
im September, gegen Abend, bei sehr feuchtem Wetter. Rechnet
man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, so finde
ich, daß man, um die Erscheinung zu erklären, eine Refraktion
gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die ge-
mäßigte Zone nicht außerordentlich viel ist. Nach den Beob-
achtungen des Generals Roy schwanken in England die Re-
fraktionen zwischen 1/20 und 1/3 , und wenn es wahr ist, daß
sie an der Küste von Afrika diese äußersten Grenzen erreichen,
woran ich sehr zweifle, so könnte unter gewissen Umständen
der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km gesehen werden.

Seeleute, die häufig diese Striche befahren und über die
Ursachen der Naturerscheinungen nachdenken, wundern sich,
daß der Pik de Teyde und der der Azoren 1 zuweilen in sehr

1 Die Höhe dieses Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m,
nach Ferrer 2413, nach Tofinno 2457, aber diese Maße sind nur
A. v. Humboldt, Reise. I. 4

wurde ſchon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner,
Juan Galindo, aufgeſtellt. Er war ſogar der Anſicht,
König Juba habe nur ſechs Kanariſche Inſeln genannt, weil
zu ſeiner Zeit drei derſelben nur eine gebildet. Ohne auf
dieſe unwahrſcheinliche Hypotheſe einzugehen, haben gelehrte
Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inſeln
Junonia, die Inſeln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria
der Alten erklärt.

Da der Horizont dunſtig war, konnten wir auf der ganzen
Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik
de Teyde nicht anſichtig werden. Iſt der Vulkan wirklich
3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometriſche Meſſung an-
gibt, ſo muß ſein Gipfel auf 80 km zu ſehen ſein, das Auge
am Meeresſpiegel angenommen und die Refraktion gleich
0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der
Pik im Kanal zwiſchen Lanzarote und Fuerteventura, der nach
Varelas Karte 2° 20′ oder gegen 225 km davon entfernt iſt,
je geſehen worden ſei. Der Punkt ſcheint indeſſen durch einige
Offiziere der königlich ſpaniſchen Marine entſchieden worden
zu ſein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffs-
tagebuch in Händen gehabt, in dem ſtand, der Pik von Tene-
rifa ſei in 250 km Entfernung beim ſüdlichen Vorgebirge von
Lanzarote, genannt Pichiguera, geſehen worden, und zwar er-
ſchien der Gipfel unter einem ſo großen Winkel, daß der
Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte
noch 40,5 km weiter weg geſehen werden können. Das war
im September, gegen Abend, bei ſehr feuchtem Wetter. Rechnet
man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, ſo finde
ich, daß man, um die Erſcheinung zu erklären, eine Refraktion
gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die ge-
mäßigte Zone nicht außerordentlich viel iſt. Nach den Beob-
achtungen des Generals Roy ſchwanken in England die Re-
fraktionen zwiſchen 1/20 und ⅓, und wenn es wahr iſt, daß
ſie an der Küſte von Afrika dieſe äußerſten Grenzen erreichen,
woran ich ſehr zweifle, ſo könnte unter gewiſſen Umſtänden
der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km geſehen werden.

Seeleute, die häufig dieſe Striche befahren und über die
Urſachen der Naturerſcheinungen nachdenken, wundern ſich,
daß der Pik de Teyde und der der Azoren 1 zuweilen in ſehr

1 Die Höhe dieſes Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m,
nach Ferrer 2413, nach Tofiño 2457, aber dieſe Maße ſind nur
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[49/0065] wurde ſchon im 17. Jahrhundert von einem Franziskaner, Juan Galindo, aufgeſtellt. Er war ſogar der Anſicht, König Juba habe nur ſechs Kanariſche Inſeln genannt, weil zu ſeiner Zeit drei derſelben nur eine gebildet. Ohne auf dieſe unwahrſcheinliche Hypotheſe einzugehen, haben gelehrte Geographen den Archipel der Kanarien für die beiden Inſeln Junonia, die Inſeln Nivaria, Ombrios, Canaria und Capraria der Alten erklärt. Da der Horizont dunſtig war, konnten wir auf der ganzen Ueberfahrt von Lanzarote nach Tenerifa des Gipfels des Pik de Teyde nicht anſichtig werden. Iſt der Vulkan wirklich 3712 m hoch, wie Bordas letzte trigonometriſche Meſſung an- gibt, ſo muß ſein Gipfel auf 80 km zu ſehen ſein, das Auge am Meeresſpiegel angenommen und die Refraktion gleich 0,079 der Entfernung. Man hat in Zweifel gezogen, ob der Pik im Kanal zwiſchen Lanzarote und Fuerteventura, der nach Varelas Karte 2° 20′ oder gegen 225 km davon entfernt iſt, je geſehen worden ſei. Der Punkt ſcheint indeſſen durch einige Offiziere der königlich ſpaniſchen Marine entſchieden worden zu ſein; ich habe an Bord der Korvette Pizarro ein Schiffs- tagebuch in Händen gehabt, in dem ſtand, der Pik von Tene- rifa ſei in 250 km Entfernung beim ſüdlichen Vorgebirge von Lanzarote, genannt Pichiguera, geſehen worden, und zwar er- ſchien der Gipfel unter einem ſo großen Winkel, daß der Beobachter, Don Manuel Bazuti, glaubt, der Vulkan hätte noch 40,5 km weiter weg geſehen werden können. Das war im September, gegen Abend, bei ſehr feuchtem Wetter. Rechnet man 4,87 m als Erhöhung des Auges über der See, ſo finde ich, daß man, um die Erſcheinung zu erklären, eine Refraktion gleich 0,158 des Bogens anzunehmen hat, was für die ge- mäßigte Zone nicht außerordentlich viel iſt. Nach den Beob- achtungen des Generals Roy ſchwanken in England die Re- fraktionen zwiſchen 1/20 und ⅓, und wenn es wahr iſt, daß ſie an der Küſte von Afrika dieſe äußerſten Grenzen erreichen, woran ich ſehr zweifle, ſo könnte unter gewiſſen Umſtänden der Pik vom Verdeck eines Schiffes auf 113 km geſehen werden. Seeleute, die häufig dieſe Striche befahren und über die Urſachen der Naturerſcheinungen nachdenken, wundern ſich, daß der Pik de Teyde und der der Azoren 1 zuweilen in ſehr 1 Die Höhe dieſes Piks beträgt nach de Fleurieu 2144 m, nach Ferrer 2413, nach Tofiño 2457, aber dieſe Maße ſind nur A. v. Humboldt, Reiſe. I. 4

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/65>, abgerufen am 19.04.2024.