bewahren lassen, so daß man sie im günstigsten Zeitpunkte losschlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort- schreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten und Charakter der Küstenbewohner erlitten, haben auch be- stimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt diesem und jenem Kultur- zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der sinnlichen Be- gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe, welche die trübselige Eintönigkeit des einsamen Lebens ertragen läßt, verschwinden nach und nach aus dem Charakter der Hispano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtsinniger, beweglicher und werfen sich mehr auf Unternehmungen, die einen raschen Ertrag geben.
Nur im Inneren der Provinz, ostwärts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbusen von Paria entstehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort desto ein- träglicher, je mehr die Luft über dem frisch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande stockt, je mehr sie mit Wasser und mephitischen Dünsten geschwängert ist. Hier leben Fa- milienväter, welche, treu den alten Sitten der Kolonisten, sich und ihren Kindern langsam, aber sicher Wohlstand erarbeiten. Sie behelfen sich bei ihrer mühsamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume, beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen die Massen von Würmern und Insekten, welche Rinde, Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig- tausend Stämme sichern den Wohlstand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaca beschränkt worden ist, so hat dagegen letzterer Zweig der Kolonialindustrie im Inneren der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Kakaopflanzungen sich von West nach Ost mehr und mehr ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die am frühesten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht ist, desto baumloser wird es in der heißen Zone, desto dürrer, desto mehr den Winden ausgesetzt. Dieser Wechsel in der äußeren Natur ist dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich, und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas
bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort- ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be- ſtimmend mitgewirkt, wenn ſie jetzt dieſem und jenem Kultur- zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be- gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe, welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger, beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die einen raſchen Ertrag geben.
Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein- träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa- milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten. Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde, Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig- tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer, deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich, und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas
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[292/0308]
bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte
losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort-
ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten
und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be-
ſtimmend mitgewirkt, wenn ſie jetzt dieſem und jenem Kultur-
zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be-
gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe,
welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen
läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der
Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger,
beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die
einen raſchen Ertrag geben.
Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra
de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an
durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria
entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein-
träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten,
von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer
und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa-
milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich
und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten.
Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen
Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen
die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der
Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen
die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde,
Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und
unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben,
bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig-
tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf
anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und
den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und
im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat
dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der
Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum
die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr
ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die
am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht
iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer,
deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der
äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich,
und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/308>, abgerufen am 19.04.2024.
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