Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

bewahren lassen, so daß man sie im günstigsten Zeitpunkte
losschlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort-
schreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten
und Charakter der Küstenbewohner erlitten, haben auch be-
stimmend mitgewirkt, wenn sie jetzt diesem und jenem Kultur-
zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der sinnlichen Be-
gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe,
welche die trübselige Eintönigkeit des einsamen Lebens ertragen
läßt, verschwinden nach und nach aus dem Charakter der
Hispano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtsinniger,
beweglicher und werfen sich mehr auf Unternehmungen, die
einen raschen Ertrag geben.

Nur im Inneren der Provinz, ostwärts von der Sierra
de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an
durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbusen von Paria
entstehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort desto ein-
träglicher, je mehr die Luft über dem frisch urbar gemachten,
von Wäldern umgebenen Lande stockt, je mehr sie mit Wasser
und mephitischen Dünsten geschwängert ist. Hier leben Fa-
milienväter, welche, treu den alten Sitten der Kolonisten, sich
und ihren Kindern langsam, aber sicher Wohlstand erarbeiten.
Sie behelfen sich bei ihrer mühsamen Arbeit mit einem einzigen
Sklaven; sie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen
die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der
Bananenbäume, beschneiden den erwachsenen Baum, vertilgen
die Massen von Würmern und Insekten, welche Rinde,
Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und
unterziehen sich sieben, acht Jahre lang einem elenden Leben,
bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig-
tausend Stämme sichern den Wohlstand einer Familie auf
anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und
den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und
im kleinen Thale von Cariaca beschränkt worden ist, so hat
dagegen letzterer Zweig der Kolonialindustrie im Inneren der
Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum
die Kakaopflanzungen sich von West nach Ost mehr und mehr
ausbreiten, ist leicht einzusehen. Die Provinz Caracas ist die
am frühesten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht
ist, desto baumloser wird es in der heißen Zone, desto dürrer,
desto mehr den Winden ausgesetzt. Dieser Wechsel in der
äußeren Natur ist dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich,
und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas

bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte
losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort-
ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten
und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be-
ſtimmend mitgewirkt, wenn ſie jetzt dieſem und jenem Kultur-
zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be-
gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe,
welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen
läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der
Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger,
beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die
einen raſchen Ertrag geben.

Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra
de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an
durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria
entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein-
träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten,
von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer
und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa-
milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich
und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten.
Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen
Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen
die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der
Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen
die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde,
Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und
unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben,
bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig-
tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf
anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und
den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und
im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat
dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der
Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum
die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr
ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die
am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht
iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer,
deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der
äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich,
und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0308" n="292"/>
bewahren la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß man &#x017F;ie im gün&#x017F;tig&#x017F;ten Zeitpunkte<lb/>
los&#x017F;chlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort-<lb/>
&#x017F;chreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten<lb/>
und Charakter der Kü&#x017F;tenbewohner erlitten, haben auch be-<lb/>
&#x017F;timmend mitgewirkt, wenn &#x017F;ie jetzt die&#x017F;em und jenem Kultur-<lb/>
zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der &#x017F;innlichen Be-<lb/>
gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe,<lb/>
welche die trüb&#x017F;elige Eintönigkeit des ein&#x017F;amen Lebens ertragen<lb/>
läßt, ver&#x017F;chwinden nach und nach aus dem Charakter der<lb/>
Hi&#x017F;pano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leicht&#x017F;inniger,<lb/>
beweglicher und werfen &#x017F;ich mehr auf Unternehmungen, die<lb/>
einen ra&#x017F;chen Ertrag geben.</p><lb/>
          <p>Nur im Inneren der Provinz, o&#x017F;twärts von der Sierra<lb/>
de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an<lb/>
durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbu&#x017F;en von Paria<lb/>
ent&#x017F;tehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort de&#x017F;to ein-<lb/>
träglicher, je mehr die Luft über dem fri&#x017F;ch urbar gemachten,<lb/>
von Wäldern umgebenen Lande &#x017F;tockt, je mehr &#x017F;ie mit Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
und mephiti&#x017F;chen Dün&#x017F;ten ge&#x017F;chwängert i&#x017F;t. Hier leben Fa-<lb/>
milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloni&#x017F;ten, &#x017F;ich<lb/>
und ihren Kindern lang&#x017F;am, aber &#x017F;icher Wohl&#x017F;tand erarbeiten.<lb/>
Sie behelfen &#x017F;ich bei ihrer müh&#x017F;amen Arbeit mit einem einzigen<lb/>
Sklaven; &#x017F;ie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen<lb/>
die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der<lb/>
Bananenbäume, be&#x017F;chneiden den erwach&#x017F;enen Baum, vertilgen<lb/>
die Ma&#x017F;&#x017F;en von Würmern und In&#x017F;ekten, welche Rinde,<lb/>
Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und<lb/>
unterziehen &#x017F;ich &#x017F;ieben, acht Jahre lang einem elenden Leben,<lb/>
bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig-<lb/>
tau&#x017F;end Stämme &#x017F;ichern den Wohl&#x017F;tand einer Familie auf<lb/>
anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und<lb/>
den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und<lb/>
im kleinen Thale von Cariaca be&#x017F;chränkt worden i&#x017F;t, &#x017F;o hat<lb/>
dagegen letzterer Zweig der Kolonialindu&#x017F;trie im Inneren der<lb/>
Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum<lb/>
die Kakaopflanzungen &#x017F;ich von We&#x017F;t nach O&#x017F;t mehr und mehr<lb/>
ausbreiten, i&#x017F;t leicht einzu&#x017F;ehen. Die Provinz Caracas i&#x017F;t die<lb/>
am frühe&#x017F;ten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht<lb/>
i&#x017F;t, de&#x017F;to baumlo&#x017F;er wird es in der heißen Zone, de&#x017F;to dürrer,<lb/>
de&#x017F;to mehr den Winden ausge&#x017F;etzt. Die&#x017F;er Wech&#x017F;el in der<lb/>
äußeren Natur i&#x017F;t dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich,<lb/>
und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0308] bewahren laſſen, ſo daß man ſie im günſtigſten Zeitpunkte losſchlagen kann. Die Umwandlungen, die infolge der fort- ſchreitenden Kultur und des Verkehres mit Fremden Sitten und Charakter der Küſtenbewohner erlitten, haben auch be- ſtimmend mitgewirkt, wenn ſie jetzt dieſem und jenem Kultur- zweige den Vorzug geben. Jenes Maß in der ſinnlichen Be- gierde, jene Geduld, die lange warten kann, jene Gemütsruhe, welche die trübſelige Eintönigkeit des einſamen Lebens ertragen läßt, verſchwinden nach und nach aus dem Charakter der Hiſpano-Amerikaner. Sie werden unternehmender, leichtſinniger, beweglicher und werfen ſich mehr auf Unternehmungen, die einen raſchen Ertrag geben. Nur im Inneren der Provinz, oſtwärts von der Sierra de Meapire, auf dem unbebauten Boden von Carupano an durch das Thal San Bonifacio bis zum Meerbuſen von Paria entſtehen neue Kakaopflanzungen. Sie werden dort deſto ein- träglicher, je mehr die Luft über dem friſch urbar gemachten, von Wäldern umgebenen Lande ſtockt, je mehr ſie mit Waſſer und mephitiſchen Dünſten geſchwängert iſt. Hier leben Fa- milienväter, welche, treu den alten Sitten der Koloniſten, ſich und ihren Kindern langſam, aber ſicher Wohlſtand erarbeiten. Sie behelfen ſich bei ihrer mühſamen Arbeit mit einem einzigen Sklaven; ſie brechen mit eigener Hand den Boden um, ziehen die jungen Kakaobäume im Schatten der Erythrina und der Bananenbäume, beſchneiden den erwachſenen Baum, vertilgen die Maſſen von Würmern und Inſekten, welche Rinde, Blätter und Blüten anfallen, legen Abzugsgräben an, und unterziehen ſich ſieben, acht Jahre lang einem elenden Leben, bis der Kakaobaum anfängt, Ernten zu liefern. Dreißig- tauſend Stämme ſichern den Wohlſtand einer Familie auf anderthalb Generationen. Wenn durch die Baumwolle und den Kaffee der Bau des Kakao in der Provinz Caracas und im kleinen Thale von Cariaca beſchränkt worden iſt, ſo hat dagegen letzterer Zweig der Kolonialinduſtrie im Inneren der Provinzen Neubarcelona und Cumana zugenommen. Warum die Kakaopflanzungen ſich von Weſt nach Oſt mehr und mehr ausbreiten, iſt leicht einzuſehen. Die Provinz Caracas iſt die am früheſten bebaute; je länger aber ein Land urbar gemacht iſt, deſto baumloſer wird es in der heißen Zone, deſto dürrer, deſto mehr den Winden ausgeſetzt. Dieſer Wechſel in der äußeren Natur iſt dem Gedeihen des Kakaobaumes hinderlich, und deshalb gehen die Pflanzungen in der Provinz Caracas

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/308
Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/308>, abgerufen am 19.04.2024.