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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Gerbstoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der
Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meere
zusammenhängt, ließe sich leicht erweitern und so dem stehen-
den Wasser ein Abfluß verschaffen. Die freien Neger, die das
Sumpfland häufig betreten, versichern sogar, der Durchstich
brauchte gar nicht tief zu sein, da das kalte, klare Wasser des
Rio Azul sich auf dem Boden des Sees befindet und man
beim Nachgraben aus den unteren Schichten trinkbares, geruch-
loses Wasser erhält.

Die Stadt Cariaco ist mehrere Male von den Kariben
verheert worden. Die Bevölkerung hat rasch zugenommen,
seit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes
zuwider, nicht selten dem Handel mit fremden Kolonieen Vor-
schub geleistet haben. Sie hat sich in zehn Jahren verdoppelt
und betrug im Jahre 1800 über 6000 Seelen. Die Ein-
wohner treiben sehr fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle
ist sehr schön und es werden mehr als 10000 Zentner er-
zeugt. Die leeren Hülsen der Baumwolle werden sorgsam
verbrannt; wirft man sie in den Fluß, wo sie faulen, so er-
zeugen sie Ausdünstungen, die man für schädlich hält. Der
Bau des Kakaobaumes hat in letzter Zeit sehr abgenommen.
Dieser köstliche Baum trägt erst im achten bis zehnten Jahre.
Die Frucht ist schwer in Magazinen aufzubewahren, und nach
Jahresfrist "geht sie an", wenn sie noch so sorgfältig ge-
trocknet worden ist. Dieser Nachteil ist für den Kolonisten
von großem Belang. Auf diesen Küsten ist je nach der Laune
eines Ministeriums und dem mehr oder minder kräftigen
Widerstande der Statthalter der Handel mit den Neutralen
bald verboten, bald mit gewissen Beschränkungen gestattet.
Die Nachfrage nach einer Ware und die Preise, die sich nach
der Nachfrage bestimmen, unterliegen daher dem raschesten
Wechsel. Der Kolonist kann sich diese Schwankungen nicht
zu nutze machen, weil sich der Kakao in den Magazinen nicht
hält. Die alten Kakaostämme, die meist nur bis zum vierzigsten
Jahre tragen, sind daher nicht durch junge ersetzt worden.
Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254000 im Thale
von Cariaco und am Ufer des Meerbusens. Gegenwärtig
zieht man andere Kulturzweige vor, welche gleich im ersten
Jahre einen Ertrag liefern und deren Produkte nicht nur
nicht so lange auf sich warten lassen, sondern auch leichter auf-
zubewahren sind. Solche sind Baumwolle und Zucker, die
nicht der Verderbnis unterliegen wie der Kakao und sich auf-

Gerbſtoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der
Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meere
zuſammenhängt, ließe ſich leicht erweitern und ſo dem ſtehen-
den Waſſer ein Abfluß verſchaffen. Die freien Neger, die das
Sumpfland häufig betreten, verſichern ſogar, der Durchſtich
brauchte gar nicht tief zu ſein, da das kalte, klare Waſſer des
Rio Azul ſich auf dem Boden des Sees befindet und man
beim Nachgraben aus den unteren Schichten trinkbares, geruch-
loſes Waſſer erhält.

Die Stadt Cariaco iſt mehrere Male von den Kariben
verheert worden. Die Bevölkerung hat raſch zugenommen,
ſeit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes
zuwider, nicht ſelten dem Handel mit fremden Kolonieen Vor-
ſchub geleiſtet haben. Sie hat ſich in zehn Jahren verdoppelt
und betrug im Jahre 1800 über 6000 Seelen. Die Ein-
wohner treiben ſehr fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle
iſt ſehr ſchön und es werden mehr als 10000 Zentner er-
zeugt. Die leeren Hülſen der Baumwolle werden ſorgſam
verbrannt; wirft man ſie in den Fluß, wo ſie faulen, ſo er-
zeugen ſie Ausdünſtungen, die man für ſchädlich hält. Der
Bau des Kakaobaumes hat in letzter Zeit ſehr abgenommen.
Dieſer köſtliche Baum trägt erſt im achten bis zehnten Jahre.
Die Frucht iſt ſchwer in Magazinen aufzubewahren, und nach
Jahresfriſt „geht ſie an“, wenn ſie noch ſo ſorgfältig ge-
trocknet worden iſt. Dieſer Nachteil iſt für den Koloniſten
von großem Belang. Auf dieſen Küſten iſt je nach der Laune
eines Miniſteriums und dem mehr oder minder kräftigen
Widerſtande der Statthalter der Handel mit den Neutralen
bald verboten, bald mit gewiſſen Beſchränkungen geſtattet.
Die Nachfrage nach einer Ware und die Preiſe, die ſich nach
der Nachfrage beſtimmen, unterliegen daher dem raſcheſten
Wechſel. Der Koloniſt kann ſich dieſe Schwankungen nicht
zu nutze machen, weil ſich der Kakao in den Magazinen nicht
hält. Die alten Kakaoſtämme, die meiſt nur bis zum vierzigſten
Jahre tragen, ſind daher nicht durch junge erſetzt worden.
Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254000 im Thale
von Cariaco und am Ufer des Meerbuſens. Gegenwärtig
zieht man andere Kulturzweige vor, welche gleich im erſten
Jahre einen Ertrag liefern und deren Produkte nicht nur
nicht ſo lange auf ſich warten laſſen, ſondern auch leichter auf-
zubewahren ſind. Solche ſind Baumwolle und Zucker, die
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[291/0307] Gerbſtoff gebundenen Stoff enthalten. Man behauptet, der Kanal, durch den die Laguna de Campoma mit dem Meere zuſammenhängt, ließe ſich leicht erweitern und ſo dem ſtehen- den Waſſer ein Abfluß verſchaffen. Die freien Neger, die das Sumpfland häufig betreten, verſichern ſogar, der Durchſtich brauchte gar nicht tief zu ſein, da das kalte, klare Waſſer des Rio Azul ſich auf dem Boden des Sees befindet und man beim Nachgraben aus den unteren Schichten trinkbares, geruch- loſes Waſſer erhält. Die Stadt Cariaco iſt mehrere Male von den Kariben verheert worden. Die Bevölkerung hat raſch zugenommen, ſeit die Provinzialbehörden, den Verboten des Madrider Hofes zuwider, nicht ſelten dem Handel mit fremden Kolonieen Vor- ſchub geleiſtet haben. Sie hat ſich in zehn Jahren verdoppelt und betrug im Jahre 1800 über 6000 Seelen. Die Ein- wohner treiben ſehr fleißig Baumwollenbau; die Baumwolle iſt ſehr ſchön und es werden mehr als 10000 Zentner er- zeugt. Die leeren Hülſen der Baumwolle werden ſorgſam verbrannt; wirft man ſie in den Fluß, wo ſie faulen, ſo er- zeugen ſie Ausdünſtungen, die man für ſchädlich hält. Der Bau des Kakaobaumes hat in letzter Zeit ſehr abgenommen. Dieſer köſtliche Baum trägt erſt im achten bis zehnten Jahre. Die Frucht iſt ſchwer in Magazinen aufzubewahren, und nach Jahresfriſt „geht ſie an“, wenn ſie noch ſo ſorgfältig ge- trocknet worden iſt. Dieſer Nachteil iſt für den Koloniſten von großem Belang. Auf dieſen Küſten iſt je nach der Laune eines Miniſteriums und dem mehr oder minder kräftigen Widerſtande der Statthalter der Handel mit den Neutralen bald verboten, bald mit gewiſſen Beſchränkungen geſtattet. Die Nachfrage nach einer Ware und die Preiſe, die ſich nach der Nachfrage beſtimmen, unterliegen daher dem raſcheſten Wechſel. Der Koloniſt kann ſich dieſe Schwankungen nicht zu nutze machen, weil ſich der Kakao in den Magazinen nicht hält. Die alten Kakaoſtämme, die meiſt nur bis zum vierzigſten Jahre tragen, ſind daher nicht durch junge erſetzt worden. Im Jahre 1792 zählte man ihrer noch 254000 im Thale von Cariaco und am Ufer des Meerbuſens. Gegenwärtig zieht man andere Kulturzweige vor, welche gleich im erſten Jahre einen Ertrag liefern und deren Produkte nicht nur nicht ſo lange auf ſich warten laſſen, ſondern auch leichter auf- zubewahren ſind. Solche ſind Baumwolle und Zucker, die nicht der Verderbnis unterliegen wie der Kakao und ſich auf-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/307>, abgerufen am 18.04.2024.