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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Laguna von Campoma wird der Nordwest, der sehr oft nach
Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt
Cariaco höchst gefährlich. Sein Einfluß unterliegt desto weniger
einem Zweifel, da die Wechselfieber dem Sumpfe zu, der der
Hauptherd der faulen Miasmen ist, immer häufiger in Nerven-
fieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der
Nordküste des Meerbusens von Cariaco kleine Pflanzungen
besitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit siech in ihren Hänge-
matten. Diese Fieber nehmen den Charakter remittierender
bösartiger Fieber an, wenn man sich, erschöpft von langer
Arbeit und starker Hautausdünstung, dem feinen Regen aus-
setzt, der gegen Abend häufig fällt. Die Farbigen, besonders
aber die Kreolenneger, widerstehen den klimatischen Einflüssen
mehr als irgend ein anderer Menschenschlag. Man behandelt
die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von Scoparia
dulcis,
selten mit Cuspare, d. h. mit der Chinarinde von
Angostura.

Im ganzen ist bei den Epidemieen in Cariaco die Sterb-
lichkeit geringer, als man erwarten sollte. Wenn das Wechsel-
fieber mehrere Jahre hintereinander einen Menschen befällt,
so greift es den Körper stark an und bringt ihn herunter;
aber dieser Schwächezustand, der in ungesunden Gegenden so
häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch ist es merk-
würdig, daß hier, wie in der römischen Campagna, der Glaube
herrscht, die Luft sei in dem Maße ungesünder geworden, je
mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen,
die diesen Ebenen entsteigen, haben indessen nichts gemein mit
jenen, die sich bilden, wenn man einen Wald niederschlägt
und nun die Sonne eine dicke Schicht abgestorbenen Laubes
erhitzt; bei Cariaco ist das Land kahl und sehr sparsam be-
waldet. Soll man glauben, daß frisch aufgewühlte und vom
Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als
der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden be-
deckt? Zu diesen örtlichen Ursachen kommen andere, weniger
zweifelhafte. Das nahe Meeresufer ist mit Manglebäumen,
Avicennien und anderen Baumarten mit adstringierender Rinde
bedeckt. Alle Tropenbewohner sind mit den schädlichen Aus-
dünstungen dieser Gewächse bekannt, und man fürchtet sie desto
mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Wasser
stehen, sondern abwechselnd naß und von der Sonne erhitzt
werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil sie, wie
ich anderswo gezeigt habe, einen tierisch-vegetabilischen, an

Laguna von Campoma wird der Nordweſt, der ſehr oft nach
Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt
Cariaco höchſt gefährlich. Sein Einfluß unterliegt deſto weniger
einem Zweifel, da die Wechſelfieber dem Sumpfe zu, der der
Hauptherd der faulen Miasmen iſt, immer häufiger in Nerven-
fieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der
Nordküſte des Meerbuſens von Cariaco kleine Pflanzungen
beſitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit ſiech in ihren Hänge-
matten. Dieſe Fieber nehmen den Charakter remittierender
bösartiger Fieber an, wenn man ſich, erſchöpft von langer
Arbeit und ſtarker Hautausdünſtung, dem feinen Regen aus-
ſetzt, der gegen Abend häufig fällt. Die Farbigen, beſonders
aber die Kreolenneger, widerſtehen den klimatiſchen Einflüſſen
mehr als irgend ein anderer Menſchenſchlag. Man behandelt
die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von Scoparia
dulcis,
ſelten mit Cuſpare, d. h. mit der Chinarinde von
Angoſtura.

Im ganzen iſt bei den Epidemieen in Cariaco die Sterb-
lichkeit geringer, als man erwarten ſollte. Wenn das Wechſel-
fieber mehrere Jahre hintereinander einen Menſchen befällt,
ſo greift es den Körper ſtark an und bringt ihn herunter;
aber dieſer Schwächezuſtand, der in ungeſunden Gegenden ſo
häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch iſt es merk-
würdig, daß hier, wie in der römiſchen Campagna, der Glaube
herrſcht, die Luft ſei in dem Maße ungeſünder geworden, je
mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen,
die dieſen Ebenen entſteigen, haben indeſſen nichts gemein mit
jenen, die ſich bilden, wenn man einen Wald niederſchlägt
und nun die Sonne eine dicke Schicht abgeſtorbenen Laubes
erhitzt; bei Cariaco iſt das Land kahl und ſehr ſparſam be-
waldet. Soll man glauben, daß friſch aufgewühlte und vom
Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als
der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden be-
deckt? Zu dieſen örtlichen Urſachen kommen andere, weniger
zweifelhafte. Das nahe Meeresufer iſt mit Manglebäumen,
Avicennien und anderen Baumarten mit adſtringierender Rinde
bedeckt. Alle Tropenbewohner ſind mit den ſchädlichen Aus-
dünſtungen dieſer Gewächſe bekannt, und man fürchtet ſie deſto
mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Waſſer
ſtehen, ſondern abwechſelnd naß und von der Sonne erhitzt
werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil ſie, wie
ich anderswo gezeigt habe, einen tieriſch-vegetabiliſchen, an

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[290/0306] Laguna von Campoma wird der Nordweſt, der ſehr oft nach Sonnenuntergang weht, den Einwohnern der kleinen Stadt Cariaco höchſt gefährlich. Sein Einfluß unterliegt deſto weniger einem Zweifel, da die Wechſelfieber dem Sumpfe zu, der der Hauptherd der faulen Miasmen iſt, immer häufiger in Nerven- fieber übergehen. Ganze Familien freier Neger, die an der Nordküſte des Meerbuſens von Cariaco kleine Pflanzungen beſitzen, liegen mit Eintritt der Regenzeit ſiech in ihren Hänge- matten. Dieſe Fieber nehmen den Charakter remittierender bösartiger Fieber an, wenn man ſich, erſchöpft von langer Arbeit und ſtarker Hautausdünſtung, dem feinen Regen aus- ſetzt, der gegen Abend häufig fällt. Die Farbigen, beſonders aber die Kreolenneger, widerſtehen den klimatiſchen Einflüſſen mehr als irgend ein anderer Menſchenſchlag. Man behandelt die Kranken mit Limonade, mit dem Aufguß von Scoparia dulcis, ſelten mit Cuſpare, d. h. mit der Chinarinde von Angoſtura. Im ganzen iſt bei den Epidemieen in Cariaco die Sterb- lichkeit geringer, als man erwarten ſollte. Wenn das Wechſel- fieber mehrere Jahre hintereinander einen Menſchen befällt, ſo greift es den Körper ſtark an und bringt ihn herunter; aber dieſer Schwächezuſtand, der in ungeſunden Gegenden ſo häufig vorkommt, führt nicht zum Tode. Auch iſt es merk- würdig, daß hier, wie in der römiſchen Campagna, der Glaube herrſcht, die Luft ſei in dem Maße ungeſünder geworden, je mehr Morgen Landes man urbar gemacht. Die Miasmen, die dieſen Ebenen entſteigen, haben indeſſen nichts gemein mit jenen, die ſich bilden, wenn man einen Wald niederſchlägt und nun die Sonne eine dicke Schicht abgeſtorbenen Laubes erhitzt; bei Cariaco iſt das Land kahl und ſehr ſparſam be- waldet. Soll man glauben, daß friſch aufgewühlte und vom Regen durchfeuchtete Dammerde die Luft mehr verderbt als der dichte Pflanzenfilz, der einen nicht bebauten Boden be- deckt? Zu dieſen örtlichen Urſachen kommen andere, weniger zweifelhafte. Das nahe Meeresufer iſt mit Manglebäumen, Avicennien und anderen Baumarten mit adſtringierender Rinde bedeckt. Alle Tropenbewohner ſind mit den ſchädlichen Aus- dünſtungen dieſer Gewächſe bekannt, und man fürchtet ſie deſto mehr, wenn Wurzeln und Stamm nicht immer unter Waſſer ſtehen, ſondern abwechſelnd naß und von der Sonne erhitzt werden. Die Manglebäume erzeugen Miasmen, weil ſie, wie ich anderswo gezeigt habe, einen tieriſch-vegetabiliſchen, an

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/306>, abgerufen am 25.04.2024.