diesem Teile von Südamerika nirgends einen Ammoniten ge- sehen haben. Die Mission Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daselbst an, halb verdurstet, da wir fast acht Stunden kein Wasser gehabt hatten. Der Thermometer zeigte 26°; wir waren auch nur noch 370 m über dem Meere. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man "Häuser des Königs" nennt, und die, wie schon oben bemerkt, den Reisenden als Tambo oder Karawanserai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir setzten des anderen Tages, 23. September, unseren Weg zum Meerbusen von Cariaco hinunter fort. Jen- seits Santa Cruz fängt der dichte Wald von neuem an. Wir fanden daselbst unter Melastomenbüschen einen schönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (Polybotria) bildet.
Von der Mission Catuaro aus wollten wir ostwärts über Santa Rosalia, Casanay, San Josef, Carupano, Rio Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unserem großen Verdruß, daß der starke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unsere frisch gesammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Kakaopflanzer sollte uns von Santa Rosalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geschäften nach Cumana müsse. So beschlossen wir denn, uns in Cariaco einzuschiffen und gerade über den Meerbusen, statt zwischen der Insel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurückzufahren.
Die Mission Catuaro liegt in ungemein wilder Um- gebung. Hochstämmige Bäume stehen noch um die Kirche her und die Tiger fressen bei Nacht den Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geistlichen, einem Mönche von der Kongregation der Observanten, dem die Kapuziner die Mission übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, fast übertrieben lebhafter Mann; er unter- hielt uns beständig von dem Prozeß, den er mit dem Guardian seines Klosters führte, von der Feindschaft seiner Ordensbrüder, von der Ungerechtigkeit der Alkaden, die ihn ohne Rücksicht auf seine Standesvorrechte ins Gefängnis geworfen. Trotz dieser Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, sich mit metaphysischen Fragen, wie er es nannte, zu befassen. Er wollte meine Ansicht hören über den freien Willen, über die
dieſem Teile von Südamerika nirgends einen Ammoniten ge- ſehen haben. Die Miſſion Santa Cruz liegt mitten in der Ebene. Wir kamen gegen Abend daſelbſt an, halb verdurſtet, da wir faſt acht Stunden kein Waſſer gehabt hatten. Der Thermometer zeigte 26°; wir waren auch nur noch 370 m über dem Meere. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas zu, die man „Häuſer des Königs“ nennt, und die, wie ſchon oben bemerkt, den Reiſenden als Tambo oder Karawanſerai dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung zu denken, und wir ſetzten des anderen Tages, 23. September, unſeren Weg zum Meerbuſen von Cariaco hinunter fort. Jen- ſeits Santa Cruz fängt der dichte Wald von neuem an. Wir fanden daſelbſt unter Melaſtomenbüſchen einen ſchönen Farn mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung der Polypodiaceen eine neue Gattung (Polybotria) bildet.
Von der Miſſion Catuaro aus wollten wir oſtwärts über Santa Roſalia, Caſanay, San Joſef, Carupano, Rio Carives und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unſerem großen Verdruß, daß der ſtarke Regen die Wege bereits ungangbar gemacht habe und wir Gefahr laufen, unſere friſch geſammelten Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Kakaopflanzer ſollte uns von Santa Roſalia in den Hafen von Carupano begleiten. Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geſchäften nach Cumana müſſe. So beſchloſſen wir denn, uns in Cariaco einzuſchiffen und gerade über den Meerbuſen, ſtatt zwiſchen der Inſel Margarita und der Landenge Araya durch, nach Cumana zurückzufahren.
Die Miſſion Catuaro liegt in ungemein wilder Um- gebung. Hochſtämmige Bäume ſtehen noch um die Kirche her und die Tiger freſſen bei Nacht den Indianern ihre Hühner und Schweine. Wir wohnten beim Geiſtlichen, einem Mönche von der Kongregation der Obſervanten, dem die Kapuziner die Miſſion übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein kleiner, magerer, faſt übertrieben lebhafter Mann; er unter- hielt uns beſtändig von dem Prozeß, den er mit dem Guardian ſeines Kloſters führte, von der Feindſchaft ſeiner Ordensbrüder, von der Ungerechtigkeit der Alkaden, die ihn ohne Rückſicht auf ſeine Standesvorrechte ins Gefängnis geworfen. Trotz dieſer Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, ſich mit metaphyſiſchen Fragen, wie er es nannte, zu befaſſen. Er wollte meine Anſicht hören über den freien Willen, über die
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dieſem Teile von Südamerika nirgends einen Ammoniten ge-
ſehen haben. Die Miſſion Santa Cruz liegt mitten in der
Ebene. Wir kamen gegen Abend daſelbſt an, halb verdurſtet,
da wir faſt acht Stunden kein Waſſer gehabt hatten. Der
Thermometer zeigte 26°; wir waren auch nur noch 370 m
über dem Meere. Wir brachten die Nacht in einer der Ajupas
zu, die man „Häuſer des Königs“ nennt, und die, wie ſchon
oben bemerkt, den Reiſenden als Tambo oder Karawanſerai
dienen. Wegen des Regens war an keine Sternbeobachtung
zu denken, und wir ſetzten des anderen Tages, 23. September,
unſeren Weg zum Meerbuſen von Cariaco hinunter fort. Jen-
ſeits Santa Cruz fängt der dichte Wald von neuem an. Wir
fanden daſelbſt unter Melaſtomenbüſchen einen ſchönen Farn
mit Blättern gleich denen der Osmunda, die in der Ordnung
der Polypodiaceen eine neue Gattung (Polybotria) bildet.
Von der Miſſion Catuaro aus wollten wir oſtwärts über
Santa Roſalia, Caſanay, San Joſef, Carupano, Rio Carives
und den Berg Paria gehen, erfuhren aber zu unſerem großen
Verdruß, daß der ſtarke Regen die Wege bereits ungangbar
gemacht habe und wir Gefahr laufen, unſere friſch geſammelten
Pflanzen zu verlieren. Ein reicher Kakaopflanzer ſollte uns
von Santa Roſalia in den Hafen von Carupano begleiten.
Wir hatten noch zu rechter Zeit gehört, daß er in Geſchäften
nach Cumana müſſe. So beſchloſſen wir denn, uns in Cariaco
einzuſchiffen und gerade über den Meerbuſen, ſtatt zwiſchen
der Inſel Margarita und der Landenge Araya durch, nach
Cumana zurückzufahren.
Die Miſſion Catuaro liegt in ungemein wilder Um-
gebung. Hochſtämmige Bäume ſtehen noch um die Kirche her
und die Tiger freſſen bei Nacht den Indianern ihre Hühner
und Schweine. Wir wohnten beim Geiſtlichen, einem Mönche
von der Kongregation der Obſervanten, dem die Kapuziner
die Miſſion übergeben hatten, weil es ihrem eigenen Orden
an Leuten fehlte. Er war ein Doktor der Theologie, ein
kleiner, magerer, faſt übertrieben lebhafter Mann; er unter-
hielt uns beſtändig von dem Prozeß, den er mit dem Guardian
ſeines Kloſters führte, von der Feindſchaft ſeiner Ordensbrüder,
von der Ungerechtigkeit der Alkaden, die ihn ohne Rückſicht
auf ſeine Standesvorrechte ins Gefängnis geworfen. Trotz
dieſer Abenteuer war ihm leider die Liebhaberei geblieben, ſich
mit metaphyſiſchen Fragen, wie er es nannte, zu befaſſen. Er
wollte meine Anſicht hören über den freien Willen, über die
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/300>, abgerufen am 23.07.2024.
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