Mittel, die Geister von ihren Körperbanden frei zu machen, be- sonders aber über die Tierseelen, lauter Dinge, über die er die seltsamsten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit sich durch Wälder durchgearbeitet hat, ist man zu Spekulationen derart wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Mission Catuaro alles ungewöhnlich, sogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwischen den weltlichen und geistlichen Behörden Anlaß ge- geben. Dem Guardian der Kapuziner schien es zu vornehm für einen Missionär und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einsprache gethan und auch seinen Willen gegen die Mönche durchgesetzt. Ich erwähne dergleichen an sich unbedeutende Vorfälle nur, weil sie einen Blick in die innere Verwaltung der Missionen werfen lassen, die keineswegs immer so friedlich ist, als man in Europa glaubt.
Wir trafen in der Mission Catuaro den Corregidor des Distriktes, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen sollten. In diesem wenig betretenen Lande ist die Vegetation in der Regenzeit so üppig, daß ein Mann zu Pferde auf den schmalen, mit Schling- pflanzen und verschlungenen Baumästen bedeckten Fußsteigen fast nicht durchkommt. Zu unserem großen Verdruß wollte der Missionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco be- gleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit seinen Faseleien über die Tierseelen und den menschlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz anderen, traurigeren Gegenstande zu unterhalten. Den Unab- hängigkeitsbestrebungen, die im Jahre 1798 in Caracas bei- nahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Auf- regung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tode verurteilt worden, und unser Wirt, der Seel- sorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm seinen geistlichen Beistand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlassen mußten, "über die Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bös- artigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Rasse daraus erwachsen, daß sie als Sklaven unter Christen leben!"
Gegenüber dem "Code noir" der meisten anderen Völker, welche Besitzungen in beiden Indien haben, ist die spanische
Mittel, die Geiſter von ihren Körperbanden frei zu machen, be- ſonders aber über die Tierſeelen, lauter Dinge, über die er die ſeltſamſten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit ſich durch Wälder durchgearbeitet hat, iſt man zu Spekulationen derart wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Miſſion Catuaro alles ungewöhnlich, ſogar das Pfarrhaus. Es hatte zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit zwiſchen den weltlichen und geiſtlichen Behörden Anlaß ge- geben. Dem Guardian der Kapuziner ſchien es zu vornehm für einen Miſſionär und er hatte die Indianer zwingen wollen, es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einſprache gethan und auch ſeinen Willen gegen die Mönche durchgeſetzt. Ich erwähne dergleichen an ſich unbedeutende Vorfälle nur, weil ſie einen Blick in die innere Verwaltung der Miſſionen werfen laſſen, die keineswegs immer ſo friedlich iſt, als man in Europa glaubt.
Wir trafen in der Miſſion Catuaro den Corregidor des Diſtriktes, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns her einen Weg durch den Wald bahnen ſollten. In dieſem wenig betretenen Lande iſt die Vegetation in der Regenzeit ſo üppig, daß ein Mann zu Pferde auf den ſchmalen, mit Schling- pflanzen und verſchlungenen Baumäſten bedeckten Fußſteigen faſt nicht durchkommt. Zu unſerem großen Verdruß wollte der Miſſionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco be- gleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit ſeinen Faſeleien über die Tierſeelen und den menſchlichen freien Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz anderen, traurigeren Gegenſtande zu unterhalten. Den Unab- hängigkeitsbeſtrebungen, die im Jahre 1798 in Caracas bei- nahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Auf- regung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer Neger zum Tode verurteilt worden, und unſer Wirt, der Seel- ſorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm ſeinen geiſtlichen Beiſtand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf dem wir uns in Verhandlungen einlaſſen mußten, „über die Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bös- artigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Raſſe daraus erwachſen, daß ſie als Sklaven unter Chriſten leben!“
Gegenüber dem „Code noir“ der meiſten anderen Völker, welche Beſitzungen in beiden Indien haben, iſt die ſpaniſche
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[285/0301]
Mittel, die Geiſter von ihren Körperbanden frei zu machen, be-
ſonders aber über die Tierſeelen, lauter Dinge, über die er
die ſeltſamſten Ideen hatte. Wenn man in der Regenzeit ſich
durch Wälder durchgearbeitet hat, iſt man zu Spekulationen
derart wenig aufgelegt. Uebrigens war in der kleinen Miſſion
Catuaro alles ungewöhnlich, ſogar das Pfarrhaus. Es hatte
zwei Stockwerke und hatte dadurch zu einem hitzigen Streit
zwiſchen den weltlichen und geiſtlichen Behörden Anlaß ge-
geben. Dem Guardian der Kapuziner ſchien es zu vornehm
für einen Miſſionär und er hatte die Indianer zwingen wollen,
es niederzureißen; der Statthalter hatte kräftige Einſprache
gethan und auch ſeinen Willen gegen die Mönche durchgeſetzt.
Ich erwähne dergleichen an ſich unbedeutende Vorfälle nur,
weil ſie einen Blick in die innere Verwaltung der Miſſionen
werfen laſſen, die keineswegs immer ſo friedlich iſt, als man
in Europa glaubt.
Wir trafen in der Miſſion Catuaro den Corregidor des
Diſtriktes, einen liebenswürdigen, gebildeten Mann. Er gab
uns drei Indianer mit, die mit ihren Machetes vor uns
her einen Weg durch den Wald bahnen ſollten. In dieſem
wenig betretenen Lande iſt die Vegetation in der Regenzeit ſo
üppig, daß ein Mann zu Pferde auf den ſchmalen, mit Schling-
pflanzen und verſchlungenen Baumäſten bedeckten Fußſteigen
faſt nicht durchkommt. Zu unſerem großen Verdruß wollte
der Miſſionär von Catuaro uns durchaus nach Cariaco be-
gleiten. Wir konnten es nicht ablehnen; er ließ uns jetzt mit
ſeinen Faſeleien über die Tierſeelen und den menſchlichen freien
Willen in Ruhe, er hatte uns aber nunmehr von einem ganz
anderen, traurigeren Gegenſtande zu unterhalten. Den Unab-
hängigkeitsbeſtrebungen, die im Jahre 1798 in Caracas bei-
nahe zu einem Ausbruch geführt hätten, war eine große Auf-
regung unter den Negern zu Coro, Maracaybo und Cariaco
vorangegangen und gefolgt. In letzterer Stadt war ein armer
Neger zum Tode verurteilt worden, und unſer Wirt, der Seel-
ſorger von Catuaro, ging jetzt hin, um ihm ſeinen geiſtlichen
Beiſtand anzubieten. Wie lang kam uns der Weg vor, auf
dem wir uns in Verhandlungen einlaſſen mußten, „über die
Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bös-
artigkeit der Schwarzen, über die Segnungen, welche der Raſſe
daraus erwachſen, daß ſie als Sklaven unter Chriſten leben!“
Gegenüber dem „Code noir“ der meiſten anderen Völker,
welche Beſitzungen in beiden Indien haben, iſt die ſpaniſche
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/301>, abgerufen am 23.07.2024.
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