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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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dem Namen Steatornis (Fettvogel) beschrieben. Er bildet
eine neue Gattung, die sich von Caprimulgus durch den Um-
fang der Stimme, durch den ausnehmend starken, mit einem
doppelten Zahn versehenen Schnabel, durch den Mangel der
Haut zwischen den vorderen Zehengliedern wesentlich unter-
scheidet. In der Lebensweise kommt er sowohl den Ziegen-
melkern als den Alpenkrähen 1 nahe. Sein Gefieder ist dunkel
graublau, mit kleinen schwarzen Streifen und Tupfen; Kopf,
Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, schwarz
gesäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tages-
licht nicht ertragen, sie sind blau und kleiner als bei den
Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern
und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt
die Höhle bei Einbruch der Nacht, besonders bei Mondschein.
Es ist so ziemlich der einzige körnerfressende Nachtvogel, den
wir bis jetzt kennen; schon der Bau seiner Füße zeigt, daß er nicht
jagt, wie unsere Eulen. Er frißt sehr harte Samen, wie der Nuß-
häher (Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer
nistet auch in Felsspalten und heißt der "Nachtrabe". Die
Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Insekten aus
der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtschmetter-
lingen nach, von denen die Ziegenmelker sich nähren. Man
darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers
vergleichen, um zu sehen, daß ihre Lebensweise ganz verschieden
sein muß.

Schwer macht man sich einen Begriff vom furchtbaren
Lärm, den Tausende dieser Vögel im dunkeln Inneren der Höhle
machen. Er läßt sich nur mit dem Geschrei unserer Krähen
vergleichen, die in den nordischen Tannenwäldern gesellig leben
und auf Bäumen nisten, deren Gipfel einander berühren.
Das gellende durchdringende Geschrei des Guacharo hallt
wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt
es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Nester
der Vögel, indem sie Fackeln an eine lange Stange banden.
Sie staken 20 bis 23 m hoch über unseren Köpfen in trichter-
förmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer
man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der
Kopalfackeln aufscheucht, desto stärker wird der Lärm. Wurde
es ein paar Minuten ruhiger um uns her, so erschallte von
weither das Klagegeschrei der Vögel, die in anderen Zweigen

1 Corvus Pyrrhocorax.

dem Namen Steatornis (Fettvogel) beſchrieben. Er bildet
eine neue Gattung, die ſich von Caprimulgus durch den Um-
fang der Stimme, durch den ausnehmend ſtarken, mit einem
doppelten Zahn verſehenen Schnabel, durch den Mangel der
Haut zwiſchen den vorderen Zehengliedern weſentlich unter-
ſcheidet. In der Lebensweiſe kommt er ſowohl den Ziegen-
melkern als den Alpenkrähen 1 nahe. Sein Gefieder iſt dunkel
graublau, mit kleinen ſchwarzen Streifen und Tupfen; Kopf,
Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, ſchwarz
geſäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tages-
licht nicht ertragen, ſie ſind blau und kleiner als bei den
Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern
und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt
die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders bei Mondſchein.
Es iſt ſo ziemlich der einzige körnerfreſſende Nachtvogel, den
wir bis jetzt kennen; ſchon der Bau ſeiner Füße zeigt, daß er nicht
jagt, wie unſere Eulen. Er frißt ſehr harte Samen, wie der Nuß-
häher (Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer
niſtet auch in Felsſpalten und heißt der „Nachtrabe“. Die
Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Inſekten aus
der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtſchmetter-
lingen nach, von denen die Ziegenmelker ſich nähren. Man
darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers
vergleichen, um zu ſehen, daß ihre Lebensweiſe ganz verſchieden
ſein muß.

Schwer macht man ſich einen Begriff vom furchtbaren
Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im dunkeln Inneren der Höhle
machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen
vergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben
und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander berühren.
Das gellende durchdringende Geſchrei des Guacharo hallt
wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt
es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Neſter
der Vögel, indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden.
Sie ſtaken 20 bis 23 m hoch über unſeren Köpfen in trichter-
förmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer
man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der
Kopalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde
es ein paar Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von
weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in anderen Zweigen

1 Corvus Pyrrhocorax.
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[266/0282] dem Namen Steatornis (Fettvogel) beſchrieben. Er bildet eine neue Gattung, die ſich von Caprimulgus durch den Um- fang der Stimme, durch den ausnehmend ſtarken, mit einem doppelten Zahn verſehenen Schnabel, durch den Mangel der Haut zwiſchen den vorderen Zehengliedern weſentlich unter- ſcheidet. In der Lebensweiſe kommt er ſowohl den Ziegen- melkern als den Alpenkrähen 1 nahe. Sein Gefieder iſt dunkel graublau, mit kleinen ſchwarzen Streifen und Tupfen; Kopf, Flügel und Schwanz zeigen große weiße, herzförmige, ſchwarz geſäumte Flecken. Die Augen des Vogels können das Tages- licht nicht ertragen, ſie ſind blau und kleiner als bei den Ziegenmelkern. Die Flügel haben 17 bis 18 Schwungfedern und ihre Spannung beträgt 1,13 m. Der Guacharo verläßt die Höhle bei Einbruch der Nacht, beſonders bei Mondſchein. Es iſt ſo ziemlich der einzige körnerfreſſende Nachtvogel, den wir bis jetzt kennen; ſchon der Bau ſeiner Füße zeigt, daß er nicht jagt, wie unſere Eulen. Er frißt ſehr harte Samen, wie der Nuß- häher (Corvus cariocatactes) und der Pyrrhocorax. Letzterer niſtet auch in Felsſpalten und heißt der „Nachtrabe“. Die Indianer behaupten, der Guacharo gehe weder Inſekten aus der Ordnung der Lamellicornia (Käfern), noch Nachtſchmetter- lingen nach, von denen die Ziegenmelker ſich nähren. Man darf nur die Schnäbel des Guacharo und des Ziegenmelkers vergleichen, um zu ſehen, daß ihre Lebensweiſe ganz verſchieden ſein muß. Schwer macht man ſich einen Begriff vom furchtbaren Lärm, den Tauſende dieſer Vögel im dunkeln Inneren der Höhle machen. Er läßt ſich nur mit dem Geſchrei unſerer Krähen vergleichen, die in den nordiſchen Tannenwäldern geſellig leben und auf Bäumen niſten, deren Gipfel einander berühren. Das gellende durchdringende Geſchrei des Guacharo hallt wider vom Felsgewölbe und aus der Tiefe der Höhle kommt es als Echo zurück. Die Indianer zeigten uns die Neſter der Vögel, indem ſie Fackeln an eine lange Stange banden. Sie ſtaken 20 bis 23 m hoch über unſeren Köpfen in trichter- förmigen Löchern, von denen die Decke wimmelt. Je tiefer man in die Höhle hineinkommt, je mehr Vögel das Licht der Kopalfackeln aufſcheucht, deſto ſtärker wird der Lärm. Wurde es ein paar Minuten ruhiger um uns her, ſo erſchallte von weither das Klagegeſchrei der Vögel, die in anderen Zweigen 1 Corvus Pyrrhocorax.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/282>, abgerufen am 28.04.2024.