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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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der Höhle nisteten. Die Banden lösten einander im Schreien
ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit
Stangen in die Cueva del Guacharo und zerstören die meisten
Nester. Man schlägt jedesmal mehrere tausend Vögel tot,
wobei die Alten, als wollten sie ihre Brut verteidigen, mit
furchtbarem Geschrei den Indianern um die Köpfe fliegen.
Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle
ausgeweidet. Ihr Bauchfell ist stark mit Fett durchwachsen,
und eine Fettschicht läuft vom Unterleib zum After und bildet
zwischen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körner-
fressende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgesetzt sind und
ihre Muskeln wenig brauchen, so fett werden, erinnert an
die uralten Erfahrungen beim Mästen der Gänse und des
Viehs. Man weiß, wie sehr dasselbe durch Dunkelheit und
Ruhe befördert wird. Die europäischen Nachtvögel sind mager,
weil sie nicht wie der Guacharo von Früchten, sondern vom
dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der "Fetternte"
(cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt,
bauen sich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Ein-
gang und im Vorhof der Höhle. Wir sahen noch Ueberbleibsel
derselben. Hier läßt man das Fett der jungen, frisch getöteten
Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieses
Fett ist unter dem Namen Guacharoschmalz oder -öl (manteca
oder aceite) bekannt; es ist halbflüssig, hell und geruchlos.
Es ist so rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren
kann, ohne daß es ranzig wird. In der Klosterküche zu Caripe
wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle,
und wir haben nicht bemerkt, daß die Speisen irgend einen
unangenehmen Geruch oder Geschmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oels steht mit dem Gemetzel,
das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem
Verhältnis. Man bekommt, scheint es, nicht mehr als 150 bis
160 Flaschen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige
weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt.
Dieser Industriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sam-
meln des Taubenfetts 1 in Carolina, von dem früher mehrere
tausend Fässer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo-
fettes ist in Caripe uralt und die Missionäre haben nur die

1 Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba
migratoria.

der Höhle niſteten. Die Banden löſten einander im Schreien
ordentlich ab.

Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit
Stangen in die Cueva del Guacharo und zerſtören die meiſten
Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel tot,
wobei die Alten, als wollten ſie ihre Brut verteidigen, mit
furchtbarem Geſchrei den Indianern um die Köpfe fliegen.
Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle
ausgeweidet. Ihr Bauchfell iſt ſtark mit Fett durchwachſen,
und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet
zwiſchen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körner-
freſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt ſind und
ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an
die uralten Erfahrungen beim Mäſten der Gänſe und des
Viehs. Man weiß, wie ſehr dasſelbe durch Dunkelheit und
Ruhe befördert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager,
weil ſie nicht wie der Guacharo von Früchten, ſondern vom
dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der „Fetternte“
(cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt,
bauen ſich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Ein-
gang und im Vorhof der Höhle. Wir ſahen noch Ueberbleibſel
derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getöteten
Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieſes
Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder -öl (manteca
oder aceite) bekannt; es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos.
Es iſt ſo rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren
kann, ohne daß es ranzig wird. In der Kloſterküche zu Caripe
wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle,
und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen
unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen.

Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel,
das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem
Verhältnis. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150 bis
160 Flaſchen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige
weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt.
Dieſer Induſtriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sam-
meln des Taubenfetts 1 in Carolina, von dem früher mehrere
tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo-
fettes iſt in Caripe uralt und die Miſſionäre haben nur die

1 Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba
migratoria.
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[267/0283] der Höhle niſteten. Die Banden löſten einander im Schreien ordentlich ab. Jedes Jahr um Johannistag gehen die Indianer mit Stangen in die Cueva del Guacharo und zerſtören die meiſten Neſter. Man ſchlägt jedesmal mehrere tauſend Vögel tot, wobei die Alten, als wollten ſie ihre Brut verteidigen, mit furchtbarem Geſchrei den Indianern um die Köpfe fliegen. Die Jungen, die zu Boden fallen, werden auf der Stelle ausgeweidet. Ihr Bauchfell iſt ſtark mit Fett durchwachſen, und eine Fettſchicht läuft vom Unterleib zum After und bildet zwiſchen den Beinen des Vogels eine Art Knopf. Daß körner- freſſende Vögel, die dem Tageslicht nicht ausgeſetzt ſind und ihre Muskeln wenig brauchen, ſo fett werden, erinnert an die uralten Erfahrungen beim Mäſten der Gänſe und des Viehs. Man weiß, wie ſehr dasſelbe durch Dunkelheit und Ruhe befördert wird. Die europäiſchen Nachtvögel ſind mager, weil ſie nicht wie der Guacharo von Früchten, ſondern vom dürftigen Ertrag ihrer Jagd leben. Zur Zeit der „Fetternte“ (cosecha de la manteca), wie man es in Caripe nennt, bauen ſich die Indianer aus Palmblättern Hütten am Ein- gang und im Vorhof der Höhle. Wir ſahen noch Ueberbleibſel derſelben. Hier läßt man das Fett der jungen, friſch getöteten Vögel am Feuer aus und gießt es in Thongefäße. Dieſes Fett iſt unter dem Namen Guacharoſchmalz oder -öl (manteca oder aceite) bekannt; es iſt halbflüſſig, hell und geruchlos. Es iſt ſo rein, daß man es länger als ein Jahr aufbewahren kann, ohne daß es ranzig wird. In der Kloſterküche zu Caripe wurde kein anderes Fett gebraucht als das aus der Höhle, und wir haben nicht bemerkt, daß die Speiſen irgend einen unangenehmen Geruch oder Geſchmack davon bekämen. Die Menge des gewonnenen Oels ſteht mit dem Gemetzel, das die Indianer alle Jahre in der Höhle anrichten, in keinem Verhältnis. Man bekommt, ſcheint es, nicht mehr als 150 bis 160 Flaſchen (zu 44 Kubikzoll) ganz reine Manteca; das übrige weniger helle wird in großen irdenen Gefäßen aufbewahrt. Dieſer Induſtriezweig der Eingeborenen erinnert an das Sam- meln des Taubenfetts 1 in Carolina, von dem früher mehrere tauſend Fäſſer gewonnen wurden. Der Gebrauch des Guacharo- fettes iſt in Caripe uralt und die Miſſionäre haben nur die 1 Das Pigeon-oil kommt von der Wandertaube, Columba migratoria.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/283>, abgerufen am 27.04.2024.