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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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blüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie
selten Arten dieser Familie unter den Tropen sind; sie haben
gleichsam einen nordischen Typus, und auf diesen waren
wir hier auf dem Plateau von Caripe, in so geringer Meeres-
höhe, nicht gefaßt.

Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch
vierhundert Schritte von der Höhle entfernt ist, sieht man
den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht,
die das Wasser eingegraben, und man geht unter einem
Felsenüberhang, so daß man den Himmel gar nicht sieht.
Der Weg schlängelt sich mit dem Fluß und bei der letzten
Biegung steht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung
der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges selbst für
Augen, die mit der malerischen Szenerie der Hochalpen ver-
traut sind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derby-
shire gesehen, wo man, in einem Nachen ausgestreckt, unter
einem 60 cm hohen Gewölbe über einen unterirdischen Fluß
setzt. Ich hatte die schöne Höhle von Treshemienshiz in den
Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Fran-
ken, die große Grabstätten sind für die Gebeine von Tigern,
Hyänen und Bären, die so groß waren, wie unsere Pferde.
Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabänderlichen Ge-
setzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren
Gestaltung der Berge, selbst in den gewaltsamen Verände-
rungen, welche die äußere Rinde unseres Planeten erlitten
hat. Nach dieser großen Einförmigkeit konnte ich glauben,
die Höhle von Caripe werde im Aussehen von dem, was ich
derart auf meinen früheren Reisen beobachtet, eben nicht
sehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwar-
tung weit. Wenn einerseits alle Höhlen nach ihrer ganzen
Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was
die unorganische Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit-
einander haben, so gibt andererseits der großartige tropische
Pflanzenwuchs der Mündung eines solchen Erdenlochs einen
ganz eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo öffnet sich im senkrechten Profil
eines Felsens. Der Eingang ist nach Süd gekehrt; es ist
eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, also bis auf ein
Fünfteil so hoch als die Kolonnade des Louvre. Auf dem
Fels über der Grotte stehen riesenhafte Bäume. Der Mamei
und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern strecken
ihre Aeste gerade gen Himmel, während die des Courbaril

blüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie
ſelten Arten dieſer Familie unter den Tropen ſind; ſie haben
gleichſam einen nordiſchen Typus, und auf dieſen waren
wir hier auf dem Plateau von Caripe, in ſo geringer Meeres-
höhe, nicht gefaßt.

Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch
vierhundert Schritte von der Höhle entfernt iſt, ſieht man
den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht,
die das Waſſer eingegraben, und man geht unter einem
Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht.
Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß und bei der letzten
Biegung ſteht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung
der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für
Augen, die mit der maleriſchen Szenerie der Hochalpen ver-
traut ſind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derby-
ſhire geſehen, wo man, in einem Nachen ausgeſtreckt, unter
einem 60 cm hohen Gewölbe über einen unterirdiſchen Fluß
ſetzt. Ich hatte die ſchöne Höhle von Treſhemienſhiz in den
Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Fran-
ken, die große Grabſtätten ſind für die Gebeine von Tigern,
Hyänen und Bären, die ſo groß waren, wie unſere Pferde.
Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabänderlichen Ge-
ſetzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren
Geſtaltung der Berge, ſelbſt in den gewaltſamen Verände-
rungen, welche die äußere Rinde unſeres Planeten erlitten
hat. Nach dieſer großen Einförmigkeit konnte ich glauben,
die Höhle von Caripe werde im Ausſehen von dem, was ich
derart auf meinen früheren Reiſen beobachtet, eben nicht
ſehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwar-
tung weit. Wenn einerſeits alle Höhlen nach ihrer ganzen
Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was
die unorganiſche Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit-
einander haben, ſo gibt andererſeits der großartige tropiſche
Pflanzenwuchs der Mündung eines ſolchen Erdenlochs einen
ganz eigenen Charakter.

Die Cueva del Guacharo öffnet ſich im ſenkrechten Profil
eines Felſens. Der Eingang iſt nach Süd gekehrt; es iſt
eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, alſo bis auf ein
Fünfteil ſo hoch als die Kolonnade des Louvre. Auf dem
Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume. Der Mamei
und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern ſtrecken
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[264/0280] blüte zu finden, den Raphanus pinnatus. Man weiß, wie ſelten Arten dieſer Familie unter den Tropen ſind; ſie haben gleichſam einen nordiſchen Typus, und auf dieſen waren wir hier auf dem Plateau von Caripe, in ſo geringer Meeres- höhe, nicht gefaßt. Wenn man am Fuß des hohen Guacharoberges nur noch vierhundert Schritte von der Höhle entfernt iſt, ſieht man den Eingang noch nicht. Der Bach läuft durch eine Schlucht, die das Waſſer eingegraben, und man geht unter einem Felſenüberhang, ſo daß man den Himmel gar nicht ſieht. Der Weg ſchlängelt ſich mit dem Fluß und bei der letzten Biegung ſteht man auf einmal vor der ungeheuren Mündung der Höhle. Der Anblick hat etwas Großartiges ſelbſt für Augen, die mit der maleriſchen Szenerie der Hochalpen ver- traut ſind. Ich hatte damals die Höhlen am Pik von Derby- ſhire geſehen, wo man, in einem Nachen ausgeſtreckt, unter einem 60 cm hohen Gewölbe über einen unterirdiſchen Fluß ſetzt. Ich hatte die ſchöne Höhle von Treſhemienſhiz in den Karpaten befahren, ferner die Höhlen im Harz und in Fran- ken, die große Grabſtätten ſind für die Gebeine von Tigern, Hyänen und Bären, die ſo groß waren, wie unſere Pferde. Die Natur gehorcht unter allen Zonen unabänderlichen Ge- ſetzen in der Verteilung der Gebirgsarten, in der äußeren Geſtaltung der Berge, ſelbſt in den gewaltſamen Verände- rungen, welche die äußere Rinde unſeres Planeten erlitten hat. Nach dieſer großen Einförmigkeit konnte ich glauben, die Höhle von Caripe werde im Ausſehen von dem, was ich derart auf meinen früheren Reiſen beobachtet, eben nicht ſehr abweichen; aber die Wirklichkeit übertraf meine Erwar- tung weit. Wenn einerſeits alle Höhlen nach ihrer ganzen Bildung, durch den Glanz der Stalaktiten, in allem, was die unorganiſche Natur betrifft, auffallende Aehnlichkeit mit- einander haben, ſo gibt andererſeits der großartige tropiſche Pflanzenwuchs der Mündung eines ſolchen Erdenlochs einen ganz eigenen Charakter. Die Cueva del Guacharo öffnet ſich im ſenkrechten Profil eines Felſens. Der Eingang iſt nach Süd gekehrt; es iſt eine Wölbung 26 m breit und 23 hoch, alſo bis auf ein Fünfteil ſo hoch als die Kolonnade des Louvre. Auf dem Fels über der Grotte ſtehen rieſenhafte Bäume. Der Mamei und der Genipabaum mit breiten glänzenden Blättern ſtrecken ihre Aeſte gerade gen Himmel, während die des Courbaril

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/280>, abgerufen am 28.04.2024.