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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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geräte, und, wie man versichert, zuweilen auch Geld werden
unter ihnen verteilt. Diese Mönchsanstalten haben, wie ich
schon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der
Mährischen Brüder; sie fördern die Entwickelung in der Bil-
dung begriffener Menschenvereine, und in den katholischen Ge-
meinden, die man Missionen nennt, wird die Unabhängigkeit
der Familien und die Selbständigkeit der Genossenschaftsglieder
mehr geachtet als in den protestantischen Gemeinden nach
Zinzendorfs Regel.

Am berühmtesten ist das Thal von Caripe, neben der
ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva
oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man so
großen Hang zum Wunderbaren hat, ist eine Höhle, aus der
ein Strom entspringt und in der Tausende von Nachtvögeln
leben, mit deren Fett man in den Missionen kocht, natürlich
ein unerschöpflicher Gegenstand der Unterhaltung und des
Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß
ans Land gesetzt, so hört er zum Ueberdrusse vom Augenstein
von Araya, vom Landmanne in Arenas, der sein Kind ge-
säugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilo-
meter lang sein soll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerk-
würdigkeiten erhält sich überall, wo in der Gesellschaft kein
Leben ist, wo in trübseliger Eintönigkeit die alltäglichen Vor-
kommnisse sich ablösen, bei denen die Neugierde keine Nahrung
findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine "Fettgrube" nennen,
liegt nicht im Thal von Caripe selbst, sondern etwa 13 km
vom Kloster gegen West-Süd-West. Sie mündet in einem
Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft.
Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, be-
gleitet von den indianischen Alkaden und den meisten Ordens-
männern des Klosters. Ein schmaler Pfad führte zuerst
anderthalb Stunden lang südwärts über eine lachende, schön
beraste Ebene, dann wandten wir uns westwärts an einem
kleinen Flusse hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man
geht drei Viertelstunden lang aufwärts bald im Wasser, das
nicht tief ist, bald zwischen dem Fluß und einer Felswand,
auf sehr schlüpfrigem, morastigem Boden. Zahlreiche Erd-
fälle, umherliegende Baumstämme, über welche die Maultiere
nur schwer hinüber kommen, die Rankengewächse am Boden
machen dieses Stück des Weges sehr ermüdend. Wir waren
überrascht, hier, kaum 970 m über dem Meere, eine Kreuz-

geräte, und, wie man verſichert, zuweilen auch Geld werden
unter ihnen verteilt. Dieſe Mönchsanſtalten haben, wie ich
ſchon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der
Mähriſchen Brüder; ſie fördern die Entwickelung in der Bil-
dung begriffener Menſchenvereine, und in den katholiſchen Ge-
meinden, die man Miſſionen nennt, wird die Unabhängigkeit
der Familien und die Selbſtändigkeit der Genoſſenſchaftsglieder
mehr geachtet als in den proteſtantiſchen Gemeinden nach
Zinzendorfs Regel.

Am berühmteſten iſt das Thal von Caripe, neben der
ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva
oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man ſo
großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt eine Höhle, aus der
ein Strom entſpringt und in der Tauſende von Nachtvögeln
leben, mit deren Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich
ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des
Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß
ans Land geſetzt, ſo hört er zum Ueberdruſſe vom Augenſtein
von Araya, vom Landmanne in Arenas, der ſein Kind ge-
ſäugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilo-
meter lang ſein ſoll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerk-
würdigkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein
Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die alltäglichen Vor-
kommniſſe ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung
findet.

Die Höhle, welche die Einwohner eine „Fettgrube“ nennen,
liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern etwa 13 km
vom Kloſter gegen Weſt-Süd-Weſt. Sie mündet in einem
Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft.
Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, be-
gleitet von den indianiſchen Alkaden und den meiſten Ordens-
männern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad führte zuerſt
anderthalb Stunden lang ſüdwärts über eine lachende, ſchön
beraſte Ebene, dann wandten wir uns weſtwärts an einem
kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man
geht drei Viertelſtunden lang aufwärts bald im Waſſer, das
nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Felswand,
auf ſehr ſchlüpfrigem, moraſtigem Boden. Zahlreiche Erd-
fälle, umherliegende Baumſtämme, über welche die Maultiere
nur ſchwer hinüber kommen, die Rankengewächſe am Boden
machen dieſes Stück des Weges ſehr ermüdend. Wir waren
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[263/0279] geräte, und, wie man verſichert, zuweilen auch Geld werden unter ihnen verteilt. Dieſe Mönchsanſtalten haben, wie ich ſchon oben bemerkt, Aehnlichkeit mit den Gemeinden der Mähriſchen Brüder; ſie fördern die Entwickelung in der Bil- dung begriffener Menſchenvereine, und in den katholiſchen Ge- meinden, die man Miſſionen nennt, wird die Unabhängigkeit der Familien und die Selbſtändigkeit der Genoſſenſchaftsglieder mehr geachtet als in den proteſtantiſchen Gemeinden nach Zinzendorfs Regel. Am berühmteſten iſt das Thal von Caripe, neben der ausnehmenden Kühle des Klimas, durch die große Cueva oder Höhle des Guacharo. In einem Lande, wo man ſo großen Hang zum Wunderbaren hat, iſt eine Höhle, aus der ein Strom entſpringt und in der Tauſende von Nachtvögeln leben, mit deren Fett man in den Miſſionen kocht, natürlich ein unerſchöpflicher Gegenſtand der Unterhaltung und des Streites. Kaum hat daher der Fremde in Cumana den Fuß ans Land geſetzt, ſo hört er zum Ueberdruſſe vom Augenſtein von Araya, vom Landmanne in Arenas, der ſein Kind ge- ſäugt, und von der Höhle des Guacharo, die mehrere Kilo- meter lang ſein ſoll. Lebhafte Teilnahme an Naturmerk- würdigkeiten erhält ſich überall, wo in der Geſellſchaft kein Leben iſt, wo in trübſeliger Eintönigkeit die alltäglichen Vor- kommniſſe ſich ablöſen, bei denen die Neugierde keine Nahrung findet. Die Höhle, welche die Einwohner eine „Fettgrube“ nennen, liegt nicht im Thal von Caripe ſelbſt, ſondern etwa 13 km vom Kloſter gegen Weſt-Süd-Weſt. Sie mündet in einem Seitenthale aus, das der Sierra des Guacharo zuläuft. Am 18. September brachen wir nach der Sierra auf, be- gleitet von den indianiſchen Alkaden und den meiſten Ordens- männern des Kloſters. Ein ſchmaler Pfad führte zuerſt anderthalb Stunden lang ſüdwärts über eine lachende, ſchön beraſte Ebene, dann wandten wir uns weſtwärts an einem kleinen Fluſſe hinauf, der aus der Höhle hervorkommt. Man geht drei Viertelſtunden lang aufwärts bald im Waſſer, das nicht tief iſt, bald zwiſchen dem Fluß und einer Felswand, auf ſehr ſchlüpfrigem, moraſtigem Boden. Zahlreiche Erd- fälle, umherliegende Baumſtämme, über welche die Maultiere nur ſchwer hinüber kommen, die Rankengewächſe am Boden machen dieſes Stück des Weges ſehr ermüdend. Wir waren überraſcht, hier, kaum 970 m über dem Meere, eine Kreuz-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/279>, abgerufen am 28.04.2024.