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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Tage. In der Regenzeit werden diese Quellen zu reißenden
Bergströmen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia
mit silberglänzenden Blättern niederstürzen.

Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und
Bordones ziemlich häufig vorkommt, ist ein den europäischen
Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur
als Bauholz und ist seit dem Jahre 1797 unter dem Namen
Cascarilla oder Quinquina von Neuandalusien berühmt ge-
worden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; seine
wechselständigen Blätter sind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine
sehr dünne, blaßgelbe Rinde ist ein ausgezeichnetes Fieber-
mittel; dieselbe hat sogar mehr Bitterkeit als die Rinden der
echten Cinchonen, aber diese Bitterkeit ist nicht so unange-
nehm. Die Cuspa wird mit sehr gutem Erfolg als wein-
geistiger Extrakt und als wässeriger Aufguß sowohl in Wechsel-
fiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der
Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen
ansehnlichen Vorrat davon geschickt, und nach den kürzlichen
Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militär-
spital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für fast
ebenso wirksam erklärt, als die Quinquina von Santa Fe.
Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe sie vor letzterer
den Vorzug, daß sie bei Kranken mit geschwächtem Unterleib
den Magen weniger angreife.

Als wir aus der Schlucht, die sich am Imposible hin-
abzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch
den eine Menge kleiner Flüsse laufen, die man leicht durch-
watet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die
durch die Stellung ihrer Aeste und den schlanken Stamm an
den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder
sumpfig ist, mehr oder weniger silberfarbige Blätter treibt.
Wir sahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün
war. Die Wurzeln dieser Bäume waren unter Büschen von
Dorstenia versteckt, die nur feuchte, schattige Orte liebt. Mitten
im Walde, an den Ufern des Rio Erdenno, findet man, wie
am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangen-
bäume mit großen süßen Früchten wild wachsend. Es sind
wahrscheinlich Ueberbleibsel einiger Conucas oder indianischen
Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in diesen
Landstrichen nicht zu den ursprünglich hier heimischen Ge-
wächsen gerechnet werden, so wenig als der Pisang, der Me-
lonenbaum, der Mais, der Manioc und so viele andere nutz-

Tage. In der Regenzeit werden dieſe Quellen zu reißenden
Bergſtrömen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia
mit ſilberglänzenden Blättern niederſtürzen.

Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und
Bordones ziemlich häufig vorkommt, iſt ein den europäiſchen
Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur
als Bauholz und iſt ſeit dem Jahre 1797 unter dem Namen
Cascarilla oder Quinquina von Neuandaluſien berühmt ge-
worden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; ſeine
wechſelſtändigen Blätter ſind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine
ſehr dünne, blaßgelbe Rinde iſt ein ausgezeichnetes Fieber-
mittel; dieſelbe hat ſogar mehr Bitterkeit als die Rinden der
echten Cinchonen, aber dieſe Bitterkeit iſt nicht ſo unange-
nehm. Die Cuspa wird mit ſehr gutem Erfolg als wein-
geiſtiger Extrakt und als wäſſeriger Aufguß ſowohl in Wechſel-
fiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der
Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen
anſehnlichen Vorrat davon geſchickt, und nach den kürzlichen
Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militär-
ſpital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für faſt
ebenſo wirkſam erklärt, als die Quinquina von Santa Fé.
Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe ſie vor letzterer
den Vorzug, daß ſie bei Kranken mit geſchwächtem Unterleib
den Magen weniger angreife.

Als wir aus der Schlucht, die ſich am Impoſible hin-
abzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch
den eine Menge kleiner Flüſſe laufen, die man leicht durch-
watet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die
durch die Stellung ihrer Aeſte und den ſchlanken Stamm an
den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder
ſumpfig iſt, mehr oder weniger ſilberfarbige Blätter treibt.
Wir ſahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün
war. Die Wurzeln dieſer Bäume waren unter Büſchen von
Dorſtenia verſteckt, die nur feuchte, ſchattige Orte liebt. Mitten
im Walde, an den Ufern des Rio Erdeño, findet man, wie
am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangen-
bäume mit großen ſüßen Früchten wild wachſend. Es ſind
wahrſcheinlich Ueberbleibſel einiger Conucas oder indianiſchen
Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in dieſen
Landſtrichen nicht zu den urſprünglich hier heimiſchen Ge-
wächſen gerechnet werden, ſo wenig als der Piſang, der Me-
lonenbaum, der Mais, der Manioc und ſo viele andere nutz-

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[224/0240] Tage. In der Regenzeit werden dieſe Quellen zu reißenden Bergſtrömen, die im Schatten von Hura, Cuspa und Cecropia mit ſilberglänzenden Blättern niederſtürzen. Die Cuspa, die in der Umgegend von Cumana und Bordones ziemlich häufig vorkommt, iſt ein den europäiſchen Botanikern noch unbekannter Baum. Er diente lange nur als Bauholz und iſt ſeit dem Jahre 1797 unter dem Namen Cascarilla oder Quinquina von Neuandaluſien berühmt ge- worden. Sein Stamm wird kaum 5 bis 6,5 m hoch; ſeine wechſelſtändigen Blätter ſind glatt, ganzrandig, eiförmig. Seine ſehr dünne, blaßgelbe Rinde iſt ein ausgezeichnetes Fieber- mittel; dieſelbe hat ſogar mehr Bitterkeit als die Rinden der echten Cinchonen, aber dieſe Bitterkeit iſt nicht ſo unange- nehm. Die Cuspa wird mit ſehr gutem Erfolg als wein- geiſtiger Extrakt und als wäſſeriger Aufguß ſowohl in Wechſel- fiebern als in bösartigen Fiebern gegeben. Emparan, der Statthalter von Cumana, hat den Aerzten in Cadiz einen anſehnlichen Vorrat davon geſchickt, und nach den kürzlichen Mitteilungen Don Pedro Francos, Pharmazeuten am Militär- ſpital zu Cumana, hat man in Europa die Cuspa für faſt ebenſo wirkſam erklärt, als die Quinquina von Santa Fé. Man behauptet, in Pulverform gereicht, habe ſie vor letzterer den Vorzug, daß ſie bei Kranken mit geſchwächtem Unterleib den Magen weniger angreife. Als wir aus der Schlucht, die ſich am Impoſible hin- abzieht, herauskamen, betraten wir einen dichten Wald, durch den eine Menge kleiner Flüſſe laufen, die man leicht durch- watet. Wir machten die Bemerkung, daß die Cecropia, die durch die Stellung ihrer Aeſte und den ſchlanken Stamm an den Palmenhabitus erinnert, je nachdem der Boden dürr oder ſumpfig iſt, mehr oder weniger ſilberfarbige Blätter treibt. Wir ſahen Stämme, deren Laub auf beiden Seiten ganz grün war. Die Wurzeln dieſer Bäume waren unter Büſchen von Dorſtenia verſteckt, die nur feuchte, ſchattige Orte liebt. Mitten im Walde, an den Ufern des Rio Erdeño, findet man, wie am Südabhang des Cocollar, Melonenbäume und Orangen- bäume mit großen ſüßen Früchten wild wachſend. Es ſind wahrſcheinlich Ueberbleibſel einiger Conucas oder indianiſchen Pflanzungen; denn auch der Orangenbaum kann in dieſen Landſtrichen nicht zu den urſprünglich hier heimiſchen Ge- wächſen gerechnet werden, ſo wenig als der Piſang, der Me- lonenbaum, der Mais, der Manioc und ſo viele andere nutz-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/240>, abgerufen am 27.04.2024.