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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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geheure Waldbrände durch die Unvorsichtigkeit der Indianer,
die auf ihren Zügen die Feuer, an denen sie gekocht haben,
nicht auslöschen. Durch diese Zufälle sind auf dem Wege
von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume seltener ge-
worden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung,
daß an verschiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zu-
genommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen
Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, sondern
auch weil er nicht mehr so stark bewaldet ist als zur Zeit
der Eroberung.

Ich stand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem
Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu bestimmen.
Es war Mitternacht; ich starrte vor Kälte, wie unser Führer,
und doch stand der Thermometer noch auf 19,7°. In Cu-
mana sah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf
dem Imposible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch
503 m über dem Meeresspiegel. Bei der Casa de la Polvora
beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; sie war
gleich 40,5°. Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten
Zeit betrug 233; die Intensität der magnetischen Kraft hatte
somit zwischen der Küste und dem Berge zugenommen, was
vielleicht von eisenschüssigem Gestein herrührte, das die auf
dem Alpenkalk gelagerten Sandsteinschichten enthalten mochten.

Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom
Imposible auf. Der Weg abwärts ist für die Lasttiere sehr
gefährlich; der Pfad ist meist nur 40 cm breit und läuft
beiderseits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man
sehr zweckmäßig beschlossen, von San Fernando bis an den
Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war sogar
zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in
der Ebene am Fuße des Imposible begonnen, und das schwie-
rigste Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen.
Die Arbeit geriet aus einer der Ursachen ins Stocken, aus
denen aus allen Fortschrittsprojekten in den spanischen Kolonieen
nichts wird. Verschiedene Civilbehörden nahmen das Recht
in Anspruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte
geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis
der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abstellte.

Wenn man vom Imposible herabkommt, sieht man den
Alpenkalk unter dem Sandstein wieder zum Vorschein kommen.
Da die Schichten meist nach Süd und Südost fallen, so
kommen am Südabhang des Berges sehr viele Quellen zu

geheure Waldbrände durch die Unvorſichtigkeit der Indianer,
die auf ihren Zügen die Feuer, an denen ſie gekocht haben,
nicht auslöſchen. Durch dieſe Zufälle ſind auf dem Wege
von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume ſeltener ge-
worden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung,
daß an verſchiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zu-
genommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen
Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, ſondern
auch weil er nicht mehr ſo ſtark bewaldet iſt als zur Zeit
der Eroberung.

Ich ſtand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem
Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu beſtimmen.
Es war Mitternacht; ich ſtarrte vor Kälte, wie unſer Führer,
und doch ſtand der Thermometer noch auf 19,7°. In Cu-
mana ſah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf
dem Impoſible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch
503 m über dem Meeresſpiegel. Bei der Caſa de la Polvora
beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; ſie war
gleich 40,5°. Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten
Zeit betrug 233; die Intenſität der magnetiſchen Kraft hatte
ſomit zwiſchen der Küſte und dem Berge zugenommen, was
vielleicht von eiſenſchüſſigem Geſtein herrührte, das die auf
dem Alpenkalk gelagerten Sandſteinſchichten enthalten mochten.

Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom
Impoſible auf. Der Weg abwärts iſt für die Laſttiere ſehr
gefährlich; der Pfad iſt meiſt nur 40 cm breit und läuft
beiderſeits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man
ſehr zweckmäßig beſchloſſen, von San Fernando bis an den
Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war ſogar
zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in
der Ebene am Fuße des Impoſible begonnen, und das ſchwie-
rigſte Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen.
Die Arbeit geriet aus einer der Urſachen ins Stocken, aus
denen aus allen Fortſchrittsprojekten in den ſpaniſchen Kolonieen
nichts wird. Verſchiedene Civilbehörden nahmen das Recht
in Anſpruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte
geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis
der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abſtellte.

Wenn man vom Impoſible herabkommt, ſieht man den
Alpenkalk unter dem Sandſtein wieder zum Vorſchein kommen.
Da die Schichten meiſt nach Süd und Südoſt fallen, ſo
kommen am Südabhang des Berges ſehr viele Quellen zu

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[223/0239] geheure Waldbrände durch die Unvorſichtigkeit der Indianer, die auf ihren Zügen die Feuer, an denen ſie gekocht haben, nicht auslöſchen. Durch dieſe Zufälle ſind auf dem Wege von Cumana nach Cumanacoa die alten Bäume ſeltener ge- worden; und die Einwohner machen die richtige Bemerkung, daß an verſchiedenen Orten der Provinz die Trockenheit zu- genommen habe, nicht allein weil der Boden durch die vielen Erdbeben von Jahr zu Jahr mehr zerklüftet wird, ſondern auch weil er nicht mehr ſo ſtark bewaldet iſt als zur Zeit der Eroberung. Ich ſtand nachts auf, um die Breite des Ortes nach dem Durchgang Fomahaults durch den Meridian zu beſtimmen. Es war Mitternacht; ich ſtarrte vor Kälte, wie unſer Führer, und doch ſtand der Thermometer noch auf 19,7°. In Cu- mana ſah ich ihn nie unter 21° fallen; aber das Haus auf dem Impoſible, in dem wir die Nacht zubrachten, lag auch 503 m über dem Meeresſpiegel. Bei der Caſa de la Polvora beobachtete ich die Inklination der Magnetnadel; ſie war gleich 40,5°. Die Zahl der Schwingungen in 10 Minuten Zeit betrug 233; die Intenſität der magnetiſchen Kraft hatte ſomit zwiſchen der Küſte und dem Berge zugenommen, was vielleicht von eiſenſchüſſigem Geſtein herrührte, das die auf dem Alpenkalk gelagerten Sandſteinſchichten enthalten mochten. Am 5. September vor Sonnenaufgang brachen wir vom Impoſible auf. Der Weg abwärts iſt für die Laſttiere ſehr gefährlich; der Pfad iſt meiſt nur 40 cm breit und läuft beiderſeits an Abgründen hin. Im Jahre 1797 hatte man ſehr zweckmäßig beſchloſſen, von San Fernando bis an den Berg eine gute Straße anzulegen. Die Straße war ſogar zu einem Dritteil bereits fertig; leider hatte man damit in der Ebene am Fuße des Impoſible begonnen, und das ſchwie- rigſte Stück des Weges wurde gar nicht in Angriff genommen. Die Arbeit geriet aus einer der Urſachen ins Stocken, aus denen aus allen Fortſchrittsprojekten in den ſpaniſchen Kolonieen nichts wird. Verſchiedene Civilbehörden nahmen das Recht in Anſpruch, die Arbeit mit zu leiten. Das Volk bezahlte geduldig den Zoll für einen Weg, der gar nicht da war, bis der Statthalter von Cumana den Mißbrauch abſtellte. Wenn man vom Impoſible herabkommt, ſieht man den Alpenkalk unter dem Sandſtein wieder zum Vorſchein kommen. Da die Schichten meiſt nach Süd und Südoſt fallen, ſo kommen am Südabhang des Berges ſehr viele Quellen zu

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/239>, abgerufen am 29.03.2024.