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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die
Einwohner von Cumana auf diesem Gebirgskamm eine Zu-
fluchtsstätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang
auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stun-
denwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge
des Ortes zu bestimmen.

Die Aussicht auf dem Imposible ist noch schöner und
weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir
mit bloßem Auge den abgestutzten Gipfel des Brigantin, dessen
geographische Lage genau zu kennen so wichtig wäre, den
Landungsplatz und die Reede von Cumana sehen. Die Felsen-
küste von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Be-
sonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf,
den man Laguna grande oder Laguna del Obispo
nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken
steht durch einen schmalen Kanal, durch den nur ein Schiff
fahren kann, mit dem Meerbusen von Cariaco in Verbindung.
In diesem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat,
könnten mehrere Geschwader nebeneinander ankern. Es ist
ein völlig einsamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahr-
zeuge besuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen.
Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unser Blick ver-
folgte die Windungen des Meeresarmes, der sich wie ein Fluß
durch senkrechte kahle Felsen sein Bett gegraben hat. Dieser
merkwürdige Anblick erinnert an die phantastische Landschaft,
die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde seines berühmten
Bildnisses der Joconda 1 angebracht hat.

Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beob-
achten, in dem die Sonnenscheibe den Meereshorizont berührte.
Die erste Berührung fand statt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sekun-
den, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit.
Diese Beobachtung, die für die Theorie der irdischen Strahlen-
brechung nicht ohne Belang ist, wurde auf dem Gipfel des
Berges in 577 m absoluter Höhe angestellt. Mit dem Unter-
gang der Sonne trat eine sehr rasche Abkühlung der Luft ein.
Drei Minuten nach der letzten scheinbaren Berührung der
Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötz-
lich von 25,2° auf 21,3°. Wurde diese auffallende Abkühlung
etwa durch einen aufsteigenden Strom bewirkt? Die Luft
war indessen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken.


1 Mona Lisa, Gattin des Francesco del Giocondo.

weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die
Einwohner von Cumana auf dieſem Gebirgskamm eine Zu-
fluchtsſtätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang
auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stun-
denwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge
des Ortes zu beſtimmen.

Die Ausſicht auf dem Impoſible iſt noch ſchöner und
weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir
mit bloßem Auge den abgeſtutzten Gipfel des Brigantin, deſſen
geographiſche Lage genau zu kennen ſo wichtig wäre, den
Landungsplatz und die Reede von Cumana ſehen. Die Felſen-
küſte von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Be-
ſonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf,
den man Laguna grande oder Laguna del Obispo
nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken
ſteht durch einen ſchmalen Kanal, durch den nur ein Schiff
fahren kann, mit dem Meerbuſen von Cariaco in Verbindung.
In dieſem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat,
könnten mehrere Geſchwader nebeneinander ankern. Es iſt
ein völlig einſamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahr-
zeuge beſuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen.
Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unſer Blick ver-
folgte die Windungen des Meeresarmes, der ſich wie ein Fluß
durch ſenkrechte kahle Felſen ſein Bett gegraben hat. Dieſer
merkwürdige Anblick erinnert an die phantaſtiſche Landſchaft,
die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde ſeines berühmten
Bildniſſes der Joconda 1 angebracht hat.

Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beob-
achten, in dem die Sonnenſcheibe den Meereshorizont berührte.
Die erſte Berührung fand ſtatt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sekun-
den, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit.
Dieſe Beobachtung, die für die Theorie der irdiſchen Strahlen-
brechung nicht ohne Belang iſt, wurde auf dem Gipfel des
Berges in 577 m abſoluter Höhe angeſtellt. Mit dem Unter-
gang der Sonne trat eine ſehr raſche Abkühlung der Luft ein.
Drei Minuten nach der letzten ſcheinbaren Berührung der
Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötz-
lich von 25,2° auf 21,3°. Wurde dieſe auffallende Abkühlung
etwa durch einen aufſteigenden Strom bewirkt? Die Luft
war indeſſen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken.


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[221/0237] weil man meint, bei einer feindlichen Landung würden die Einwohner von Cumana auf dieſem Gebirgskamm eine Zu- fluchtsſtätte finden. Wir kamen kurz vor Sonnenuntergang auf dem Gipfel an, und ich konnte eben noch ein paar Stun- denwinkel aufnehmen, um mittels des Chronometers die Länge des Ortes zu beſtimmen. Die Ausſicht auf dem Impoſible iſt noch ſchöner und weiter als auf der Ebene Quetepe. Deutlich konnten wir mit bloßem Auge den abgeſtutzten Gipfel des Brigantin, deſſen geographiſche Lage genau zu kennen ſo wichtig wäre, den Landungsplatz und die Reede von Cumana ſehen. Die Felſen- küſte von Araya lag nach ihrer ganzen Länge vor uns. Be- ſonders fiel uns die merkwürdige Bildung eines Hafens auf, den man Laguna grande oder Laguna del Obispo nennt. Ein weites, von hohen Bergen umgebenes Becken ſteht durch einen ſchmalen Kanal, durch den nur ein Schiff fahren kann, mit dem Meerbuſen von Cariaco in Verbindung. In dieſem Hafen, den Fidalgo genau aufgenommen hat, könnten mehrere Geſchwader nebeneinander ankern. Es iſt ein völlig einſamer Ort, den nur einmal im Jahre die Fahr- zeuge beſuchen, welche Maultiere nach den Antillen bringen. Hinten in der Bucht liegen einige Weiden. Unſer Blick ver- folgte die Windungen des Meeresarmes, der ſich wie ein Fluß durch ſenkrechte kahle Felſen ſein Bett gegraben hat. Dieſer merkwürdige Anblick erinnert an die phantaſtiſche Landſchaft, die Leonardo da Vinci auf dem Hintergrunde ſeines berühmten Bildniſſes der Joconda 1 angebracht hat. Wir konnten mit dem Chronometer den Moment beob- achten, in dem die Sonnenſcheibe den Meereshorizont berührte. Die erſte Berührung fand ſtatt um 6 Uhr 8 Minuten 13 Sekun- den, die zweite um 6 Uhr 10 Min. 26 Sek. mittlere Zeit. Dieſe Beobachtung, die für die Theorie der irdiſchen Strahlen- brechung nicht ohne Belang iſt, wurde auf dem Gipfel des Berges in 577 m abſoluter Höhe angeſtellt. Mit dem Unter- gang der Sonne trat eine ſehr raſche Abkühlung der Luft ein. Drei Minuten nach der letzten ſcheinbaren Berührung der Scheibe mit dem Meereshorizont fiel der Thermometer plötz- lich von 25,2° auf 21,3°. Wurde dieſe auffallende Abkühlung etwa durch einen aufſteigenden Strom bewirkt? Die Luft war indeſſen ruhig und kein wagerechter Luftzug zu bemerken. 1 Mona Liſa, Gattin des Francesco del Giocondo.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/237>, abgerufen am 29.03.2024.