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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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auf dem Gipfel der Montagne Pelee auf Martinique 1 haben
er und seine Begleiter vor Frost gebebt, obgleich die Wärme
noch 211/2° betrug. In der anziehenden Reisebeschreibung
des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des
Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurück-
legen mußte, liest man, daß er zwischen dem 10. und
12. Grad südlicher Breite weit mehr vom Frost als vom
Hunger gelitten. 2 Im Januar 1803, bei unserem Aufent-
halt in Guayaquil, sahen wir die Eingeborenen sich über
Kälte beklagen und sich zudecken, wenn der Thermometer auf
23,8° fiel, während sie bei 30,5° die Hitze erstickend fanden.
Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die ent-
gegengesetzten Empfindungen von Frost und Hitze zu erzeugen,
weil an diesen Küsten der Südsee die gewöhnliche Luft-
temperatur 28° beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der sich die
Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmestoff ändert, spielt
bei diesen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von
Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem
Boden, kühlt sich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und
ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23,8°
fällt, der Delucsche Hygrometer auf 50 bis 52° stehen bleibt;
dagegen steht er auf 37 bei einer Temperatur von 30,5°.
In Cumana hört man bei starken Regengüssen in den Straßen
schreien: "Que hielo! estoy emparamado!" 3 und doch fällt

1 Der Berg ist nach verschiedenen Angaben zwischen 1300 und
1435 m hoch.
2 Die Mannschaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen
durchnäßt; wir wissen aber, daß unter dieser Breite die Temperatur
des Meerwassers nicht unter 23° sein kann, und daß die durch Ver-
dunstung entstehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur
selten über 25° steigt, nur unbeträchtlich ist.
3 "Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken
der Berge!" Das provinzielle Wort emparamarse läßt sich nur
durch lange Umschreibung wiedergeben. Paramo, peruanisch
Puna, ist ein Name, den man auf allen Karten des spanischen
Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüste
noch eine "lande", sondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten
Bäumen bewachsenen, den Winden ausgesetzten Landstrich, wo es
beständig naßkalt ist. In der heißen Zone liegen die Paramos ge-
wöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur
ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Pa-
ramo
und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet,

auf dem Gipfel der Montagne Pelée auf Martinique 1 haben
er und ſeine Begleiter vor Froſt gebebt, obgleich die Wärme
noch 21½° betrug. In der anziehenden Reiſebeſchreibung
des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des
Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurück-
legen mußte, lieſt man, daß er zwiſchen dem 10. und
12. Grad ſüdlicher Breite weit mehr vom Froſt als vom
Hunger gelitten. 2 Im Januar 1803, bei unſerem Aufent-
halt in Guayaquil, ſahen wir die Eingeborenen ſich über
Kälte beklagen und ſich zudecken, wenn der Thermometer auf
23,8° fiel, während ſie bei 30,5° die Hitze erſtickend fanden.
Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die ent-
gegengeſetzten Empfindungen von Froſt und Hitze zu erzeugen,
weil an dieſen Küſten der Südſee die gewöhnliche Luft-
temperatur 28° beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der ſich die
Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmeſtoff ändert, ſpielt
bei dieſen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von
Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem
Boden, kühlt ſich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und
ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23,8°
fällt, der Delucſche Hygrometer auf 50 bis 52° ſtehen bleibt;
dagegen ſteht er auf 37 bei einer Temperatur von 30,5°.
In Cumana hört man bei ſtarken Regengüſſen in den Straßen
ſchreien: „Que hielo! estoy emparamado!“ 3 und doch fällt

1 Der Berg iſt nach verſchiedenen Angaben zwiſchen 1300 und
1435 m hoch.
2 Die Mannſchaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen
durchnäßt; wir wiſſen aber, daß unter dieſer Breite die Temperatur
des Meerwaſſers nicht unter 23° ſein kann, und daß die durch Ver-
dunſtung entſtehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur
ſelten über 25° ſteigt, nur unbeträchtlich iſt.
3 „Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken
der Berge!“ Das provinzielle Wort emparamarse läßt ſich nur
durch lange Umſchreibung wiedergeben. Paramo, peruaniſch
Puna, iſt ein Name, den man auf allen Karten des ſpaniſchen
Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüſte
noch eine lande“, ſondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten
Bäumen bewachſenen, den Winden ausgeſetzten Landſtrich, wo es
beſtändig naßkalt iſt. In der heißen Zone liegen die Paramos ge-
wöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur
ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Pa-
ramo
und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet,
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[190/0206] auf dem Gipfel der Montagne Pelée auf Martinique 1 haben er und ſeine Begleiter vor Froſt gebebt, obgleich die Wärme noch 21½° betrug. In der anziehenden Reiſebeſchreibung des Kapitän Bligh, der infolge einer Meuterei an Bord des Schiffes Bounty 5400 km in einer offenen Schaluppe zurück- legen mußte, lieſt man, daß er zwiſchen dem 10. und 12. Grad ſüdlicher Breite weit mehr vom Froſt als vom Hunger gelitten. 2 Im Januar 1803, bei unſerem Aufent- halt in Guayaquil, ſahen wir die Eingeborenen ſich über Kälte beklagen und ſich zudecken, wenn der Thermometer auf 23,8° fiel, während ſie bei 30,5° die Hitze erſtickend fanden. Es brauchte nicht mehr als 7 bis 8 Grad, um die ent- gegengeſetzten Empfindungen von Froſt und Hitze zu erzeugen, weil an dieſen Küſten der Südſee die gewöhnliche Luft- temperatur 28° beträgt. Die Feuchtigkeit, mit der ſich die Leitungsfähigkeit der Luft für den Wärmeſtoff ändert, ſpielt bei dieſen Empfindungen eine große Rolle. Im Hafen von Guayaquil, wie überall in der heißen Zone auf tief gelegenem Boden, kühlt ſich die Luft nur durch Gewitterregen ab, und ich habe beobachtet, daß, während der Thermometer auf 23,8° fällt, der Delucſche Hygrometer auf 50 bis 52° ſtehen bleibt; dagegen ſteht er auf 37 bei einer Temperatur von 30,5°. In Cumana hört man bei ſtarken Regengüſſen in den Straßen ſchreien: „Que hielo! estoy emparamado!“ 3 und doch fällt 1 Der Berg iſt nach verſchiedenen Angaben zwiſchen 1300 und 1435 m hoch. 2 Die Mannſchaft der Schaluppe wurde häufig von den Wellen durchnäßt; wir wiſſen aber, daß unter dieſer Breite die Temperatur des Meerwaſſers nicht unter 23° ſein kann, und daß die durch Ver- dunſtung entſtehende Abkühlung in Nächten, wo die Lufttemperatur ſelten über 25° ſteigt, nur unbeträchtlich iſt. 3 „Welche Eiskälte! Ich friere, als wäre ich auf dem Rücken der Berge!“ Das provinzielle Wort emparamarse läßt ſich nur durch lange Umſchreibung wiedergeben. Paramo, peruaniſch Puna, iſt ein Name, den man auf allen Karten des ſpaniſchen Amerikas findet. Er bedeutet in den Kolonieen weder eine Wüſte noch eine „lande“, ſondern einen gebirgigen, mit verkrüppelten Bäumen bewachſenen, den Winden ausgeſetzten Landſtrich, wo es beſtändig naßkalt iſt. In der heißen Zone liegen die Paramos ge- wöhnlich 3120 bis 3900 m hoch. Es fällt häufig Schnee, der nur ein paar Stunden liegen bleibt; denn man darf die Worte Pa- ramo und Puna nicht, wie es den Geographen häufig begegnet,

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/206>, abgerufen am 26.04.2024.