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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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der dem Regen ausgesetzte Thermometer nur auf 21,5°. Aus
allen diesen Beobachtungen geht hervor, daß man zwischen
den Wendekreisen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei
Tage fast beständig über 27° ist, bei Nacht das Bedürfnis
fühlt, sich zuzudecken, so oft bei feuchter Luft der Thermometer
um 4 bis 51/2° fällt.

Gegen 8 Uhr morgens stiegen wir an der Landspitze
von Araya bei der "Neuen Saline" ans Land. Ein einzelnes
Haus steht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von
drei Kanonen, auf die sich seit der Zerstörung des Forts
St. Jakob die Verteidigung dieser Küste beschränkt. Der
Salineninspektor bringt sein Leben in einer Hängematte zu,
in der er den Arbeitern seine Befehle erteilt, und eine Lancha
del rey
(königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana
seine Lebensmittel zu. Man wundert sich, daß bei einem
Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und
anderen Seemächten Eifersucht erregte, kein Dorf oder auch
nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Land-
spitze von Araya ein paar armselige indianische Fischerhütten.

Man übersieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua,
die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des
Schlosses St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalk-
gebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont be-
grenzt. Wie reich die Halbinsel Araya an Kochsalz ist, wurde
schon Alonso Ninno bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus',
Ojedas, und Amerigo Vespuccis Fußstapfen diese Länder be-
suchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern
des Erdballes am wenigsten Salz verbrauchen, weil sie fast
allein von Pflanzenkost leben, scheinen doch bereits die Guay-

mit dem Worte Nevado, peruanisch Ritticapa, verwechseln,
was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg be-
deutet. Diese Begriffe sind für die Geologie und die Pflanzen-
geographie sehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berg-
gipfel gemessen ist, eine richtige Vorstellung von der geringsten
Höhe
erhält, zu der sich die Kordilleren erheben, wenn man die
Worte Paramo und Nevado aufsucht. Da die Paramos fast be-
ständig in kalten, dichten Nebel gehüllt sind, so sagt das Volk in
Santa Fe und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner
Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Pa-
ramo
hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als
wäre man auf dem Rücken der Anden.

der dem Regen ausgeſetzte Thermometer nur auf 21,5°. Aus
allen dieſen Beobachtungen geht hervor, daß man zwiſchen
den Wendekreiſen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei
Tage faſt beſtändig über 27° iſt, bei Nacht das Bedürfnis
fühlt, ſich zuzudecken, ſo oft bei feuchter Luft der Thermometer
um 4 bis 5½° fällt.

Gegen 8 Uhr morgens ſtiegen wir an der Landſpitze
von Araya bei der „Neuen Saline“ ans Land. Ein einzelnes
Haus ſteht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von
drei Kanonen, auf die ſich ſeit der Zerſtörung des Forts
St. Jakob die Verteidigung dieſer Küſte beſchränkt. Der
Salineninſpektor bringt ſein Leben in einer Hängematte zu,
in der er den Arbeitern ſeine Befehle erteilt, und eine Lancha
del rey
(königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana
ſeine Lebensmittel zu. Man wundert ſich, daß bei einem
Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und
anderen Seemächten Eiferſucht erregte, kein Dorf oder auch
nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Land-
ſpitze von Araya ein paar armſelige indianiſche Fiſcherhütten.

Man überſieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua,
die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des
Schloſſes St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalk-
gebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont be-
grenzt. Wie reich die Halbinſel Araya an Kochſalz iſt, wurde
ſchon Alonſo Niño bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus’,
Ojedas, und Amerigo Veſpuccis Fußſtapfen dieſe Länder be-
ſuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern
des Erdballes am wenigſten Salz verbrauchen, weil ſie faſt
allein von Pflanzenkoſt leben, ſcheinen doch bereits die Guay-

mit dem Worte Nevado, peruaniſch Ritticapa, verwechſeln,
was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg be-
deutet. Dieſe Begriffe ſind für die Geologie und die Pflanzen-
geographie ſehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berg-
gipfel gemeſſen iſt, eine richtige Vorſtellung von der geringſten
Höhe
erhält, zu der ſich die Kordilleren erheben, wenn man die
Worte Paramo und Nevado aufſucht. Da die Paramos faſt be-
ſtändig in kalten, dichten Nebel gehüllt ſind, ſo ſagt das Volk in
Santa Fé und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner
Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Pa-
ramo
hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als
wäre man auf dem Rücken der Anden.
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[191/0207] der dem Regen ausgeſetzte Thermometer nur auf 21,5°. Aus allen dieſen Beobachtungen geht hervor, daß man zwiſchen den Wendekreiſen auf Ebenen, wo die Lufttemperatur bei Tage faſt beſtändig über 27° iſt, bei Nacht das Bedürfnis fühlt, ſich zuzudecken, ſo oft bei feuchter Luft der Thermometer um 4 bis 5½° fällt. Gegen 8 Uhr morgens ſtiegen wir an der Landſpitze von Araya bei der „Neuen Saline“ ans Land. Ein einzelnes Haus ſteht auf einer kahlen Ebene, neben einer Batterie von drei Kanonen, auf die ſich ſeit der Zerſtörung des Forts St. Jakob die Verteidigung dieſer Küſte beſchränkt. Der Salineninſpektor bringt ſein Leben in einer Hängematte zu, in der er den Arbeitern ſeine Befehle erteilt, und eine Lancha del rey (königliche Barke) führt ihm jede Woche von Cumana ſeine Lebensmittel zu. Man wundert ſich, daß bei einem Salzwerk, das früher bei den Engländern, Holländern und anderen Seemächten Eiferſucht erregte, kein Dorf oder auch nur ein Hof liegt. Kaum findet man am Ende der Land- ſpitze von Araya ein paar armſelige indianiſche Fiſcherhütten. Man überſieht von hier aus zugleich das Eiland Cubagua, die hohen Berggipfel von Margarita, die Trümmer des Schloſſes St. Jakob, den Cerro de la Vela und das Kalk- gebirge des Brigantin, das gegen Süden den Horizont be- grenzt. Wie reich die Halbinſel Araya an Kochſalz iſt, wurde ſchon Alonſo Niño bekannt, als er im Jahre 1499 in Kolumbus’, Ojedas, und Amerigo Veſpuccis Fußſtapfen dieſe Länder be- ſuchte. Obgleich die Eingeborenen Amerikas unter allen Völkern des Erdballes am wenigſten Salz verbrauchen, weil ſie faſt allein von Pflanzenkoſt leben, ſcheinen doch bereits die Guay- 3 3 mit dem Worte Nevado, peruaniſch Ritticapa, verwechſeln, was einen zur Linie des ewigen Schnees emporragenden Berg be- deutet. Dieſe Begriffe ſind für die Geologie und die Pflanzen- geographie ſehr wichtig, weil man in Ländern, wo noch kein Berg- gipfel gemeſſen iſt, eine richtige Vorſtellung von der geringſten Höhe erhält, zu der ſich die Kordilleren erheben, wenn man die Worte Paramo und Nevado aufſucht. Da die Paramos faſt be- ſtändig in kalten, dichten Nebel gehüllt ſind, ſo ſagt das Volk in Santa Fé und Mexiko: cae un paramito, wenn ein feiner Regen fällt und die Lufttemperatur bedeutend abnimmt. Aus Pa- ramo hat man emparamarse gemacht, d. h. frieren, als wäre man auf dem Rücken der Anden.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/207>, abgerufen am 25.04.2024.