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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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gegenwärtigt, so zeigt sich, daß heftige Stöße so gut bei
feuchtem als trockenem Wetter, so gut bei starkem Winde als
bei drückend schwüler stiller Luft eintreten können. Nach den
vielen Erdbeben, die ich nördlich und südlich vom Aequator,
auf dem Festland und in Meeresbecken, an der Küste und
in 4870 m Höhe erlebt, will es mir scheinen, als ob die
Schwingungen des Bodens und der vorhergehende Zustand
der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu thun hätten.
Dieser Ansicht sind auch viele gebildete Männer in den spa-
nischen Kolonieen, deren Erfahrung sich, wo nicht auf ein
größeres Stück der Erdoberfläche, so doch auf eine längere
Reihe von Jahren erstreckt. In europäischen Ländern da-
gegen, wo Erdbeben im Verhältnis zu Amerika selten vor-
kommen, sind die Physiker geneigt, die Schwingungen des
Bodens und irgend ein Meteor, das zufällig zur selben Zeit
erscheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in
Italien an einen Zusammenhang zwischen dem Sirocco und
den Erdbeben, und in London sah man das häufige Vor-
kommen von Sternschnuppen und jene Südlichter, die seitdem
von Dalton öfters beobachtet worden sind, als die Vorläufer
der Erdstöße an, die man vom Jahre 1748 bis zum Jahre
1756 spürte.

An den Tagen, wo die Erde durch starke Stöße er-
schüttert wird, zeigt sich unter den Tropen keine Störung in
der regelmäßigen stündlichen Schwankung des Barometers.
Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hiervon über-
zeugt; auf diesen Umstand sind die Physiker um so mehr auf-
merksam zu machen, als man auf San Domingo in der Stadt
Kap Francais unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den
Wasserbarometer um 66 mm will haben fallen sehen. 1 So
erzählt man auch, bei der Zerstörung von Oran habe sich ein
Apotheker mit seiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten
vor der Katastrophe zufällig auf seinen Barometer gesehen
und bemerkt habe, daß das Quecksilber auffallend stark falle.
Ich weiß nicht, ob dieser Behauptung Glauben zu schenken
ist; da es fast unmöglich ist, während der Stöße selbst die
Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, so muß man sich
begnügen, auf den Barometer vor und nach dem Vorfall zu
sehen. Im gemäßigten Erdstrich äußern die Nordlichter nicht
immer Einfluß auf die Deklination der Magnetnadel und die

1 Dieses Fallen entspricht nur 4 mm Quecksilber.

gegenwärtigt, ſo zeigt ſich, daß heftige Stöße ſo gut bei
feuchtem als trockenem Wetter, ſo gut bei ſtarkem Winde als
bei drückend ſchwüler ſtiller Luft eintreten können. Nach den
vielen Erdbeben, die ich nördlich und ſüdlich vom Aequator,
auf dem Feſtland und in Meeresbecken, an der Küſte und
in 4870 m Höhe erlebt, will es mir ſcheinen, als ob die
Schwingungen des Bodens und der vorhergehende Zuſtand
der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu thun hätten.
Dieſer Anſicht ſind auch viele gebildete Männer in den ſpa-
niſchen Kolonieen, deren Erfahrung ſich, wo nicht auf ein
größeres Stück der Erdoberfläche, ſo doch auf eine längere
Reihe von Jahren erſtreckt. In europäiſchen Ländern da-
gegen, wo Erdbeben im Verhältnis zu Amerika ſelten vor-
kommen, ſind die Phyſiker geneigt, die Schwingungen des
Bodens und irgend ein Meteor, das zufällig zur ſelben Zeit
erſcheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in
Italien an einen Zuſammenhang zwiſchen dem Sirocco und
den Erdbeben, und in London ſah man das häufige Vor-
kommen von Sternſchnuppen und jene Südlichter, die ſeitdem
von Dalton öfters beobachtet worden ſind, als die Vorläufer
der Erdſtöße an, die man vom Jahre 1748 bis zum Jahre
1756 ſpürte.

An den Tagen, wo die Erde durch ſtarke Stöße er-
ſchüttert wird, zeigt ſich unter den Tropen keine Störung in
der regelmäßigen ſtündlichen Schwankung des Barometers.
Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hiervon über-
zeugt; auf dieſen Umſtand ſind die Phyſiker um ſo mehr auf-
merkſam zu machen, als man auf San Domingo in der Stadt
Kap Français unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den
Waſſerbarometer um 66 mm will haben fallen ſehen. 1 So
erzählt man auch, bei der Zerſtörung von Oran habe ſich ein
Apotheker mit ſeiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten
vor der Kataſtrophe zufällig auf ſeinen Barometer geſehen
und bemerkt habe, daß das Queckſilber auffallend ſtark falle.
Ich weiß nicht, ob dieſer Behauptung Glauben zu ſchenken
iſt; da es faſt unmöglich iſt, während der Stöße ſelbſt die
Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, ſo muß man ſich
begnügen, auf den Barometer vor und nach dem Vorfall zu
ſehen. Im gemäßigten Erdſtrich äußern die Nordlichter nicht
immer Einfluß auf die Deklination der Magnetnadel und die

1 Dieſes Fallen entſpricht nur 4 mm Queckſilber.
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[175/0191] gegenwärtigt, ſo zeigt ſich, daß heftige Stöße ſo gut bei feuchtem als trockenem Wetter, ſo gut bei ſtarkem Winde als bei drückend ſchwüler ſtiller Luft eintreten können. Nach den vielen Erdbeben, die ich nördlich und ſüdlich vom Aequator, auf dem Feſtland und in Meeresbecken, an der Küſte und in 4870 m Höhe erlebt, will es mir ſcheinen, als ob die Schwingungen des Bodens und der vorhergehende Zuſtand der Luft im allgemeinen nicht viel miteinander zu thun hätten. Dieſer Anſicht ſind auch viele gebildete Männer in den ſpa- niſchen Kolonieen, deren Erfahrung ſich, wo nicht auf ein größeres Stück der Erdoberfläche, ſo doch auf eine längere Reihe von Jahren erſtreckt. In europäiſchen Ländern da- gegen, wo Erdbeben im Verhältnis zu Amerika ſelten vor- kommen, ſind die Phyſiker geneigt, die Schwingungen des Bodens und irgend ein Meteor, das zufällig zur ſelben Zeit erſcheint, in nahe Beziehung zu bringen. So glaubt man in Italien an einen Zuſammenhang zwiſchen dem Sirocco und den Erdbeben, und in London ſah man das häufige Vor- kommen von Sternſchnuppen und jene Südlichter, die ſeitdem von Dalton öfters beobachtet worden ſind, als die Vorläufer der Erdſtöße an, die man vom Jahre 1748 bis zum Jahre 1756 ſpürte. An den Tagen, wo die Erde durch ſtarke Stöße er- ſchüttert wird, zeigt ſich unter den Tropen keine Störung in der regelmäßigen ſtündlichen Schwankung des Barometers. Ich habe mich in Cumana, Lima und Riobamba hiervon über- zeugt; auf dieſen Umſtand ſind die Phyſiker um ſo mehr auf- merkſam zu machen, als man auf San Domingo in der Stadt Kap Français unmittelbar vor dem Erdbeben von 1770 den Waſſerbarometer um 66 mm will haben fallen ſehen. 1 So erzählt man auch, bei der Zerſtörung von Oran habe ſich ein Apotheker mit ſeiner Familie gerettet, weil er wenige Minuten vor der Kataſtrophe zufällig auf ſeinen Barometer geſehen und bemerkt habe, daß das Queckſilber auffallend ſtark falle. Ich weiß nicht, ob dieſer Behauptung Glauben zu ſchenken iſt; da es faſt unmöglich iſt, während der Stöße ſelbſt die Schwankungen im Luftdruck zu beobachten, ſo muß man ſich begnügen, auf den Barometer vor und nach dem Vorfall zu ſehen. Im gemäßigten Erdſtrich äußern die Nordlichter nicht immer Einfluß auf die Deklination der Magnetnadel und die 1 Dieſes Fallen entſpricht nur 4 mm Queckſilber.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/191>, abgerufen am 27.04.2024.