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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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sich von einem, der das spanische Amerika bereist hat, erwarten,
daß er sein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben ge-
richtet haben werde. Jeder Strich des Erdballes liefert der
Forschung eigentümliche Stoffe, und wenn wir nicht hoffen
dürfen, die Ursachen der Naturerscheinungen zu ergründen, so
müssen wir wenigstens versuchen, die Gesetze derselben kennen
zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatsachen das
Gemeinsame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen
und Zufälligen zu unterscheiden.

Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner
Stöße eintreten, scheinen in Cumana nichts Periodisches zu
haben. Man hat sie nach achtzig, nach hundert, und manch-
mal nach nicht dreißig Jahren sich wiederholen sehen, während
an der Küste von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die
jedesmal durch die gänzliche Zerstörung der Stadt bezeichnet
werden, unverkennbar mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein-
treten. Daß die Einwohner selbst an einen solchen Typus
glauben, ist auch vom besten Einfluß auf die öffentliche Ruhe
und die Erhaltung des Gewerbfleißes. Man nimmt allge-
mein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieselben
Ursachen wieder mit derselben Gewalt wirken können; aber
dieser Schluß ist nur dann richtig, wenn man die Erdstöße
als lokale Erscheinungen auffaßt, wenn man unter jedem
Punkt des Erdballes, der großen Erschütterungen ausgesetzt
ist, einen besonderen Herd annimmt. Ueberall, wo sich neue
Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man
Leute, die nicht bauen wollen, äußern, auf die Zerstörung
Lissabons am 1. November 1755 sei bald eine zweite, gleich
schreckliche gefolgt, am 31. März 1761.

Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima
sehr verbreiteten Meinung 1 stehen die Erdbeben und der Zu-
stand der Luft vor dem Eintreten derselben sichtbar in Zu-
sammenhang. An der Küste von Neuandalusien wird man
ängstlich, wenn bei großer Hitze und nach langer Trockenheit
der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine,
wolkenlose Himmel sich bis zu 6, 8° über dem Horizont mit
einem rötlichen Duft überzieht. Diese Vorzeichen sind in-
dessen sehr unsicher, und wenn man sich nachher alle Vorgänge
im Luftkreise zur Zeit der stärksten Erderschütterungen ver-

1 Aristoteles, Meteorologica Lib. II. Seneca, Quaest. natur.
Lib. VI, c.
12.

ſich von einem, der das ſpaniſche Amerika bereiſt hat, erwarten,
daß er ſein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben ge-
richtet haben werde. Jeder Strich des Erdballes liefert der
Forſchung eigentümliche Stoffe, und wenn wir nicht hoffen
dürfen, die Urſachen der Naturerſcheinungen zu ergründen, ſo
müſſen wir wenigſtens verſuchen, die Geſetze derſelben kennen
zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatſachen das
Gemeinſame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen
und Zufälligen zu unterſcheiden.

Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner
Stöße eintreten, ſcheinen in Cumana nichts Periodiſches zu
haben. Man hat ſie nach achtzig, nach hundert, und manch-
mal nach nicht dreißig Jahren ſich wiederholen ſehen, während
an der Küſte von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die
jedesmal durch die gänzliche Zerſtörung der Stadt bezeichnet
werden, unverkennbar mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit ein-
treten. Daß die Einwohner ſelbſt an einen ſolchen Typus
glauben, iſt auch vom beſten Einfluß auf die öffentliche Ruhe
und die Erhaltung des Gewerbfleißes. Man nimmt allge-
mein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieſelben
Urſachen wieder mit derſelben Gewalt wirken können; aber
dieſer Schluß iſt nur dann richtig, wenn man die Erdſtöße
als lokale Erſcheinungen auffaßt, wenn man unter jedem
Punkt des Erdballes, der großen Erſchütterungen ausgeſetzt
iſt, einen beſonderen Herd annimmt. Ueberall, wo ſich neue
Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man
Leute, die nicht bauen wollen, äußern, auf die Zerſtörung
Liſſabons am 1. November 1755 ſei bald eine zweite, gleich
ſchreckliche gefolgt, am 31. März 1761.

Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima
ſehr verbreiteten Meinung 1 ſtehen die Erdbeben und der Zu-
ſtand der Luft vor dem Eintreten derſelben ſichtbar in Zu-
ſammenhang. An der Küſte von Neuandaluſien wird man
ängſtlich, wenn bei großer Hitze und nach langer Trockenheit
der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine,
wolkenloſe Himmel ſich bis zu 6, 8° über dem Horizont mit
einem rötlichen Duft überzieht. Dieſe Vorzeichen ſind in-
deſſen ſehr unſicher, und wenn man ſich nachher alle Vorgänge
im Luftkreiſe zur Zeit der ſtärkſten Erderſchütterungen ver-

1 Aristoteles, Meteorologica Lib. II. Seneca, Quaest. natur.
Lib. VI, c.
12.
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[174/0190] ſich von einem, der das ſpaniſche Amerika bereiſt hat, erwarten, daß er ſein Hauptaugenmerk auf Vulkane und Erdbeben ge- richtet haben werde. Jeder Strich des Erdballes liefert der Forſchung eigentümliche Stoffe, und wenn wir nicht hoffen dürfen, die Urſachen der Naturerſcheinungen zu ergründen, ſo müſſen wir wenigſtens verſuchen, die Geſetze derſelben kennen zu lernen und durch Vergleichung zahlreicher Thatſachen das Gemeinſame und immer Wiederkehrende vom Veränderlichen und Zufälligen zu unterſcheiden. Die großen Erdbeben, die nach einer langen Reihe kleiner Stöße eintreten, ſcheinen in Cumana nichts Periodiſches zu haben. Man hat ſie nach achtzig, nach hundert, und manch- mal nach nicht dreißig Jahren ſich wiederholen ſehen, während an der Küſte von Peru, z. B. in Lima, die Epochen, die jedesmal durch die gänzliche Zerſtörung der Stadt bezeichnet werden, unverkennbar mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit ein- treten. Daß die Einwohner ſelbſt an einen ſolchen Typus glauben, iſt auch vom beſten Einfluß auf die öffentliche Ruhe und die Erhaltung des Gewerbfleißes. Man nimmt allge- mein an, daß es ziemlich lange Zeit braucht, bis dieſelben Urſachen wieder mit derſelben Gewalt wirken können; aber dieſer Schluß iſt nur dann richtig, wenn man die Erdſtöße als lokale Erſcheinungen auffaßt, wenn man unter jedem Punkt des Erdballes, der großen Erſchütterungen ausgeſetzt iſt, einen beſonderen Herd annimmt. Ueberall, wo ſich neue Gebäude auf den Trümmern der alten erhoben, hört man Leute, die nicht bauen wollen, äußern, auf die Zerſtörung Liſſabons am 1. November 1755 ſei bald eine zweite, gleich ſchreckliche gefolgt, am 31. März 1761. Nach einer uralten, auch in Cumana, Acapulco und Lima ſehr verbreiteten Meinung 1 ſtehen die Erdbeben und der Zu- ſtand der Luft vor dem Eintreten derſelben ſichtbar in Zu- ſammenhang. An der Küſte von Neuandaluſien wird man ängſtlich, wenn bei großer Hitze und nach langer Trockenheit der Seewind auf einmal aufhört und der im Zenith reine, wolkenloſe Himmel ſich bis zu 6, 8° über dem Horizont mit einem rötlichen Duft überzieht. Dieſe Vorzeichen ſind in- deſſen ſehr unſicher, und wenn man ſich nachher alle Vorgänge im Luftkreiſe zur Zeit der ſtärkſten Erderſchütterungen ver- 1 Aristoteles, Meteorologica Lib. II. Seneca, Quaest. natur. Lib. VI, c. 12.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/190>, abgerufen am 22.11.2024.