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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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den aus Alpenkalk bestehenden Gebirgen bei Cumanacao, im
Thale des Rio Bordones, auf der Insel Margarita und
mitten in den Savannen oder Llanos von Neuandalusien
ziemlich häufig ist. In diesen Savannen steigen Feuergarben
zu bedeutender Höhe auf; man kann sie stundenlang an den
dürrsten Orten beobachten, und man versichert, wenn man
den Boden, dem der brennbare Stoff entströmt, untersuche,
sei keinerlei Spalte darin zu bemerken. Dieses Feuer, das
an die Wasserstoffquellen oder Salse in Modena und an die
Irrlichter unserer Sümpfe erinnert, zündet das Gras nicht
an, wahrscheinlich weil die Säule des sich entbindenden Gases
mit Stickstoff und Kohlensäure vermengt ist und nicht bis
zum Boden herab brennt. Das Volk, das übrigens hierzu-
lande nicht so abergläubisch ist als in Spanien, nennt diese
rötlichen Flammen seltsamerweise "die Seele des Tyrannen
Aguirre"; Lopez d'Aguirre soll nämlich, von Gewissensbissen
gefoltert, im Lande umgehen, das er mit seinen Verbrechen
befleckt. 1

Durch das große Erdbeben von 1797 ist die Untiefe an
der Mündung des Rio Bordones in ihrem Umriß verändert
worden. Aehnliche Hebungen sind bei der völligen Zerstörung
Cumanas im Jahre 1766 beobachtet worden. Die Punta
Delgada an der Westküste des Meerbusens von Cariaco wurde
damals bedeutend größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe
Maturin entstand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden
des Flusses durch elastische Flüssigkeiten zerrissen und empor-
gehoben wurde.

Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die ver-
schiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter.
Dem Plane dieses Werkes entsprechend, suchen wir vielmehr
die Ideen unter allgemeine Gesichtspunkte zu bringen, und
alles, was mit diesen schrecklichen und zugleich so schwer zu
erklärenden Vorgängen zusammenhängt, in einen Rahmen
zusammenzufassen. Wenn Naturforscher, welche die Schweizer
Alpen oder die Küsten von Lappland besuchen, unsere Kennt-
nis von den Gletschern und dem Nordlicht erweitern, so läßt

1 Wenn das Volk in Cumana und auf der Insel Margarita
von el tirano spricht, so ist immer der schändliche Lopez d'Aguirre
gemeint, der im Jahre 1560 sich am Aufstand Fernandos de Guz-
man gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de
Ursua, beteiligte und sich nachher selbst traidor, Verräter, nannte.

den aus Alpenkalk beſtehenden Gebirgen bei Cumanacao, im
Thale des Rio Bordones, auf der Inſel Margarita und
mitten in den Savannen oder Llanos von Neuandaluſien
ziemlich häufig iſt. In dieſen Savannen ſteigen Feuergarben
zu bedeutender Höhe auf; man kann ſie ſtundenlang an den
dürrſten Orten beobachten, und man verſichert, wenn man
den Boden, dem der brennbare Stoff entſtrömt, unterſuche,
ſei keinerlei Spalte darin zu bemerken. Dieſes Feuer, das
an die Waſſerſtoffquellen oder Salſe in Modena und an die
Irrlichter unſerer Sümpfe erinnert, zündet das Gras nicht
an, wahrſcheinlich weil die Säule des ſich entbindenden Gaſes
mit Stickſtoff und Kohlenſäure vermengt iſt und nicht bis
zum Boden herab brennt. Das Volk, das übrigens hierzu-
lande nicht ſo abergläubiſch iſt als in Spanien, nennt dieſe
rötlichen Flammen ſeltſamerweiſe „die Seele des Tyrannen
Aguirre“; Lopez d’Aguirre ſoll nämlich, von Gewiſſensbiſſen
gefoltert, im Lande umgehen, das er mit ſeinen Verbrechen
befleckt. 1

Durch das große Erdbeben von 1797 iſt die Untiefe an
der Mündung des Rio Bordones in ihrem Umriß verändert
worden. Aehnliche Hebungen ſind bei der völligen Zerſtörung
Cumanas im Jahre 1766 beobachtet worden. Die Punta
Delgada an der Weſtküſte des Meerbuſens von Cariaco wurde
damals bedeutend größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe
Maturin entſtand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden
des Fluſſes durch elaſtiſche Flüſſigkeiten zerriſſen und empor-
gehoben wurde.

Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die ver-
ſchiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter.
Dem Plane dieſes Werkes entſprechend, ſuchen wir vielmehr
die Ideen unter allgemeine Geſichtspunkte zu bringen, und
alles, was mit dieſen ſchrecklichen und zugleich ſo ſchwer zu
erklärenden Vorgängen zuſammenhängt, in einen Rahmen
zuſammenzufaſſen. Wenn Naturforſcher, welche die Schweizer
Alpen oder die Küſten von Lappland beſuchen, unſere Kennt-
nis von den Gletſchern und dem Nordlicht erweitern, ſo läßt

1 Wenn das Volk in Cumana und auf der Inſel Margarita
von el tirano ſpricht, ſo iſt immer der ſchändliche Lopez d’Aguirre
gemeint, der im Jahre 1560 ſich am Aufſtand Fernandos de Guz-
man gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de
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[173/0189] den aus Alpenkalk beſtehenden Gebirgen bei Cumanacao, im Thale des Rio Bordones, auf der Inſel Margarita und mitten in den Savannen oder Llanos von Neuandaluſien ziemlich häufig iſt. In dieſen Savannen ſteigen Feuergarben zu bedeutender Höhe auf; man kann ſie ſtundenlang an den dürrſten Orten beobachten, und man verſichert, wenn man den Boden, dem der brennbare Stoff entſtrömt, unterſuche, ſei keinerlei Spalte darin zu bemerken. Dieſes Feuer, das an die Waſſerſtoffquellen oder Salſe in Modena und an die Irrlichter unſerer Sümpfe erinnert, zündet das Gras nicht an, wahrſcheinlich weil die Säule des ſich entbindenden Gaſes mit Stickſtoff und Kohlenſäure vermengt iſt und nicht bis zum Boden herab brennt. Das Volk, das übrigens hierzu- lande nicht ſo abergläubiſch iſt als in Spanien, nennt dieſe rötlichen Flammen ſeltſamerweiſe „die Seele des Tyrannen Aguirre“; Lopez d’Aguirre ſoll nämlich, von Gewiſſensbiſſen gefoltert, im Lande umgehen, das er mit ſeinen Verbrechen befleckt. 1 Durch das große Erdbeben von 1797 iſt die Untiefe an der Mündung des Rio Bordones in ihrem Umriß verändert worden. Aehnliche Hebungen ſind bei der völligen Zerſtörung Cumanas im Jahre 1766 beobachtet worden. Die Punta Delgada an der Weſtküſte des Meerbuſens von Cariaco wurde damals bedeutend größer, und im Rio Guarapiche beim Dorfe Maturin entſtand eine Klippe, wobei ohne Zweifel der Boden des Fluſſes durch elaſtiſche Flüſſigkeiten zerriſſen und empor- gehoben wurde. Wir verfolgen die lokalen Veränderungen, welche die ver- ſchiedenen Erdbeben in Cumana hervorgebracht, nicht weiter. Dem Plane dieſes Werkes entſprechend, ſuchen wir vielmehr die Ideen unter allgemeine Geſichtspunkte zu bringen, und alles, was mit dieſen ſchrecklichen und zugleich ſo ſchwer zu erklärenden Vorgängen zuſammenhängt, in einen Rahmen zuſammenzufaſſen. Wenn Naturforſcher, welche die Schweizer Alpen oder die Küſten von Lappland beſuchen, unſere Kennt- nis von den Gletſchern und dem Nordlicht erweitern, ſo läßt 1 Wenn das Volk in Cumana und auf der Inſel Margarita von el tirano ſpricht, ſo iſt immer der ſchändliche Lopez d’Aguirre gemeint, der im Jahre 1560 ſich am Aufſtand Fernandos de Guz- man gegen den Statthalter von Omegua und Dorado, Pedro de Urſua, beteiligte und ſich nachher ſelbſt traidor, Verräter, nannte.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/189>, abgerufen am 25.11.2024.