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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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am Unglückstage des 14. Dezember 1797 spürte man in Cu-
mana zum erstenmal eine hebende Bewegung von unten nach
oben. Ueber vier Fünfteile der Stadt wurden damals völlig
zerstört, und der Stoß, der von einem starken unterirdischen
Getöse begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Explosion
einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging
dem heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung vor-
aus, so daß die meisten Einwohner sich auf die Straßen
flüchten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen
waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cu-
mana allgemein, die verheerendsten Erdbeben werden durch
ganz schwache Schwingungen des Bodens und durch ein
Sausen angekündigt, und Leuten, die an solche Vorfälle ge-
wöhnt sind, entgeht solches nicht. In diesem verhängnis-
vollen Augenblicke hört man überall den Ruf: Misericordia!
tembla, tembla!
1 und es kommt selten vor, daß ein blinder
Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird. Die Aengst-
lichsten achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und
Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend scharfen Ge-
ruch haben und gewöhnt sind im Boden zu wühlen, verkünden
die Nähe der Gefahr durch Unruhe und Geschrei. Wir lassen
es dahingestellt, ob sie das unterirdische Getöse zuerst hören,
weil sie näher am Boden sind, oder ob etwa Gase, die der
Erde entsteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres mög-
lich ist, läßt sich nicht leugnen. Als ich mich in Peru auf-
hielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit diesen Erscheinungen
zusammenhängt und der schon öfters vorgekommen war. Nach
starken Erdstößen wurde das Gras auf den Savannen von
Tucuman ungesund; es brach eine Viehseuche aus und viele
Stücke scheinen durch die bösen Dünste, die der Boden aus-
stieß, betäubt oder erstickt worden zu sein.

In Cumana spürte man eine halbe Stunde vor der
großen Katastrophe am 14. Dezember 1797 am Klosterberg
von San Francisco einen starken Schwefelgeruch. Am selben
Orte war das unterirdische Getöse, das von Südost nach Süd-
west fortzurollen schien, am stärksten. Zugleich sah man am
Ufer des Manzanares, beim Hospiz der Kapuziner und im
Meerbusen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem
Boden schlagen. Wir werden in der Folge sehen, daß letztere
in nicht vulkanischen Ländern so auffallende Erscheinung in

1 Erbarmen! sie (die Erde) bebt! sie bebt!

am Unglückstage des 14. Dezember 1797 ſpürte man in Cu-
mana zum erſtenmal eine hebende Bewegung von unten nach
oben. Ueber vier Fünfteile der Stadt wurden damals völlig
zerſtört, und der Stoß, der von einem ſtarken unterirdiſchen
Getöſe begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Exploſion
einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging
dem heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung vor-
aus, ſo daß die meiſten Einwohner ſich auf die Straßen
flüchten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen
waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cu-
mana allgemein, die verheerendſten Erdbeben werden durch
ganz ſchwache Schwingungen des Bodens und durch ein
Sauſen angekündigt, und Leuten, die an ſolche Vorfälle ge-
wöhnt ſind, entgeht ſolches nicht. In dieſem verhängnis-
vollen Augenblicke hört man überall den Ruf: Misericordia!
tembla, tembla!
1 und es kommt ſelten vor, daß ein blinder
Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird. Die Aengſt-
lichſten achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und
Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend ſcharfen Ge-
ruch haben und gewöhnt ſind im Boden zu wühlen, verkünden
die Nähe der Gefahr durch Unruhe und Geſchrei. Wir laſſen
es dahingeſtellt, ob ſie das unterirdiſche Getöſe zuerſt hören,
weil ſie näher am Boden ſind, oder ob etwa Gaſe, die der
Erde entſteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres mög-
lich iſt, läßt ſich nicht leugnen. Als ich mich in Peru auf-
hielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit dieſen Erſcheinungen
zuſammenhängt und der ſchon öfters vorgekommen war. Nach
ſtarken Erdſtößen wurde das Gras auf den Savannen von
Tucuman ungeſund; es brach eine Viehſeuche aus und viele
Stücke ſcheinen durch die böſen Dünſte, die der Boden aus-
ſtieß, betäubt oder erſtickt worden zu ſein.

In Cumana ſpürte man eine halbe Stunde vor der
großen Kataſtrophe am 14. Dezember 1797 am Kloſterberg
von San Francisco einen ſtarken Schwefelgeruch. Am ſelben
Orte war das unterirdiſche Getöſe, das von Südoſt nach Süd-
weſt fortzurollen ſchien, am ſtärkſten. Zugleich ſah man am
Ufer des Manzanares, beim Hoſpiz der Kapuziner und im
Meerbuſen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem
Boden ſchlagen. Wir werden in der Folge ſehen, daß letztere
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[172/0188] am Unglückstage des 14. Dezember 1797 ſpürte man in Cu- mana zum erſtenmal eine hebende Bewegung von unten nach oben. Ueber vier Fünfteile der Stadt wurden damals völlig zerſtört, und der Stoß, der von einem ſtarken unterirdiſchen Getöſe begleitet war, glich, wie in Riobamba, der Exploſion einer in großer Tiefe angelegten Mine. Zum Glück ging dem heftigen Stoß eine leichte wellenförmige Bewegung vor- aus, ſo daß die meiſten Einwohner ſich auf die Straßen flüchten konnten, und von denen, die eben in den Kirchen waren, nur wenige das Leben verloren. Man glaubt in Cu- mana allgemein, die verheerendſten Erdbeben werden durch ganz ſchwache Schwingungen des Bodens und durch ein Sauſen angekündigt, und Leuten, die an ſolche Vorfälle ge- wöhnt ſind, entgeht ſolches nicht. In dieſem verhängnis- vollen Augenblicke hört man überall den Ruf: Misericordia! tembla, tembla! 1 und es kommt ſelten vor, daß ein blinder Lärm durch einen Eingeborenen veranlaßt wird. Die Aengſt- lichſten achten auf das Benehmen der Hunde, Ziegen und Schweine. Die letzteren, die einen ausnehmend ſcharfen Ge- ruch haben und gewöhnt ſind im Boden zu wühlen, verkünden die Nähe der Gefahr durch Unruhe und Geſchrei. Wir laſſen es dahingeſtellt, ob ſie das unterirdiſche Getöſe zuerſt hören, weil ſie näher am Boden ſind, oder ob etwa Gaſe, die der Erde entſteigen, auf ihre Organe wirken. Daß letzteres mög- lich iſt, läßt ſich nicht leugnen. Als ich mich in Peru auf- hielt, wurde ein Fall beobachtet, der mit dieſen Erſcheinungen zuſammenhängt und der ſchon öfters vorgekommen war. Nach ſtarken Erdſtößen wurde das Gras auf den Savannen von Tucuman ungeſund; es brach eine Viehſeuche aus und viele Stücke ſcheinen durch die böſen Dünſte, die der Boden aus- ſtieß, betäubt oder erſtickt worden zu ſein. In Cumana ſpürte man eine halbe Stunde vor der großen Kataſtrophe am 14. Dezember 1797 am Kloſterberg von San Francisco einen ſtarken Schwefelgeruch. Am ſelben Orte war das unterirdiſche Getöſe, das von Südoſt nach Süd- weſt fortzurollen ſchien, am ſtärkſten. Zugleich ſah man am Ufer des Manzanares, beim Hoſpiz der Kapuziner und im Meerbuſen von Cariaco bei Mariguitar Flammen aus dem Boden ſchlagen. Wir werden in der Folge ſehen, daß letztere in nicht vulkaniſchen Ländern ſo auffallende Erſcheinung in 1 Erbarmen! ſie (die Erde) bebt! ſie bebt!

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/188>, abgerufen am 27.04.2024.