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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Guaike, Guaike, das heißt: spitziger Stock. Die Guaykari,
ein gewandtes, civilisiertes Fischervolk, unterscheiden sich jetzt
auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoko, die ihre
Hütten an den Stämmen der Morichepalme aufhängen.

Die Bevölkerung von Cumana ist in der neuesten Zeit
viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 schätzten
sie Ansiedler, die in nationalökonomischen Untersuchungen wenig
Bescheid wissen, auf 20000 Seelen, wogegen königliche bei
der Landesregierung angestellte Beamte meinten, die Stadt
samt den Vorstädten habe nicht 12000. Depons gibt in
seinem schätzbaren Werke über die Provinz Caracas der Stadt
im Jahre 1802 gegen 28000 Einwohner; andere geben im
Jahre 1810 30000 an. Wenn man bedenkt, wie langsam
die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht
auf dem Lande, sondern in den Städten, so läßt sich bezweifeln,
daß Cumana bereits um ein Dritteil volkreicher sein sollte
als Veracruz, der vornehmste Hafen des großen Königreiches
Neuspanien. Es läßt sich auch leicht darthun, daß im Jahre
1802 die Bevölkerung kaum über 18000 bis 19000 Seelen
betrug. Es waren mir verschiedene Notizen über die statistischen
Verhältnisse des Landes zur Hand, welche die Regierung hatte
zusammenstellen lassen, als die Frage verhandelt wurde, ob
die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine Personalsteuer
ersetzt werden könnten, und ich darf mir schmeicheln, daß meine
Schätzung auf ziemlich sicheren Grundlagen ruht.

Eine im Jahre 1792 vorgenommene Zählung ergab für
die Stadt Cumana, ihre Vorstädte und die einzelnen Häuser
auf 4--5 km in der Runde nur 10740 Einwohner. Ein
Schatzbeamter, Don Manuel Navarrete, versichert, daß man
sich bei dieser Zählung höchstens um ein Dritteil oder ein
Vierteil geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen
Taufregister, so macht sich von 1792 bis 1800 nur eine geringe
Zunahme bemerklich. Die Weiber sind allerdings sehr frucht-
bar, besonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken
im Lande noch unbekannt sind, so ist doch die Sterblichkeit
unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil sie in völliger
Verwahrlosung aufwachsen und die üble Gewohnheit haben,
unreife, unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der
Geburten beträgt im Durchschnitt 520 bis 600, was auf eine
Bevölkerung von höchstens 16800 Seelen schließen läßt. Man
kann versichert sein, daß sämtliche Indianerkinder getauft und
in das Taufregister der Pfarre eingetragen sind, und nimmt

Guaike, Guaike, das heißt: ſpitziger Stock. Die Guaykari,
ein gewandtes, civiliſiertes Fiſchervolk, unterſcheiden ſich jetzt
auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoko, die ihre
Hütten an den Stämmen der Morichepalme aufhängen.

Die Bevölkerung von Cumana iſt in der neueſten Zeit
viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 ſchätzten
ſie Anſiedler, die in nationalökonomiſchen Unterſuchungen wenig
Beſcheid wiſſen, auf 20000 Seelen, wogegen königliche bei
der Landesregierung angeſtellte Beamte meinten, die Stadt
ſamt den Vorſtädten habe nicht 12000. Depons gibt in
ſeinem ſchätzbaren Werke über die Provinz Caracas der Stadt
im Jahre 1802 gegen 28000 Einwohner; andere geben im
Jahre 1810 30000 an. Wenn man bedenkt, wie langſam
die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht
auf dem Lande, ſondern in den Städten, ſo läßt ſich bezweifeln,
daß Cumana bereits um ein Dritteil volkreicher ſein ſollte
als Veracruz, der vornehmſte Hafen des großen Königreiches
Neuſpanien. Es läßt ſich auch leicht darthun, daß im Jahre
1802 die Bevölkerung kaum über 18000 bis 19000 Seelen
betrug. Es waren mir verſchiedene Notizen über die ſtatiſtiſchen
Verhältniſſe des Landes zur Hand, welche die Regierung hatte
zuſammenſtellen laſſen, als die Frage verhandelt wurde, ob
die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine Perſonalſteuer
erſetzt werden könnten, und ich darf mir ſchmeicheln, daß meine
Schätzung auf ziemlich ſicheren Grundlagen ruht.

Eine im Jahre 1792 vorgenommene Zählung ergab für
die Stadt Cumana, ihre Vorſtädte und die einzelnen Häuſer
auf 4—5 km in der Runde nur 10740 Einwohner. Ein
Schatzbeamter, Don Manuel Navarrete, verſichert, daß man
ſich bei dieſer Zählung höchſtens um ein Dritteil oder ein
Vierteil geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen
Taufregiſter, ſo macht ſich von 1792 bis 1800 nur eine geringe
Zunahme bemerklich. Die Weiber ſind allerdings ſehr frucht-
bar, beſonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken
im Lande noch unbekannt ſind, ſo iſt doch die Sterblichkeit
unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil ſie in völliger
Verwahrloſung aufwachſen und die üble Gewohnheit haben,
unreife, unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der
Geburten beträgt im Durchſchnitt 520 bis 600, was auf eine
Bevölkerung von höchſtens 16800 Seelen ſchließen läßt. Man
kann verſichert ſein, daß ſämtliche Indianerkinder getauft und
in das Taufregiſter der Pfarre eingetragen ſind, und nimmt

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[163/0179] Guaike, Guaike, das heißt: ſpitziger Stock. Die Guaykari, ein gewandtes, civiliſiertes Fiſchervolk, unterſcheiden ſich jetzt auffallend von den wilden Guaraunos am Orinoko, die ihre Hütten an den Stämmen der Morichepalme aufhängen. Die Bevölkerung von Cumana iſt in der neueſten Zeit viel zu hoch angegeben worden. Im Jahre 1800 ſchätzten ſie Anſiedler, die in nationalökonomiſchen Unterſuchungen wenig Beſcheid wiſſen, auf 20000 Seelen, wogegen königliche bei der Landesregierung angeſtellte Beamte meinten, die Stadt ſamt den Vorſtädten habe nicht 12000. Depons gibt in ſeinem ſchätzbaren Werke über die Provinz Caracas der Stadt im Jahre 1802 gegen 28000 Einwohner; andere geben im Jahre 1810 30000 an. Wenn man bedenkt, wie langſam die Bevölkerung in Terra Firma zunimmt, und zwar nicht auf dem Lande, ſondern in den Städten, ſo läßt ſich bezweifeln, daß Cumana bereits um ein Dritteil volkreicher ſein ſollte als Veracruz, der vornehmſte Hafen des großen Königreiches Neuſpanien. Es läßt ſich auch leicht darthun, daß im Jahre 1802 die Bevölkerung kaum über 18000 bis 19000 Seelen betrug. Es waren mir verſchiedene Notizen über die ſtatiſtiſchen Verhältniſſe des Landes zur Hand, welche die Regierung hatte zuſammenſtellen laſſen, als die Frage verhandelt wurde, ob die Einkünfte aus der Tabakspacht durch eine Perſonalſteuer erſetzt werden könnten, und ich darf mir ſchmeicheln, daß meine Schätzung auf ziemlich ſicheren Grundlagen ruht. Eine im Jahre 1792 vorgenommene Zählung ergab für die Stadt Cumana, ihre Vorſtädte und die einzelnen Häuſer auf 4—5 km in der Runde nur 10740 Einwohner. Ein Schatzbeamter, Don Manuel Navarrete, verſichert, daß man ſich bei dieſer Zählung höchſtens um ein Dritteil oder ein Vierteil geirrt haben könne. Vergleicht man die jährlichen Taufregiſter, ſo macht ſich von 1792 bis 1800 nur eine geringe Zunahme bemerklich. Die Weiber ſind allerdings ſehr frucht- bar, beſonders die eingeborenen, aber wenn auch die Pocken im Lande noch unbekannt ſind, ſo iſt doch die Sterblichkeit unter den kleinen Kindern furchtbar groß, weil ſie in völliger Verwahrloſung aufwachſen und die üble Gewohnheit haben, unreife, unverdauliche Früchte zu genießen. Die Zahl der Geburten beträgt im Durchſchnitt 520 bis 600, was auf eine Bevölkerung von höchſtens 16800 Seelen ſchließen läßt. Man kann verſichert ſein, daß ſämtliche Indianerkinder getauft und in das Taufregiſter der Pfarre eingetragen ſind, und nimmt

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/179>, abgerufen am 28.04.2024.