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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Das Schloß San Antonio, wo man an Festtagen die
Flagge von Kastilien aufzieht, liegt nur 58,5 m über dem
Wasserspiegel des Meerbusens von Cariaco. Auf seinem kahlen
Kalkhügel beherrscht es die Stadt und liegt, wenn man in
den Hafen einfährt, höchst malerisch da. Es hebt sich hell
von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur
Schneeregion aufsteigen und deren duftiges Blau mit dem
Himmelsblau verschmilzt. Geht man vom Fort San Antonio
gegen Südwest herab, so kommt man am Abhang desselben
Felsens zu den Trümmern des alten Schlosses Santa Maria.
Dies ist ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang
des kühlen Seewindes und der Aussicht auf den Meerbusen
zu genießen. Die hohen Berggipfel der Insel Margarita
erscheinen über der Felsenküste der Landenge von Araya; gegen
Westen mahnen die kleinen Inseln Caracas, Picuito und
Boracha an die Katastrophe, durch welche die Küste von Terra
Firma zerrissen worden ist. Diese Eilande gleichen Festungs-
werken, und da die Sonne die unteren Luftschichten, die See
und das Erdreich ungleich erwärmt, so erscheinen ihre Spitzen
infolge der Luftspiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der
großen Vorgebirge der Küste. Mit Vergnügen verfolgt man
bei Tage diese wechselnden Erscheinungen; bei Einbruch der
Nacht sieht man dann, wie die in der Luft schwebenden Ge-
steinmassen sich wieder auf ihre Grundlage niedersenken, und
das Gestirn, das der organischen Natur Leben verleiht, scheint
durch die veränderliche Beugung seiner Strahlen den starren
Fels vom Fleck zu rücken und dürre Sandebenen wellenförmig
zu bewegen.

Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwischen dem Schlosse
San Antonio und den kleinen Flüssen Manzanares und Santa
Catalina. Das durch die Arme des ersteren Flusses gebildete
Delta ist ein fruchtbares Land, bewachsen mit Mammea, Achra,
Bananen und anderen Gewächsen, die in den Gärten oder
Charas der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein
ausgezeichnetes Gebäude aufzuweisen, und bei der Häufigkeit
der Erdbeben wird sie schwerlich je welche haben. Starke
Erdstöße kommen zwar im selben Jahre in Cumana nicht so
häufig vor als in Quito, wo doch prächtige, sehr hohe Kirchen
stehen; aber die Erdbeben in Quito sind nur scheinbar so
heftig, und infolge der eigentümlichen Beschaffenheit des
Bodens und der Art der Bewegung stürzt kein Gebäude ein.
In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Städten, die

A. v. Humboldt, Reise. I. 11

Das Schloß San Antonio, wo man an Feſttagen die
Flagge von Kaſtilien aufzieht, liegt nur 58,5 m über dem
Waſſerſpiegel des Meerbuſens von Cariaco. Auf ſeinem kahlen
Kalkhügel beherrſcht es die Stadt und liegt, wenn man in
den Hafen einfährt, höchſt maleriſch da. Es hebt ſich hell
von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur
Schneeregion aufſteigen und deren duftiges Blau mit dem
Himmelsblau verſchmilzt. Geht man vom Fort San Antonio
gegen Südweſt herab, ſo kommt man am Abhang desſelben
Felſens zu den Trümmern des alten Schloſſes Santa Maria.
Dies iſt ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang
des kühlen Seewindes und der Ausſicht auf den Meerbuſen
zu genießen. Die hohen Berggipfel der Inſel Margarita
erſcheinen über der Felſenküſte der Landenge von Araya; gegen
Weſten mahnen die kleinen Inſeln Caracas, Picuito und
Boracha an die Kataſtrophe, durch welche die Küſte von Terra
Firma zerriſſen worden iſt. Dieſe Eilande gleichen Feſtungs-
werken, und da die Sonne die unteren Luftſchichten, die See
und das Erdreich ungleich erwärmt, ſo erſcheinen ihre Spitzen
infolge der Luftſpiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der
großen Vorgebirge der Küſte. Mit Vergnügen verfolgt man
bei Tage dieſe wechſelnden Erſcheinungen; bei Einbruch der
Nacht ſieht man dann, wie die in der Luft ſchwebenden Ge-
ſteinmaſſen ſich wieder auf ihre Grundlage niederſenken, und
das Geſtirn, das der organiſchen Natur Leben verleiht, ſcheint
durch die veränderliche Beugung ſeiner Strahlen den ſtarren
Fels vom Fleck zu rücken und dürre Sandebenen wellenförmig
zu bewegen.

Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwiſchen dem Schloſſe
San Antonio und den kleinen Flüſſen Manzanares und Santa
Catalina. Das durch die Arme des erſteren Fluſſes gebildete
Delta iſt ein fruchtbares Land, bewachſen mit Mammea, Achra,
Bananen und anderen Gewächſen, die in den Gärten oder
Charas der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein
ausgezeichnetes Gebäude aufzuweiſen, und bei der Häufigkeit
der Erdbeben wird ſie ſchwerlich je welche haben. Starke
Erdſtöße kommen zwar im ſelben Jahre in Cumana nicht ſo
häufig vor als in Quito, wo doch prächtige, ſehr hohe Kirchen
ſtehen; aber die Erdbeben in Quito ſind nur ſcheinbar ſo
heftig, und infolge der eigentümlichen Beſchaffenheit des
Bodens und der Art der Bewegung ſtürzt kein Gebäude ein.
In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Städten, die

A. v. Humboldt, Reiſe. I. 11
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[161/0177] Das Schloß San Antonio, wo man an Feſttagen die Flagge von Kaſtilien aufzieht, liegt nur 58,5 m über dem Waſſerſpiegel des Meerbuſens von Cariaco. Auf ſeinem kahlen Kalkhügel beherrſcht es die Stadt und liegt, wenn man in den Hafen einfährt, höchſt maleriſch da. Es hebt ſich hell von der dunkeln Wand der Gebirge ab, deren Gipfel bis zur Schneeregion aufſteigen und deren duftiges Blau mit dem Himmelsblau verſchmilzt. Geht man vom Fort San Antonio gegen Südweſt herab, ſo kommt man am Abhang desſelben Felſens zu den Trümmern des alten Schloſſes Santa Maria. Dies iſt ein herrlicher Punkt, um gegen Sonnenuntergang des kühlen Seewindes und der Ausſicht auf den Meerbuſen zu genießen. Die hohen Berggipfel der Inſel Margarita erſcheinen über der Felſenküſte der Landenge von Araya; gegen Weſten mahnen die kleinen Inſeln Caracas, Picuito und Boracha an die Kataſtrophe, durch welche die Küſte von Terra Firma zerriſſen worden iſt. Dieſe Eilande gleichen Feſtungs- werken, und da die Sonne die unteren Luftſchichten, die See und das Erdreich ungleich erwärmt, ſo erſcheinen ihre Spitzen infolge der Luftſpiegelung hinaufgezogen, wie die Enden der großen Vorgebirge der Küſte. Mit Vergnügen verfolgt man bei Tage dieſe wechſelnden Erſcheinungen; bei Einbruch der Nacht ſieht man dann, wie die in der Luft ſchwebenden Ge- ſteinmaſſen ſich wieder auf ihre Grundlage niederſenken, und das Geſtirn, das der organiſchen Natur Leben verleiht, ſcheint durch die veränderliche Beugung ſeiner Strahlen den ſtarren Fels vom Fleck zu rücken und dürre Sandebenen wellenförmig zu bewegen. Die eigentliche Stadt Cumana liegt zwiſchen dem Schloſſe San Antonio und den kleinen Flüſſen Manzanares und Santa Catalina. Das durch die Arme des erſteren Fluſſes gebildete Delta iſt ein fruchtbares Land, bewachſen mit Mammea, Achra, Bananen und anderen Gewächſen, die in den Gärten oder Charas der Indianer gebaut werden. Die Stadt hat kein ausgezeichnetes Gebäude aufzuweiſen, und bei der Häufigkeit der Erdbeben wird ſie ſchwerlich je welche haben. Starke Erdſtöße kommen zwar im ſelben Jahre in Cumana nicht ſo häufig vor als in Quito, wo doch prächtige, ſehr hohe Kirchen ſtehen; aber die Erdbeben in Quito ſind nur ſcheinbar ſo heftig, und infolge der eigentümlichen Beſchaffenheit des Bodens und der Art der Bewegung ſtürzt kein Gebäude ein. In Cumana, wie in Lima und mehreren anderen Städten, die A. v. Humboldt, Reiſe. I. 11

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/177>, abgerufen am 27.04.2024.