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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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weise zu Rudern und Thürschwellen verwenden. Nirgends
in Südamerika kommen die Gewächse aus der Familie der
Nopaleen häufiger vor als in Cumana, Coro, Curacao und
auf der Insel Margarita. Nur dort könnte der Botaniker
nach langem Aufenthalt eine Monographie der Kaktus schreiben,
die nicht in Hinsicht auf Blüten und Früchte, aber nach der
Form des gegliederten Stammes, nach der Zahl der Gräten
und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten
bilden. Wir werden in der Folge sehen, wie diese Gewächse,
die für ein heißes, trockenes Klima, wie das Aegyptens und
Kaliforniens, charakteristisch sind, immer mehr verschwinden,
wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt.

Die Kaktusgebüsche spielen auf dürrem Boden in Süd-
amerika dieselbe Rolle wie in unseren nördlichen Ländern die
mit Binsen und Hydrocharideen bewachsenen Brüche. Ein Ort,
wo stachlichte Kaktus von hohem Wuchs in Reihen stehen,
gilt fast für undurchdringlich. Solche Stellen, Tunales
genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis
zum Gürtel nackt ist, sie sind ebensosehr von den Stämmen
gefürchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unseren einsamen
Spaziergängen versuchten wir es manchmal in den Tunal
einzudringen, der die Spitze des Schloßberges krönt und durch
den zum Teil ein Fußweg führt. Hier ließe sich der Bau
dieses sonderbaren Gewächses an Tausenden von Exemplaren
beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht überrascht,
denn in diesem Klima gibt es fast keine Dämmerung. Unsere
Lage war dann desto bedenklicher, da der Cascabel oder
die Klapperschlange, der Coral und andere Schlangen mit
Giftzähnen zur Legezeit solche heiße trockene Orte aufsuchen,
um ihre Eier in den Sand zu legen.

Das Schloß San Antonio liegt auf der westlichen Spitze
des Hügels, aber nicht auf dem höchsten Punkt; es wird
gegen Osten von einer nicht befestigten Höhe beherrscht. Der
Tunal gilt hier und überall in den spanischen Nieder-
lassungen für ein nicht unwichtiges militärisches Verteidigungs-
mittel. Wo man Erdwerke anlegt, suchen die Ingenieure
recht viele stachlichte Fackeldisteln darauf anzubringen und ihr
Wachstum zu befördern, wie man auch die Krokodile in den
Wassergräben der festen Plätze hegt. In einem Klima, wo
die organische Natur eine so gewaltige Triebkraft hat, zieht
der Mensch fleischfressende Reptilien und mit furchtbaren
Stacheln bewehrte Gewächse zu seiner Verteidigung herbei.


weiſe zu Rudern und Thürſchwellen verwenden. Nirgends
in Südamerika kommen die Gewächſe aus der Familie der
Nopaleen häufiger vor als in Cumana, Coro, Curaçao und
auf der Inſel Margarita. Nur dort könnte der Botaniker
nach langem Aufenthalt eine Monographie der Kaktus ſchreiben,
die nicht in Hinſicht auf Blüten und Früchte, aber nach der
Form des gegliederten Stammes, nach der Zahl der Gräten
und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten
bilden. Wir werden in der Folge ſehen, wie dieſe Gewächſe,
die für ein heißes, trockenes Klima, wie das Aegyptens und
Kaliforniens, charakteriſtiſch ſind, immer mehr verſchwinden,
wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt.

Die Kaktusgebüſche ſpielen auf dürrem Boden in Süd-
amerika dieſelbe Rolle wie in unſeren nördlichen Ländern die
mit Binſen und Hydrocharideen bewachſenen Brüche. Ein Ort,
wo ſtachlichte Kaktus von hohem Wuchs in Reihen ſtehen,
gilt faſt für undurchdringlich. Solche Stellen, Tunales
genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis
zum Gürtel nackt iſt, ſie ſind ebenſoſehr von den Stämmen
gefürchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unſeren einſamen
Spaziergängen verſuchten wir es manchmal in den Tunal
einzudringen, der die Spitze des Schloßberges krönt und durch
den zum Teil ein Fußweg führt. Hier ließe ſich der Bau
dieſes ſonderbaren Gewächſes an Tauſenden von Exemplaren
beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht überraſcht,
denn in dieſem Klima gibt es faſt keine Dämmerung. Unſere
Lage war dann deſto bedenklicher, da der Cascabel oder
die Klapperſchlange, der Coral und andere Schlangen mit
Giftzähnen zur Legezeit ſolche heiße trockene Orte aufſuchen,
um ihre Eier in den Sand zu legen.

Das Schloß San Antonio liegt auf der weſtlichen Spitze
des Hügels, aber nicht auf dem höchſten Punkt; es wird
gegen Oſten von einer nicht befeſtigten Höhe beherrſcht. Der
Tunal gilt hier und überall in den ſpaniſchen Nieder-
laſſungen für ein nicht unwichtiges militäriſches Verteidigungs-
mittel. Wo man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure
recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzubringen und ihr
Wachstum zu befördern, wie man auch die Krokodile in den
Waſſergräben der feſten Plätze hegt. In einem Klima, wo
die organiſche Natur eine ſo gewaltige Triebkraft hat, zieht
der Menſch fleiſchfreſſende Reptilien und mit furchtbaren
Stacheln bewehrte Gewächſe zu ſeiner Verteidigung herbei.


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[160/0176] weiſe zu Rudern und Thürſchwellen verwenden. Nirgends in Südamerika kommen die Gewächſe aus der Familie der Nopaleen häufiger vor als in Cumana, Coro, Curaçao und auf der Inſel Margarita. Nur dort könnte der Botaniker nach langem Aufenthalt eine Monographie der Kaktus ſchreiben, die nicht in Hinſicht auf Blüten und Früchte, aber nach der Form des gegliederten Stammes, nach der Zahl der Gräten und der Stellung der Stacheln ausnehmend viele Varietäten bilden. Wir werden in der Folge ſehen, wie dieſe Gewächſe, die für ein heißes, trockenes Klima, wie das Aegyptens und Kaliforniens, charakteriſtiſch ſind, immer mehr verſchwinden, wenn man von Terra Firma ins Innere des Landes kommt. Die Kaktusgebüſche ſpielen auf dürrem Boden in Süd- amerika dieſelbe Rolle wie in unſeren nördlichen Ländern die mit Binſen und Hydrocharideen bewachſenen Brüche. Ein Ort, wo ſtachlichte Kaktus von hohem Wuchs in Reihen ſtehen, gilt faſt für undurchdringlich. Solche Stellen, Tunales genannt, halten nicht allein den Eingeborenen auf, der bis zum Gürtel nackt iſt, ſie ſind ebenſoſehr von den Stämmen gefürchtet, die ganz bekleidet gehen. Auf unſeren einſamen Spaziergängen verſuchten wir es manchmal in den Tunal einzudringen, der die Spitze des Schloßberges krönt und durch den zum Teil ein Fußweg führt. Hier ließe ſich der Bau dieſes ſonderbaren Gewächſes an Tauſenden von Exemplaren beobachten. Zuweilen wurden wir von der Nacht überraſcht, denn in dieſem Klima gibt es faſt keine Dämmerung. Unſere Lage war dann deſto bedenklicher, da der Cascabel oder die Klapperſchlange, der Coral und andere Schlangen mit Giftzähnen zur Legezeit ſolche heiße trockene Orte aufſuchen, um ihre Eier in den Sand zu legen. Das Schloß San Antonio liegt auf der weſtlichen Spitze des Hügels, aber nicht auf dem höchſten Punkt; es wird gegen Oſten von einer nicht befeſtigten Höhe beherrſcht. Der Tunal gilt hier und überall in den ſpaniſchen Nieder- laſſungen für ein nicht unwichtiges militäriſches Verteidigungs- mittel. Wo man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzubringen und ihr Wachstum zu befördern, wie man auch die Krokodile in den Waſſergräben der feſten Plätze hegt. In einem Klima, wo die organiſche Natur eine ſo gewaltige Triebkraft hat, zieht der Menſch fleiſchfreſſende Reptilien und mit furchtbaren Stacheln bewehrte Gewächſe zu ſeiner Verteidigung herbei.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/176>, abgerufen am 27.04.2024.