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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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von Oft nach West vom Gipfel Imposible bis zum Hafen
von Mochima und nach Campanario. In einer sehr fernen
Zeit scheint das Meer diesen Gebirgsdamm von der Felsen-
küste von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der
weite Golf von Cariaco ist durch einen Einbruch des Meeres
entstanden, und ohne Zweifel stand damals an der Südküste
das ganze mit salzsaurem Natron getränkte Land, durch das
der Manzanares läuft, unter Wasser. Ein Blick auf den
Stadtplan von Cumana läßt diese Thatsache so unzweifelhaft
erscheinen, als daß die Becken von Paris, Oxford und Wien
einst Meerboden gewesen. Das Meer zog sich langsam zurück
und legte das weite Gestade trocken, auf dem sich eine Hügel-
gruppe erhebt, die aus Gips und Kalkstein von der neuesten
Bildung besteht.

Die Stadt Cumana legt sich an diese Hügel, die einst
ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stück der
Ebene nordwärts von der Stadt heißt "der kleine Strand"
(Playa chica); sie dehnt sich gegen Ost bis zur Punta Delgada
aus, und hier bezeichnet ein enges mit Gomphrena flava
bedecktes Thal den Punkt, wo einst der Durchbruch der Ge-
wässer stattfand. Dieses Thal, dessen Eingang durch kein
Außenwerk verteidigt wird, erscheint als der Punkt, von wo
der Platz einem Angriff am meisten ausgesetzt ist. Der Feind
kann in voller Sicherheit zwischen der Punta Arenas del
Barigon
und der Mündung des Manzanares durchgehen,
wo die See 73 bis 91 und weiter nach Südost sogar 159 m
tief ist. Er kann an der Punta Delgada landen und
das Fort San Antonio und die Stadt Cumana im Rücken
angreifen, ohne daß er vom Feuer der westlichen Batterieen
auf der Playa chica an der Mündung des Stromes und beim
Cerro Colorado etwas zu fürchten hätte.

Der Hügel aus Kalkstein, den wir, wie oben bemerkt,
als eine Insel im ehemaligen Golf betrachten, ist mit Fackel-
disteln bedeckt. Manche davon sind 10 bis 13 m hoch und
ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeste kronleuchterartig
geteilter Stamm nimmt sich höchst seltsam aus. Bei Mani-
quarez an der Punta Araya maßen wir einen Kaktus, dessen
Stamm über 1,54 m Umfang hatte. Ein Europäer, der nur
die Fackeldisteln unserer Gewächshäuser kennt, wundert sich,
daß das Holz dieses Gewächses mit dem Alter sehr hart
wird, daß es jahrhundertelang der Luft und Feuchtigkeit
widersteht, und daß es die Indianer von Cumana vorzugs-

von Oft nach Weſt vom Gipfel Impoſible bis zum Hafen
von Mochima und nach Campanario. In einer ſehr fernen
Zeit ſcheint das Meer dieſen Gebirgsdamm von der Felſen-
küſte von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der
weite Golf von Cariaco iſt durch einen Einbruch des Meeres
entſtanden, und ohne Zweifel ſtand damals an der Südküſte
das ganze mit ſalzſaurem Natron getränkte Land, durch das
der Manzanares läuft, unter Waſſer. Ein Blick auf den
Stadtplan von Cumana läßt dieſe Thatſache ſo unzweifelhaft
erſcheinen, als daß die Becken von Paris, Oxford und Wien
einſt Meerboden geweſen. Das Meer zog ſich langſam zurück
und legte das weite Geſtade trocken, auf dem ſich eine Hügel-
gruppe erhebt, die aus Gips und Kalkſtein von der neueſten
Bildung beſteht.

Die Stadt Cumana legt ſich an dieſe Hügel, die einſt
ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stück der
Ebene nordwärts von der Stadt heißt „der kleine Strand“
(Playa chica); ſie dehnt ſich gegen Oſt bis zur Punta Delgada
aus, und hier bezeichnet ein enges mit Gomphrena flava
bedecktes Thal den Punkt, wo einſt der Durchbruch der Ge-
wäſſer ſtattfand. Dieſes Thal, deſſen Eingang durch kein
Außenwerk verteidigt wird, erſcheint als der Punkt, von wo
der Platz einem Angriff am meiſten ausgeſetzt iſt. Der Feind
kann in voller Sicherheit zwiſchen der Punta Arenas del
Barigon
und der Mündung des Manzanares durchgehen,
wo die See 73 bis 91 und weiter nach Südoſt ſogar 159 m
tief iſt. Er kann an der Punta Delgada landen und
das Fort San Antonio und die Stadt Cumana im Rücken
angreifen, ohne daß er vom Feuer der weſtlichen Batterieen
auf der Playa chica an der Mündung des Stromes und beim
Cerro Colorado etwas zu fürchten hätte.

Der Hügel aus Kalkſtein, den wir, wie oben bemerkt,
als eine Inſel im ehemaligen Golf betrachten, iſt mit Fackel-
diſteln bedeckt. Manche davon ſind 10 bis 13 m hoch und
ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeſte kronleuchterartig
geteilter Stamm nimmt ſich höchſt ſeltſam aus. Bei Mani-
quarez an der Punta Araya maßen wir einen Kaktus, deſſen
Stamm über 1,54 m Umfang hatte. Ein Europäer, der nur
die Fackeldiſteln unſerer Gewächshäuſer kennt, wundert ſich,
daß das Holz dieſes Gewächſes mit dem Alter ſehr hart
wird, daß es jahrhundertelang der Luft und Feuchtigkeit
widerſteht, und daß es die Indianer von Cumana vorzugs-

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[159/0175] von Oft nach Weſt vom Gipfel Impoſible bis zum Hafen von Mochima und nach Campanario. In einer ſehr fernen Zeit ſcheint das Meer dieſen Gebirgsdamm von der Felſen- küſte von Araya und Maniquarez getrennt zu haben. Der weite Golf von Cariaco iſt durch einen Einbruch des Meeres entſtanden, und ohne Zweifel ſtand damals an der Südküſte das ganze mit ſalzſaurem Natron getränkte Land, durch das der Manzanares läuft, unter Waſſer. Ein Blick auf den Stadtplan von Cumana läßt dieſe Thatſache ſo unzweifelhaft erſcheinen, als daß die Becken von Paris, Oxford und Wien einſt Meerboden geweſen. Das Meer zog ſich langſam zurück und legte das weite Geſtade trocken, auf dem ſich eine Hügel- gruppe erhebt, die aus Gips und Kalkſtein von der neueſten Bildung beſteht. Die Stadt Cumana legt ſich an dieſe Hügel, die einſt ein Eiland im Golf von Cariaco waren. Das Stück der Ebene nordwärts von der Stadt heißt „der kleine Strand“ (Playa chica); ſie dehnt ſich gegen Oſt bis zur Punta Delgada aus, und hier bezeichnet ein enges mit Gomphrena flava bedecktes Thal den Punkt, wo einſt der Durchbruch der Ge- wäſſer ſtattfand. Dieſes Thal, deſſen Eingang durch kein Außenwerk verteidigt wird, erſcheint als der Punkt, von wo der Platz einem Angriff am meiſten ausgeſetzt iſt. Der Feind kann in voller Sicherheit zwiſchen der Punta Arenas del Barigon und der Mündung des Manzanares durchgehen, wo die See 73 bis 91 und weiter nach Südoſt ſogar 159 m tief iſt. Er kann an der Punta Delgada landen und das Fort San Antonio und die Stadt Cumana im Rücken angreifen, ohne daß er vom Feuer der weſtlichen Batterieen auf der Playa chica an der Mündung des Stromes und beim Cerro Colorado etwas zu fürchten hätte. Der Hügel aus Kalkſtein, den wir, wie oben bemerkt, als eine Inſel im ehemaligen Golf betrachten, iſt mit Fackel- diſteln bedeckt. Manche davon ſind 10 bis 13 m hoch und ihr mit Flechten bedeckter, in mehrere Aeſte kronleuchterartig geteilter Stamm nimmt ſich höchſt ſeltſam aus. Bei Mani- quarez an der Punta Araya maßen wir einen Kaktus, deſſen Stamm über 1,54 m Umfang hatte. Ein Europäer, der nur die Fackeldiſteln unſerer Gewächshäuſer kennt, wundert ſich, daß das Holz dieſes Gewächſes mit dem Alter ſehr hart wird, daß es jahrhundertelang der Luft und Feuchtigkeit widerſteht, und daß es die Indianer von Cumana vorzugs-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/175>, abgerufen am 28.04.2024.