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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge
St. Joseph, waren wir von einer Menge schwimmenden
Tanges umgeben. Die Stengel desselben hatten die sonder-
baren, wie Blumenkelche und Federbüsche gestalteten Anhänge,
wie sie Don Hypolito Ruiz auf seiner Rückkehr aus Chile
beobachtet und in einer besonderen Abhandlung als die Ge-
schlechtsorgane des Fucus natans beschrieben hat. Ein glück-
licher Zufall setzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu
berichtigen, die sich nur einmal der Naturforschung darge-
boten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefischt
hatte, waren durchaus identisch mit den Exemplaren, die wir
der Gefälligkeit der gelehrten Verfasser der peruanischen Flora
verdankten. Als wir beide unter dem Mikroskop untersuchten,
fanden wir, daß diese angeblichen Befruchtungswerkzeuge, diese
Pistille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus
der Familie der Ceratophyten seien. Die Kelche, welche Ruiz
für Pistille hielt, entspringen aus hornartigen, abgeplatteten
Stielen, die so fest mit der Substanz des Fukus zusammen-
hängen, daß man sie gar wohl für bloße Rippen halten könnte;
aber mit einem sehr dünnen Messer gelingt es, sie abzulösen,
ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten
Stiele sind anfangs schwarzbraun, werden aber, wenn sie ver-
trocknen, weiß und zerreiblich. In diesem Zustande brausen
sie mit Säuren auf, wie die kalkige Substanz der Sertularia,
deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten
Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südsee, auf der Ueberfahrt
von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropischen
Seetraube dieselben Anhängsel gefunden, und eine sehr sorg-
fältige Untersuchung überzeugte uns, daß sich hier ein Zoo-
phyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumstamm
umschlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten be-
schriebenen Organe sind über 4 mm lang, und schon diese
Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Pistille nicht auf-
kommen lassen sollen.

Die Küste von Paria zieht sich nach West fort und bildet
eine nicht sehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und
wellenförmigen Umrissen. Es dauerte lange, bis wir die hohe
Küste der Insel Margarita zu sehen bekamen, wo wir ein-
laufen sollten, um hinsichtlich der englischen Kreuzer, und ob
es gefährlich sei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzu-
ziehen. Sonnenhöhen, die wir unter sehr günstigen Umständen
genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals selbst die

Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge
St. Joſeph, waren wir von einer Menge ſchwimmenden
Tanges umgeben. Die Stengel desſelben hatten die ſonder-
baren, wie Blumenkelche und Federbüſche geſtalteten Anhänge,
wie ſie Don Hypolito Ruiz auf ſeiner Rückkehr aus Chile
beobachtet und in einer beſonderen Abhandlung als die Ge-
ſchlechtsorgane des Fucus natans beſchrieben hat. Ein glück-
licher Zufall ſetzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu
berichtigen, die ſich nur einmal der Naturforſchung darge-
boten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefiſcht
hatte, waren durchaus identiſch mit den Exemplaren, die wir
der Gefälligkeit der gelehrten Verfaſſer der peruaniſchen Flora
verdankten. Als wir beide unter dem Mikroſkop unterſuchten,
fanden wir, daß dieſe angeblichen Befruchtungswerkzeuge, dieſe
Piſtille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus
der Familie der Ceratophyten ſeien. Die Kelche, welche Ruiz
für Piſtille hielt, entſpringen aus hornartigen, abgeplatteten
Stielen, die ſo feſt mit der Subſtanz des Fukus zuſammen-
hängen, daß man ſie gar wohl für bloße Rippen halten könnte;
aber mit einem ſehr dünnen Meſſer gelingt es, ſie abzulöſen,
ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten
Stiele ſind anfangs ſchwarzbraun, werden aber, wenn ſie ver-
trocknen, weiß und zerreiblich. In dieſem Zuſtande brauſen
ſie mit Säuren auf, wie die kalkige Subſtanz der Sertularia,
deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten
Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südſee, auf der Ueberfahrt
von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropiſchen
Seetraube dieſelben Anhängſel gefunden, und eine ſehr ſorg-
fältige Unterſuchung überzeugte uns, daß ſich hier ein Zoo-
phyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumſtamm
umſchlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten be-
ſchriebenen Organe ſind über 4 mm lang, und ſchon dieſe
Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Piſtille nicht auf-
kommen laſſen ſollen.

Die Küſte von Paria zieht ſich nach Weſt fort und bildet
eine nicht ſehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und
wellenförmigen Umriſſen. Es dauerte lange, bis wir die hohe
Küſte der Inſel Margarita zu ſehen bekamen, wo wir ein-
laufen ſollten, um hinſichtlich der engliſchen Kreuzer, und ob
es gefährlich ſei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzu-
ziehen. Sonnenhöhen, die wir unter ſehr günſtigen Umſtänden
genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals ſelbſt die

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[147/0163] Am 15. morgens, ungefähr gegenüber dem kleinen Berge St. Joſeph, waren wir von einer Menge ſchwimmenden Tanges umgeben. Die Stengel desſelben hatten die ſonder- baren, wie Blumenkelche und Federbüſche geſtalteten Anhänge, wie ſie Don Hypolito Ruiz auf ſeiner Rückkehr aus Chile beobachtet und in einer beſonderen Abhandlung als die Ge- ſchlechtsorgane des Fucus natans beſchrieben hat. Ein glück- licher Zufall ſetzte uns in den Stand, eine Beobachtung zu berichtigen, die ſich nur einmal der Naturforſchung darge- boten hatte. Die Bündel Tang, welche Bonpland aufgefiſcht hatte, waren durchaus identiſch mit den Exemplaren, die wir der Gefälligkeit der gelehrten Verfaſſer der peruaniſchen Flora verdankten. Als wir beide unter dem Mikroſkop unterſuchten, fanden wir, daß dieſe angeblichen Befruchtungswerkzeuge, dieſe Piſtille und Staubfäden eine neue Gattung Pflanzentiere aus der Familie der Ceratophyten ſeien. Die Kelche, welche Ruiz für Piſtille hielt, entſpringen aus hornartigen, abgeplatteten Stielen, die ſo feſt mit der Subſtanz des Fukus zuſammen- hängen, daß man ſie gar wohl für bloße Rippen halten könnte; aber mit einem ſehr dünnen Meſſer gelingt es, ſie abzulöſen, ohne das Parenchym zu verletzen. Die nicht gegliederten Stiele ſind anfangs ſchwarzbraun, werden aber, wenn ſie ver- trocknen, weiß und zerreiblich. In dieſem Zuſtande brauſen ſie mit Säuren auf, wie die kalkige Subſtanz der Sertularia, deren Spitzen mit den Kelchen des von Ruiz beobachteten Fukus Aehnlichkeit haben. In der Südſee, auf der Ueberfahrt von Guayaquil nach Acapulco, haben wir an der tropiſchen Seetraube dieſelben Anhängſel gefunden, und eine ſehr ſorg- fältige Unterſuchung überzeugte uns, daß ſich hier ein Zoo- phyt an den Tang heftet, wie der Epheu den Baumſtamm umſchlingt. Die unter dem Namen weiblicher Blüten be- ſchriebenen Organe ſind über 4 mm lang, und ſchon dieſe Größe hätte den Gedanken an wahrhafte Piſtille nicht auf- kommen laſſen ſollen. Die Küſte von Paria zieht ſich nach Weſt fort und bildet eine nicht ſehr hohe Felsmauer mit abgerundeten Gipfeln und wellenförmigen Umriſſen. Es dauerte lange, bis wir die hohe Küſte der Inſel Margarita zu ſehen bekamen, wo wir ein- laufen ſollten, um hinſichtlich der engliſchen Kreuzer, und ob es gefährlich ſei, bei Guayra anzulegen, Erkundigung einzu- ziehen. Sonnenhöhen, die wir unter ſehr günſtigen Umſtänden genommen, hatten uns gezeigt, wie unrichtig damals ſelbſt die

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/163>, abgerufen am 28.04.2024.