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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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zu sehen. Es hätte uns sehr wehe gethan, in Cumana oder
Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Natur-
forschern so wenig betretenen Landes zu betreten.

Der Entschluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den
15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den
Verfolg unserer Reisen. Statt einige Wochen verweilten wir
ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an
Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an
den Cassiquiare und an die Grenze der portugiesischen Be-
sitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir
es auch dieser unserer Reiserichtung, daß wir während eines
so langen Aufenthaltes in den Aequinoktialländern so gesund
blieben.

Bekanntlich schweben die Europäer in den ersten Monaten,
nachdem sie unter den glühenden Himmel der Tropen versetzt
worden, in sehr großer Gefahr. Sie betrachten sich als akkli-
matisiert, wenn sie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera-
cruz oder Cartagena überstanden haben. Diese Meinung
ist nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beispielen fehlt,
daß Leute, die bei der ersten Epidemie des gelben Fiebers
durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der
Seuche werden. Die Fähigkeit sich zu akklimatisieren scheint
im umgekehrten Verhältnis zu stehen mit dem Unterschied
zwischen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der
des Geburtslandes des Reisenden oder Kolonisten, der das
Klima wechselt, weil die Lufttemperatur den mächtigsten Ein-
fluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert.
Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede sind mehr gefährdet, wenn
sie auf die Inseln oder nach Terra Firma kommen, als ein
Spanier, ein Italiener und selbst ein Bewohner des südlichen
Frankreichs. Für die nordischen Völker beträgt der Unter-
schied in der mittleren Temperatur 19 bis 21°, für die süd-
lichen nur 9 bis 10. Wir waren so glücklich, die Zeit, in
der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft,
im ausnehmend heißen, aber sehr trockenen Klima von Cu-
mana zu verleben, einer Stadt, die für sehr gesund gilt.
Hätten wir unseren Weg nach Veracruz fortgesetzt, so hätten
wir leicht das Los mehrerer Passagiere des Paketbootes
Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die
Havana kam, als eben das schwarze Erbrechen auf
Cuba und an der Ostküste von Mexiko schreckliche Verheerungen
anrichtete.


zu ſehen. Es hätte uns ſehr wehe gethan, in Cumana oder
Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Natur-
forſchern ſo wenig betretenen Landes zu betreten.

Der Entſchluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den
15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den
Verfolg unſerer Reiſen. Statt einige Wochen verweilten wir
ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an
Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an
den Caſſiquiare und an die Grenze der portugieſiſchen Be-
ſitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir
es auch dieſer unſerer Reiſerichtung, daß wir während eines
ſo langen Aufenthaltes in den Aequinoktialländern ſo geſund
blieben.

Bekanntlich ſchweben die Europäer in den erſten Monaten,
nachdem ſie unter den glühenden Himmel der Tropen verſetzt
worden, in ſehr großer Gefahr. Sie betrachten ſich als akkli-
matiſiert, wenn ſie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera-
cruz oder Cartagena überſtanden haben. Dieſe Meinung
iſt nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beiſpielen fehlt,
daß Leute, die bei der erſten Epidemie des gelben Fiebers
durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der
Seuche werden. Die Fähigkeit ſich zu akklimatiſieren ſcheint
im umgekehrten Verhältnis zu ſtehen mit dem Unterſchied
zwiſchen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der
des Geburtslandes des Reiſenden oder Koloniſten, der das
Klima wechſelt, weil die Lufttemperatur den mächtigſten Ein-
fluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert.
Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede ſind mehr gefährdet, wenn
ſie auf die Inſeln oder nach Terra Firma kommen, als ein
Spanier, ein Italiener und ſelbſt ein Bewohner des ſüdlichen
Frankreichs. Für die nordiſchen Völker beträgt der Unter-
ſchied in der mittleren Temperatur 19 bis 21°, für die ſüd-
lichen nur 9 bis 10. Wir waren ſo glücklich, die Zeit, in
der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft,
im ausnehmend heißen, aber ſehr trockenen Klima von Cu-
mana zu verleben, einer Stadt, die für ſehr geſund gilt.
Hätten wir unſeren Weg nach Veracruz fortgeſetzt, ſo hätten
wir leicht das Los mehrerer Paſſagiere des Paketbootes
Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die
Havana kam, als eben das ſchwarze Erbrechen auf
Cuba und an der Oſtküſte von Mexiko ſchreckliche Verheerungen
anrichtete.


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[146/0162] zu ſehen. Es hätte uns ſehr wehe gethan, in Cumana oder Guayra zu landen, ohne das Innere eines von den Natur- forſchern ſo wenig betretenen Landes zu betreten. Der Entſchluß, den wir in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli faßten, äußerte einen glücklichen Einfluß auf den Verfolg unſerer Reiſen. Statt einige Wochen verweilten wir ein ganzes Jahr in Terra Firma; ohne die Seuche an Bord des Pizarro wären wir nie an den Orinoko, an den Caſſiquiare und an die Grenze der portugieſiſchen Be- ſitzungen am Rio Negro gekommen. Vielleicht verdanken wir es auch dieſer unſerer Reiſerichtung, daß wir während eines ſo langen Aufenthaltes in den Aequinoktialländern ſo geſund blieben. Bekanntlich ſchweben die Europäer in den erſten Monaten, nachdem ſie unter den glühenden Himmel der Tropen verſetzt worden, in ſehr großer Gefahr. Sie betrachten ſich als akkli- matiſiert, wenn ſie die Regenzeit auf den Antillen, in Vera- cruz oder Cartagena überſtanden haben. Dieſe Meinung iſt nicht ungegründet, obgleich es nicht an Beiſpielen fehlt, daß Leute, die bei der erſten Epidemie des gelben Fiebers durchgekommen, in einem der folgenden Jahre Opfer der Seuche werden. Die Fähigkeit ſich zu akklimatiſieren ſcheint im umgekehrten Verhältnis zu ſtehen mit dem Unterſchied zwiſchen der mittleren Temperatur der heißen Zone und der des Geburtslandes des Reiſenden oder Koloniſten, der das Klima wechſelt, weil die Lufttemperatur den mächtigſten Ein- fluß auf die Reizbarkeit und die Vitalität der Organe äußert. Ein Preuße, ein Pole, ein Schwede ſind mehr gefährdet, wenn ſie auf die Inſeln oder nach Terra Firma kommen, als ein Spanier, ein Italiener und ſelbſt ein Bewohner des ſüdlichen Frankreichs. Für die nordiſchen Völker beträgt der Unter- ſchied in der mittleren Temperatur 19 bis 21°, für die ſüd- lichen nur 9 bis 10. Wir waren ſo glücklich, die Zeit, in der der Europäer nach der Landung die größte Gefahr läuft, im ausnehmend heißen, aber ſehr trockenen Klima von Cu- mana zu verleben, einer Stadt, die für ſehr geſund gilt. Hätten wir unſeren Weg nach Veracruz fortgeſetzt, ſo hätten wir leicht das Los mehrerer Paſſagiere des Paketbootes Alcudia teilen können, das mit dem Pizarro in die Havana kam, als eben das ſchwarze Erbrechen auf Cuba und an der Oſtküſte von Mexiko ſchreckliche Verheerungen anrichtete.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/162>, abgerufen am 27.04.2024.