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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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schienen. Tiefe Ruhe herrschte ringsum am einsamen Orte;
aber diese Ruhe der Natur stand im Widerspiel mit den
schmerzlichen Gefühlen in unserer Brust. Gegen 8 Uhr wurde
langsam die Totenglocke geläutet; bei diesem Trauerzeichen
brachen die Matrosen ihre Arbeit ab und ließen sich zu kurzem
Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die
an die Zeiten mahnt, wo die ersten Christen sich als Glieder
einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Men-
schen im Gefühl gemeinsamen Unglückes einander näher bringt.
In der Nacht schaffte man die Leiche des Asturiers auf das
Verdeck, und auf die Vorstellung des Priesters wurde er erst
nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die
Leichenfeier nach dem Gebrauch der römischen Kirche vornehmen
konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schicksal des
jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen
frisch und gesund gesehen hatten.

Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich
dieses bösartige oder ataktische Fieber sei, und wenn die langen
Windstillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana ver-
zögerten, so mußte man besorgen, daß es viele Opfer fordern
könnte. An Bord eines Kriegsschiffes oder eines Transport-
schiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Ein-
druck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichen-
zug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner
Mannschaft, wo zwischen Menschen, die dasselbe Reiseziel
haben, sich nähere Beziehungen knüpfen. Die Passagiere auf
dem Pizarro spürten zwar noch nichts von den Vorboten der
Krankheit, beschlossen aber doch, das Fahrzeug am nächsten
Landungsplatz zu verlassen und die Ankunft eines anderen
Postschiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko
fortzusetzen. Sie betrachteten das Zwischendeck des Schiffes
als einen Herd der Ansteckung, und obgleich es mir keines-
wegs erwiesen schien, daß das Fieber durch Berührung an-
stecke, hielt ich es doch durch die Vorsicht geraten, in Cumana
ans Land zu gehen. Es schien mir wünschenswert, Neuspanien
erst nach einem längeren Aufenthalt an den Küsten von Vene-
zuela und Paria zu besuchen, wo der unglückliche Löffling nur
sehr wenige naturgeschichtliche Beobachtungen hatte machen
können. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Ge-
wächse, die Bose und Bredemeyer auf ihrer Reise in Terra
Firma gesammelt und die eine Zierde der Gewächshäuser zu
Schönbrunn und Wien sind, auf ihrem heimatlichen Boden

A. v. Humboldt, Reise. I. 10

ſchienen. Tiefe Ruhe herrſchte ringsum am einſamen Orte;
aber dieſe Ruhe der Natur ſtand im Widerſpiel mit den
ſchmerzlichen Gefühlen in unſerer Bruſt. Gegen 8 Uhr wurde
langſam die Totenglocke geläutet; bei dieſem Trauerzeichen
brachen die Matroſen ihre Arbeit ab und ließen ſich zu kurzem
Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die
an die Zeiten mahnt, wo die erſten Chriſten ſich als Glieder
einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Men-
ſchen im Gefühl gemeinſamen Unglückes einander näher bringt.
In der Nacht ſchaffte man die Leiche des Aſturiers auf das
Verdeck, und auf die Vorſtellung des Prieſters wurde er erſt
nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die
Leichenfeier nach dem Gebrauch der römiſchen Kirche vornehmen
konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schickſal des
jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen
friſch und geſund geſehen hatten.

Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich
dieſes bösartige oder ataktiſche Fieber ſei, und wenn die langen
Windſtillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana ver-
zögerten, ſo mußte man beſorgen, daß es viele Opfer fordern
könnte. An Bord eines Kriegsſchiffes oder eines Transport-
ſchiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Ein-
druck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichen-
zug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner
Mannſchaft, wo zwiſchen Menſchen, die dasſelbe Reiſeziel
haben, ſich nähere Beziehungen knüpfen. Die Paſſagiere auf
dem Pizarro ſpürten zwar noch nichts von den Vorboten der
Krankheit, beſchloſſen aber doch, das Fahrzeug am nächſten
Landungsplatz zu verlaſſen und die Ankunft eines anderen
Poſtſchiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko
fortzuſetzen. Sie betrachteten das Zwiſchendeck des Schiffes
als einen Herd der Anſteckung, und obgleich es mir keines-
wegs erwieſen ſchien, daß das Fieber durch Berührung an-
ſtecke, hielt ich es doch durch die Vorſicht geraten, in Cumana
ans Land zu gehen. Es ſchien mir wünſchenswert, Neuſpanien
erſt nach einem längeren Aufenthalt an den Küſten von Vene-
zuela und Paria zu beſuchen, wo der unglückliche Löffling nur
ſehr wenige naturgeſchichtliche Beobachtungen hatte machen
können. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Ge-
wächſe, die Boſe und Bredemeyer auf ihrer Reiſe in Terra
Firma geſammelt und die eine Zierde der Gewächshäuſer zu
Schönbrunn und Wien ſind, auf ihrem heimatlichen Boden

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[145/0161] ſchienen. Tiefe Ruhe herrſchte ringsum am einſamen Orte; aber dieſe Ruhe der Natur ſtand im Widerſpiel mit den ſchmerzlichen Gefühlen in unſerer Bruſt. Gegen 8 Uhr wurde langſam die Totenglocke geläutet; bei dieſem Trauerzeichen brachen die Matroſen ihre Arbeit ab und ließen ſich zu kurzem Gebet auf die Kniee nieder, eine ergreifende Handlung, die an die Zeiten mahnt, wo die erſten Chriſten ſich als Glieder einer Familie betrachteten, und die auch jetzt noch die Men- ſchen im Gefühl gemeinſamen Unglückes einander näher bringt. In der Nacht ſchaffte man die Leiche des Aſturiers auf das Verdeck, und auf die Vorſtellung des Prieſters wurde er erſt nach Sonnenaufgang ins Meer geworfen, damit man die Leichenfeier nach dem Gebrauch der römiſchen Kirche vornehmen konnte. Kein Mann an Bord, den nicht das Schickſal des jungen Mannes rührte, den wir noch vor wenigen Tagen friſch und geſund geſehen hatten. Der eben erzählte Vorfall zeigte uns, wie gefährlich dieſes bösartige oder ataktiſche Fieber ſei, und wenn die langen Windſtillen die Ueberfahrt von Cumana nach Havana ver- zögerten, ſo mußte man beſorgen, daß es viele Opfer fordern könnte. An Bord eines Kriegsſchiffes oder eines Transport- ſchiffes machen einige Todesfälle gewöhnlich nicht mehr Ein- druck, als wenn man in einer volkreichen Stadt einem Leichen- zug begegnet. Anders an Bord eines Paketbootes mit kleiner Mannſchaft, wo zwiſchen Menſchen, die dasſelbe Reiſeziel haben, ſich nähere Beziehungen knüpfen. Die Paſſagiere auf dem Pizarro ſpürten zwar noch nichts von den Vorboten der Krankheit, beſchloſſen aber doch, das Fahrzeug am nächſten Landungsplatz zu verlaſſen und die Ankunft eines anderen Poſtſchiffes zu erwarten, um ihren Weg nach Cuba oder Mexiko fortzuſetzen. Sie betrachteten das Zwiſchendeck des Schiffes als einen Herd der Anſteckung, und obgleich es mir keines- wegs erwieſen ſchien, daß das Fieber durch Berührung an- ſtecke, hielt ich es doch durch die Vorſicht geraten, in Cumana ans Land zu gehen. Es ſchien mir wünſchenswert, Neuſpanien erſt nach einem längeren Aufenthalt an den Küſten von Vene- zuela und Paria zu beſuchen, wo der unglückliche Löffling nur ſehr wenige naturgeſchichtliche Beobachtungen hatte machen können. Wir brannten vor Verlangen, die herrlichen Ge- wächſe, die Boſe und Bredemeyer auf ihrer Reiſe in Terra Firma geſammelt und die eine Zierde der Gewächshäuſer zu Schönbrunn und Wien ſind, auf ihrem heimatlichen Boden A. v. Humboldt, Reiſe. I. 10

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/161>, abgerufen am 27.04.2024.