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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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gewünscht hätten. Die Stärke dieser Strömung nimmt zu,
je näher man dem neuen Kontinente kommt; sie wird durch
die Bildung der Küsten von Brasilien und Guyana abgelenkt,
nicht durch die Gewässer des Orinoko und des Amazonen-
stromes, wie manche Physiker behaupten.

Seit unserem Eintritt in die heiße Zone wurden wir
nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des südlichen Himmels
zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten,
immer neue Sternbilder vor unseren Blicken aufstiegen. Ein
sonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem
rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Ueber-
gang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die
man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und
endlich verschwinden sieht. Nichts mahnt den Reisenden so
auffallend an die ungeheure Entfernung seiner Heimat, als
der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der
großen Sterne, einige zerstreute Nebelflecke, die an Glanz mit
der Milchstraße wetteifern, Strecken, die sich durch ihr tiefes
Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigen-
tümliche Physiognomie. Dieses Schauspiel regt selbst die
Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen Wissen-
schaften sehr fern stehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken,
wie man eine schöne Landschaft oder eine großartige Aussicht
bewundert. Man braucht kein Botaniker zu sein, um schon
am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdstrich zu erkennen,
und wer auch keine astronomischen Kenntnisse hat, wer von
Flamsteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt,
daß er nicht in Europa ist, wenn er das ungeheure Stern-
bild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensschen Wolken
am Horizont aufsteigen sieht. Erde und Himmel, allem in
den Aequinoktialländern drückt sich der Stempel des Fremd-
artigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren seit einigen Tagen
mit Dunst erfüllt. Erst in der Nacht vom 4. zum 5. Juli,
unter 16° Breite, sahen wir das südliche Kreuz zum ersten-
mal deutlich; es war stark geneigt und erschien von Zeit
zu Zeit zwischen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das
Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte.
Wenn es einem Reisenden gestattet ist, von seinen persönlichen
Empfindungen zu sprechen, so darf ich sagen, daß ich in dieser
Nacht einen der Träume meiner frühesten Jugend in Er-
füllung gehen sah.


gewünſcht hätten. Die Stärke dieſer Strömung nimmt zu,
je näher man dem neuen Kontinente kommt; ſie wird durch
die Bildung der Küſten von Braſilien und Guyana abgelenkt,
nicht durch die Gewäſſer des Orinoko und des Amazonen-
ſtromes, wie manche Phyſiker behaupten.

Seit unſerem Eintritt in die heiße Zone wurden wir
nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des ſüdlichen Himmels
zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten,
immer neue Sternbilder vor unſeren Blicken aufſtiegen. Ein
ſonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem
rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Ueber-
gang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die
man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und
endlich verſchwinden ſieht. Nichts mahnt den Reiſenden ſo
auffallend an die ungeheure Entfernung ſeiner Heimat, als
der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der
großen Sterne, einige zerſtreute Nebelflecke, die an Glanz mit
der Milchſtraße wetteifern, Strecken, die ſich durch ihr tiefes
Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigen-
tümliche Phyſiognomie. Dieſes Schauſpiel regt ſelbſt die
Einbildungskraft von Menſchen auf, die den phyſiſchen Wiſſen-
ſchaften ſehr fern ſtehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken,
wie man eine ſchöne Landſchaft oder eine großartige Ausſicht
bewundert. Man braucht kein Botaniker zu ſein, um ſchon
am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdſtrich zu erkennen,
und wer auch keine aſtronomiſchen Kenntniſſe hat, wer von
Flamſteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt,
daß er nicht in Europa iſt, wenn er das ungeheure Stern-
bild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensſchen Wolken
am Horizont aufſteigen ſieht. Erde und Himmel, allem in
den Aequinoktialländern drückt ſich der Stempel des Fremd-
artigen auf.

Die niedrigen Luftregionen waren ſeit einigen Tagen
mit Dunſt erfüllt. Erſt in der Nacht vom 4. zum 5. Juli,
unter 16° Breite, ſahen wir das ſüdliche Kreuz zum erſten-
mal deutlich; es war ſtark geneigt und erſchien von Zeit
zu Zeit zwiſchen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das
Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte.
Wenn es einem Reiſenden geſtattet iſt, von ſeinen perſönlichen
Empfindungen zu ſprechen, ſo darf ich ſagen, daß ich in dieſer
Nacht einen der Träume meiner früheſten Jugend in Er-
füllung gehen ſah.


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[136/0152] gewünſcht hätten. Die Stärke dieſer Strömung nimmt zu, je näher man dem neuen Kontinente kommt; ſie wird durch die Bildung der Küſten von Braſilien und Guyana abgelenkt, nicht durch die Gewäſſer des Orinoko und des Amazonen- ſtromes, wie manche Phyſiker behaupten. Seit unſerem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des ſüdlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unſeren Blicken aufſtiegen. Ein ſonderbares, bis jetzt ganz unbekanntes Gefühl wird in einem rege, wenn man dem Aequator zu, und namentlich beim Ueber- gang aus der einen Halbkugel in die andere, die Sterne, die man von Kindheit auf kennt, immer tiefer hinabrücken und endlich verſchwinden ſieht. Nichts mahnt den Reiſenden ſo auffallend an die ungeheure Entfernung ſeiner Heimat, als der Anblick eines neuen Himmels. Die Gruppierung der großen Sterne, einige zerſtreute Nebelflecke, die an Glanz mit der Milchſtraße wetteifern, Strecken, die ſich durch ihr tiefes Schwarz auszeichnen, geben dem Südhimmel eine ganz eigen- tümliche Phyſiognomie. Dieſes Schauſpiel regt ſelbſt die Einbildungskraft von Menſchen auf, die den phyſiſchen Wiſſen- ſchaften ſehr fern ſtehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken, wie man eine ſchöne Landſchaft oder eine großartige Ausſicht bewundert. Man braucht kein Botaniker zu ſein, um ſchon am Anblick der Pflanzenwelt den heißen Erdſtrich zu erkennen, und wer auch keine aſtronomiſchen Kenntniſſe hat, wer von Flamſteads und Lacailles Himmelskarten nichts weiß, fühlt, daß er nicht in Europa iſt, wenn er das ungeheure Stern- bild des Schiffes oder die leuchtenden Magelhaensſchen Wolken am Horizont aufſteigen ſieht. Erde und Himmel, allem in den Aequinoktialländern drückt ſich der Stempel des Fremd- artigen auf. Die niedrigen Luftregionen waren ſeit einigen Tagen mit Dunſt erfüllt. Erſt in der Nacht vom 4. zum 5. Juli, unter 16° Breite, ſahen wir das ſüdliche Kreuz zum erſten- mal deutlich; es war ſtark geneigt und erſchien von Zeit zu Zeit zwiſchen den Wolken, deren Mittelpunkt, wenn das Wetterleuchten dadurch hinzuckte, wie Silberlicht aufflammte. Wenn es einem Reiſenden geſtattet iſt, von ſeinen perſönlichen Empfindungen zu ſprechen, ſo darf ich ſagen, daß ich in dieſer Nacht einen der Träume meiner früheſten Jugend in Er- füllung gehen ſah.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/152>, abgerufen am 22.11.2024.