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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Vielleicht daß diese Trümmer aus den nördlichen stürmischen
Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung,
welche die Wasser des Atlantischen Meeres in der nördlichen
Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das
Schiff zu Grunde gegangen.

Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans,
wo die Karten die Bank des Maalstromes verzeichnen; mit
Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Ge-
fahr auszuweichen, deren Vorhandensein so zweifelhaft ist,
als das der Inseln Fonseco und Santa Anna. 1 Es wäre
wohl klüger gewesen, den Kurs beizubehalten. Die alten
Seekarten wimmeln von sogenannten wachenden Klippen, die
zum Teil allerdings vorhanden sind, größtenteils aber sich von
optischen Täuschungen herschreiben, die auf der See häufiger
sind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen
Punkte ist meist wie aufs Geratewohl angegeben; sie waren
von Schiffern gesehen worden, die ihre Länge nur auf ein
paar Grade kannten, und meist kann man sicher darauf rechnen,
keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zusteuert,
wo sie auf den Karten angegeben sind. Als wir dem vor-
geblichen Maalstrom nahe waren, konnten wir am Wasser keine
andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nord-
west, die uns nicht so viel in Länge zurücklegen ließ, als wir

1 Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inseln
an, die nichts als eingebildete Gefahren sind: die Inseln Garca
und Santa Anna, westlich von den Azoren, die Grüne Insel (unter
14° 52' Breite, 28° 30' Länge) und die Insel Fonseco (unter
13° 15' Breite, 57° 10' Länge). Wie kann man an die Existenz
von vier Inseln in von Tausenden von Schiffen befahrenen Strichen
glauben, da von so vielen kleinen Riffen und Untiefen, die seit
hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden
sind, sich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die all-
gemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrscheinlichkeit
sich annehmen läßt, daß zwischen Europa und Amerika eine auf
4 bis 5 km sichtbare Insel werde entdeckt werden, so könnte man
sie einer strengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der
Fahrzeuge kennte, die seit dreihundert Jahren jährlich das Atlan-
tische Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung
der Fahrzeuge in verschiedenen Strichen berücksichtigte. Befände
sich der Maalstrom, nach van Keulens Angabe, unter 16° Breite
und 39° 30' Länge, so wären wir am 4. Juli darüber wegge-
fahren.

Vielleicht daß dieſe Trümmer aus den nördlichen ſtürmiſchen
Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung,
welche die Waſſer des Atlantiſchen Meeres in der nördlichen
Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das
Schiff zu Grunde gegangen.

Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans,
wo die Karten die Bank des Maalſtromes verzeichnen; mit
Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Ge-
fahr auszuweichen, deren Vorhandenſein ſo zweifelhaft iſt,
als das der Inſeln Fonſeco und Santa Anna. 1 Es wäre
wohl klüger geweſen, den Kurs beizubehalten. Die alten
Seekarten wimmeln von ſogenannten wachenden Klippen, die
zum Teil allerdings vorhanden ſind, größtenteils aber ſich von
optiſchen Täuſchungen herſchreiben, die auf der See häufiger
ſind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen
Punkte iſt meiſt wie aufs Geratewohl angegeben; ſie waren
von Schiffern geſehen worden, die ihre Länge nur auf ein
paar Grade kannten, und meiſt kann man ſicher darauf rechnen,
keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zuſteuert,
wo ſie auf den Karten angegeben ſind. Als wir dem vor-
geblichen Maalſtrom nahe waren, konnten wir am Waſſer keine
andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nord-
weſt, die uns nicht ſo viel in Länge zurücklegen ließ, als wir

1 Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inſeln
an, die nichts als eingebildete Gefahren ſind: die Inſeln Garca
und Santa Anna, weſtlich von den Azoren, die Grüne Inſel (unter
14° 52′ Breite, 28° 30′ Länge) und die Inſel Fonſeco (unter
13° 15′ Breite, 57° 10′ Länge). Wie kann man an die Exiſtenz
von vier Inſeln in von Tauſenden von Schiffen befahrenen Strichen
glauben, da von ſo vielen kleinen Riffen und Untiefen, die ſeit
hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden
ſind, ſich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die all-
gemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrſcheinlichkeit
ſich annehmen läßt, daß zwiſchen Europa und Amerika eine auf
4 bis 5 km ſichtbare Inſel werde entdeckt werden, ſo könnte man
ſie einer ſtrengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der
Fahrzeuge kennte, die ſeit dreihundert Jahren jährlich das Atlan-
tiſche Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung
der Fahrzeuge in verſchiedenen Strichen berückſichtigte. Befände
ſich der Maalſtrom, nach van Keulens Angabe, unter 16° Breite
und 39° 30′ Länge, ſo wären wir am 4. Juli darüber wegge-
fahren.
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[135/0151] Vielleicht daß dieſe Trümmer aus den nördlichen ſtürmiſchen Meeren kamen, und infolge der merkwürdigen Drehung, welche die Waſſer des Atlantiſchen Meeres in der nördlichen Halbkugel erleiden, wieder zum Fleck zurückwanderten, wo das Schiff zu Grunde gegangen. Am 3. und 4. fuhren wir über den Teil des Ozeans, wo die Karten die Bank des Maalſtromes verzeichnen; mit Einbruch der Nacht änderte man den Kurs, um einer Ge- fahr auszuweichen, deren Vorhandenſein ſo zweifelhaft iſt, als das der Inſeln Fonſeco und Santa Anna. 1 Es wäre wohl klüger geweſen, den Kurs beizubehalten. Die alten Seekarten wimmeln von ſogenannten wachenden Klippen, die zum Teil allerdings vorhanden ſind, größtenteils aber ſich von optiſchen Täuſchungen herſchreiben, die auf der See häufiger ſind als im Binnenlande. Die Lage der wirklich gefährlichen Punkte iſt meiſt wie aufs Geratewohl angegeben; ſie waren von Schiffern geſehen worden, die ihre Länge nur auf ein paar Grade kannten, und meiſt kann man ſicher darauf rechnen, keine Klippen zu finden, wenn man den Punkten zuſteuert, wo ſie auf den Karten angegeben ſind. Als wir dem vor- geblichen Maalſtrom nahe waren, konnten wir am Waſſer keine andere Bewegung bemerken, als eine Strömung nach Nord- weſt, die uns nicht ſo viel in Länge zurücklegen ließ, als wir 1 Die Karten von Jefferys und van Keulen geben vier Inſeln an, die nichts als eingebildete Gefahren ſind: die Inſeln Garca und Santa Anna, weſtlich von den Azoren, die Grüne Inſel (unter 14° 52′ Breite, 28° 30′ Länge) und die Inſel Fonſeco (unter 13° 15′ Breite, 57° 10′ Länge). Wie kann man an die Exiſtenz von vier Inſeln in von Tauſenden von Schiffen befahrenen Strichen glauben, da von ſo vielen kleinen Riffen und Untiefen, die ſeit hundert Jahren von leichtgläubigen Schiffern angegeben worden ſind, ſich kaum zwei oder drei bewahrheitet haben? Was die all- gemeine Frage betrifft, mit welchem Grade von Wahrſcheinlichkeit ſich annehmen läßt, daß zwiſchen Europa und Amerika eine auf 4 bis 5 km ſichtbare Inſel werde entdeckt werden, ſo könnte man ſie einer ſtrengen Rechnung unterwerfen, wenn man die Zahl der Fahrzeuge kennte, die ſeit dreihundert Jahren jährlich das Atlan- tiſche Meer befahren, und wenn man dabei die ungleiche Verteilung der Fahrzeuge in verſchiedenen Strichen berückſichtigte. Befände ſich der Maalſtrom, nach van Keulens Angabe, unter 16° Breite und 39° 30′ Länge, ſo wären wir am 4. Juli darüber wegge- fahren.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/151>, abgerufen am 28.04.2024.