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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks
bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückseligen Inseln
beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vul-
kan damals kein Feuer gespieen habe, wenn sich aus dem
Stillschweigen von Schriftstellern etwas schließen ließe, von
denen wir nichts besitzen als Bruchstücke und trockene Namen-
verzeichnisse. Umsonst sucht der Physiker in der Geschichte
Urkunden über die ältesten Ausbrüche des Piks; er findet
nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der
das Wort "Echeyde" 1 zugleich die Hölle und den Vulkan von
Tenerifa bedeutete.

Die älteste schriftliche Nachricht von der Thätigkeit des
Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem An-
fang des 16. Jahrhunderts. Sie findet sich in der Reise-
beschreibung 2 des Aloysio Cadamosto, der im Jahre 1505 auf
den Kanarien landete. Dieser Reisende war nicht selbst Zeuge
eines Ausbruches, er versichert aber bestimmt, der Berg brenne
fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer sei von Christen
gesehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa
lebten. Der Pik befand sich also damals nicht im Zustand
der Ruhe wie jetzt, denn es ist sicher, daß kein Reisender und
kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von
weitem sichtbaren Rauch, geschweige denn Flammen, hat ent-
steigen sehen. Es wäre vielleicht zu wünschen, daß der Schlund

1 Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn
(De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas
findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Diese
Ableitung ist höchst zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr
Wert, als sie bei den orientalischen Völkern haben, so findet man
Dyris fast ganz in Daran, wie die arabischen Geographen den
östlichen Teil des Atlasgebirges nennen.
2 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie
colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno
eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hi-
spanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intue-
antur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis
adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt
lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram ex-
cedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat,
instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti
aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio
ad terras incognitas c. 8.

Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks
bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückſeligen Inſeln
beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vul-
kan damals kein Feuer geſpieen habe, wenn ſich aus dem
Stillſchweigen von Schriftſtellern etwas ſchließen ließe, von
denen wir nichts beſitzen als Bruchſtücke und trockene Namen-
verzeichniſſe. Umſonſt ſucht der Phyſiker in der Geſchichte
Urkunden über die älteſten Ausbrüche des Piks; er findet
nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der
das Wort „Echeyde“ 1 zugleich die Hölle und den Vulkan von
Tenerifa bedeutete.

Die älteſte ſchriftliche Nachricht von der Thätigkeit des
Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem An-
fang des 16. Jahrhunderts. Sie findet ſich in der Reiſe-
beſchreibung 2 des Aloyſio Cadamoſto, der im Jahre 1505 auf
den Kanarien landete. Dieſer Reiſende war nicht ſelbſt Zeuge
eines Ausbruches, er verſichert aber beſtimmt, der Berg brenne
fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer ſei von Chriſten
geſehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa
lebten. Der Pik befand ſich alſo damals nicht im Zuſtand
der Ruhe wie jetzt, denn es iſt ſicher, daß kein Reiſender und
kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von
weitem ſichtbaren Rauch, geſchweige denn Flammen, hat ent-
ſteigen ſehen. Es wäre vielleicht zu wünſchen, daß der Schlund

1 Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn
(De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas
findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Dieſe
Ableitung iſt höchſt zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr
Wert, als ſie bei den orientaliſchen Völkern haben, ſo findet man
Dyris faſt ganz in Daran, wie die arabiſchen Geographen den
öſtlichen Teil des Atlasgebirges nennen.
2 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie
colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno
eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hi-
spanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intue-
antur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis
adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt
lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram ex-
cedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat,
instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti
aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio
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[103/0119] Tenerifa und den Schnee, der im Winter die Spitze des Piks bedeckt, am Namen Nivaria, der einer der glückſeligen Inſeln beigelegt wird. Man könnte danach annehmen, daß der Vul- kan damals kein Feuer geſpieen habe, wenn ſich aus dem Stillſchweigen von Schriftſtellern etwas ſchließen ließe, von denen wir nichts beſitzen als Bruchſtücke und trockene Namen- verzeichniſſe. Umſonſt ſucht der Phyſiker in der Geſchichte Urkunden über die älteſten Ausbrüche des Piks; er findet nirgends welche, außer in der Sprache der Guanchen, in der das Wort „Echeyde“ 1 zugleich die Hölle und den Vulkan von Tenerifa bedeutete. Die älteſte ſchriftliche Nachricht von der Thätigkeit des Vulkanes, die ich habe auffinden können, kommt aus dem An- fang des 16. Jahrhunderts. Sie findet ſich in der Reiſe- beſchreibung 2 des Aloyſio Cadamoſto, der im Jahre 1505 auf den Kanarien landete. Dieſer Reiſende war nicht ſelbſt Zeuge eines Ausbruches, er verſichert aber beſtimmt, der Berg brenne fortwährend gleich dem Aetna und das Feuer ſei von Chriſten geſehen worden, die als Sklaven der Guanchen auf Tenerifa lebten. Der Pik befand ſich alſo damals nicht im Zuſtand der Ruhe wie jetzt, denn es iſt ſicher, daß kein Reiſender und kein Einwohner von Tenerifa der Mündung des Piks von weitem ſichtbaren Rauch, geſchweige denn Flammen, hat ent- ſteigen ſehen. Es wäre vielleicht zu wünſchen, daß der Schlund 1 Der Berg hieß auch Aya-dyrma, in welchem Wort Horn (De Orig. Americ. p. 155 und 185) den alten Namen des Atlas findet, der nach Strabo, Plinius und Solinus Dyris war. Dieſe Ableitung iſt höchſt zweifelhaft; legt man auf die Vokale nicht mehr Wert, als ſie bei den orientaliſchen Völkern haben, ſo findet man Dyris faſt ganz in Daran, wie die arabiſchen Geographen den öſtlichen Teil des Atlasgebirges nennen. 2 Non silendum puto de insula Teneriffa quae et eximie colitur et inter orbis insulas est eminentior. Nam coelo sereno eminus conspicitur, adeo ut qui absunt ab ea ad leucas hi- spanas sexaginta vel septuaginta, non difficulter eam intue- antur. Quod cernatur a longe id efficit acuminatus lapis adamantinus, instar pyramidis, in medio. Qui metiti sunt lapidem ajunt altitudine leucarum quindecim mensuram ex- cedere ab imo ad summum verticem. Is lapis jugiter flagrat, instar Aetnae montis; id affirmant nostri Christiani qui capti aliquando haec animadvertere. Al. Cadamusti, Navigatio ad terras incognitas c. 8.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/119>, abgerufen am 29.03.2024.