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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859.

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hier in Absätzen warme Wasserdünste; wir sahen den Ther-
mometer darin auf 43,2° steigen; Labillardiere hatte acht
Jahre vor uns diese Dämpfe 53,7° heiß gefunden, ein Unter-
schied, der vielleicht nicht sowohl auf eine Abnahme der vul-
kanischen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechsel in der
Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe sind ge-
ruchlos und scheinen reines Wasser. Kurz vor dem großen
Ausbruch des Vesuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay-Lussac
und ich, daß das Wasser, das in Dampfform aus dem Inneren
des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann
übrigens der kühnen Hypothese mehrerer Physiker nicht bei-
stimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mün-
dungen eines ungeheuren Destillierapparates, dessen Boden
unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten sein sollen. Seit man
die Vulkane sorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunder-
baren sich in geologischen Büchern weniger bemerkbar macht,
fängt man an, den unmittelbaren beständigen Zusammenhang
zwischen dem Meere und den Herden des vulkanischen Feuers
mit Recht stark in Zweifel zu ziehen. 1 Diese durchaus nicht
auffallende Erscheinung erklärt sich wohl sehr einfach. Der
Pik ist einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir selbst
fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja
Odonnell und Armstrong haben im Jahre 1806 im Malpays
eine sehr starke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der
Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieser Quelle gespeist
wird. Alles weist also darauf hin, daß der Pik von Tenerifa,
gleich den Vulkanen der Anden und der Insel Luzon, im
Inneren große Höhlungen hat, die mit atmosphärischem Wasser
gefüllt sind, das einfach durchgesickert ist. Die Wasserdämpfe
welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausstoßen,
sind nichts als dieses selbe Wasser, das durch die Wände,
über die es fließt, erhitzt wird.


1 Diese Frage ist mit großem Scharfsinn von Breislack in
seiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und
der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Asche aus-
werfen sah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der
Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orleans vom Atlanti-
schen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall
ansehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über
74 km von der Meeresküste läge; aber die Hypothese, nach der das
Meerwasser von den Vulkanen aufgesogen, destilliert und zersetzt
würde, scheint mir sehr zweifelhaft.

hier in Abſätzen warme Waſſerdünſte; wir ſahen den Ther-
mometer darin auf 43,2° ſteigen; Labillardière hatte acht
Jahre vor uns dieſe Dämpfe 53,7° heiß gefunden, ein Unter-
ſchied, der vielleicht nicht ſowohl auf eine Abnahme der vul-
kaniſchen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechſel in der
Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe ſind ge-
ruchlos und ſcheinen reines Waſſer. Kurz vor dem großen
Ausbruch des Veſuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay-Luſſac
und ich, daß das Waſſer, das in Dampfform aus dem Inneren
des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann
übrigens der kühnen Hypotheſe mehrerer Phyſiker nicht bei-
ſtimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mün-
dungen eines ungeheuren Deſtillierapparates, deſſen Boden
unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten ſein ſollen. Seit man
die Vulkane ſorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunder-
baren ſich in geologiſchen Büchern weniger bemerkbar macht,
fängt man an, den unmittelbaren beſtändigen Zuſammenhang
zwiſchen dem Meere und den Herden des vulkaniſchen Feuers
mit Recht ſtark in Zweifel zu ziehen. 1 Dieſe durchaus nicht
auffallende Erſcheinung erklärt ſich wohl ſehr einfach. Der
Pik iſt einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir ſelbſt
fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja
Odonnell und Armſtrong haben im Jahre 1806 im Malpays
eine ſehr ſtarke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der
Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieſer Quelle geſpeiſt
wird. Alles weiſt alſo darauf hin, daß der Pik von Tenerifa,
gleich den Vulkanen der Anden und der Inſel Luzon, im
Inneren große Höhlungen hat, die mit atmoſphäriſchem Waſſer
gefüllt ſind, das einfach durchgeſickert iſt. Die Waſſerdämpfe
welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausſtoßen,
ſind nichts als dieſes ſelbe Waſſer, das durch die Wände,
über die es fließt, erhitzt wird.


1 Dieſe Frage iſt mit großem Scharfſinn von Breislack in
ſeiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und
der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Aſche aus-
werfen ſah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der
Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orléans vom Atlanti-
ſchen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall
anſehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über
74 km von der Meeresküſte läge; aber die Hypotheſe, nach der das
Meerwaſſer von den Vulkanen aufgeſogen, deſtilliert und zerſetzt
würde, ſcheint mir ſehr zweifelhaft.
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[85/0101] hier in Abſätzen warme Waſſerdünſte; wir ſahen den Ther- mometer darin auf 43,2° ſteigen; Labillardière hatte acht Jahre vor uns dieſe Dämpfe 53,7° heiß gefunden, ein Unter- ſchied, der vielleicht nicht ſowohl auf eine Abnahme der vul- kaniſchen Thätigkeit als auf einen lokalen Wechſel in der Erhitzung der Bergwände hindeutet. Die Dämpfe ſind ge- ruchlos und ſcheinen reines Waſſer. Kurz vor dem großen Ausbruch des Veſuvs im Jahre 1806 beobachteten Gay-Luſſac und ich, daß das Waſſer, das in Dampfform aus dem Inneren des Kraters kommt, Lackmuspapier nicht rötete. Ich kann übrigens der kühnen Hypotheſe mehrerer Phyſiker nicht bei- ſtimmen, wonach die Naslöcher des Piks als die Mün- dungen eines ungeheuren Deſtillierapparates, deſſen Boden unter der Meeresfläche liegt, zu betrachten ſein ſollen. Seit man die Vulkane ſorgfältiger beobachtet und der Hang zum Wunder- baren ſich in geologiſchen Büchern weniger bemerkbar macht, fängt man an, den unmittelbaren beſtändigen Zuſammenhang zwiſchen dem Meere und den Herden des vulkaniſchen Feuers mit Recht ſtark in Zweifel zu ziehen. 1 Dieſe durchaus nicht auffallende Erſcheinung erklärt ſich wohl ſehr einfach. Der Pik iſt einen Teil des Jahres mit Schnee bedeckt; wir ſelbſt fanden noch welchen auf der kleinen Ebene Rambleta; ja Odonnell und Armſtrong haben im Jahre 1806 im Malpays eine ſehr ſtarke Quelle entdeckt, und zwar 195 m über der Eishöhle, die vielleicht zum Teil von dieſer Quelle geſpeiſt wird. Alles weiſt alſo darauf hin, daß der Pik von Tenerifa, gleich den Vulkanen der Anden und der Inſel Luzon, im Inneren große Höhlungen hat, die mit atmoſphäriſchem Waſſer gefüllt ſind, das einfach durchgeſickert iſt. Die Waſſerdämpfe welche die Naslöcher und die Spalten im Krater ausſtoßen, ſind nichts als dieſes ſelbe Waſſer, das durch die Wände, über die es fließt, erhitzt wird. 1 Dieſe Frage iſt mit großem Scharfſinn von Breislack in ſeiner Introduzzione alla Geologia erörtert. Der Cotopaxi und der Popocatepetl, die ich im Jahre 1804 Rauch und Aſche aus- werfen ſah, liegen weiter vom Großen Ozean und dem Meere der Antillen als Grenoble vom Mittelmeer und Orléans vom Atlanti- ſchen Meer. Man kann es allerdings nicht als einen bloßen Zufall anſehen, daß man keinen thätigen Vulkan entdeckt hat, der über 74 km von der Meeresküſte läge; aber die Hypotheſe, nach der das Meerwaſſer von den Vulkanen aufgeſogen, deſtilliert und zerſetzt würde, ſcheint mir ſehr zweifelhaft.

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Übers. v. Hermann Hauff. Bd. 1. Stuttgart, 1859, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial01_1859/101>, abgerufen am 20.04.2024.