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Huber, Franz C.: Die Geschichtliche Entwickelung des modernen Verkehrs. Tübingen, 1893.

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lässt, und den ihren Unterhalt übersteigenden "Mehrwert" vor-
wegnimmt 1).

Die Herrschaft aber über die anderen Völker hat, wer die
Welthandelsstrasse besitzt. Auch diese politische Seite
kann man an den beiden Haupt-Fahrbahnen, an den Wasser-
wegen und an der Eisenbahnroute deutlich verfolgen.

Früher nämlich als der Landverkehr (des Binnenlandes) ent-
wickelt sich -- naturgemäss -- der Wasserverkehr, für welchen
die Fahrbahn (und der Motor) schon von der Natur geschaffen
ist. Auf diesem Verhältnis beruht die kulturgeographische Be-
deutung der grossen historischen Flüsse: es war sehr lohnend,
von der See aus bergauf zu fahren und in das Innere einzu-
dringen; die Thalfahrt war leicht; daraus ergab sich von selbst
(Tour und Retourfahrt oder) das Hauptmoment des Verkehrs, die
Regelmässigkeit 2); aber daneben auch das der Billigkeit,

1) Aus dieser früheren Abhängigkeit des maritimen Zwischenhandels --
die solidere Unterlage einer nationalen Industrie gewann er erst im 19. Jhh.
und zwar in England -- erklärt sich das rasche Aufblühen, aber auch der
rasche und totale Verfall aller Handelsstaaten und Handelsstädte, sobald
der Spekulationshandel nicht mehr möglich ist oder nicht mehr rentiert.
Im Altertum waren zudem alle blühenden Staaten Raubstaaten, (vor
allem Rom und Athen): damit, wie mit der unvermeidlichen Sittenverderbnis
mag es zusammenhängen, dass alle grossartigen Ruinen des Altertums nur
in der Wüstestehen
; Palmyra und Persepolis, Tyrus und Karthago,
Puteoli und Selinunt, Athen und Rom (Campagna: es ist, als ob der Fluch
der Götter laste auf dem Boden, der ihre Tempel untergehen sah).
Nicht viel besser stand es zur Zeit der Blüte und steht es demzufolge
auch heutzutage mit den mittelalterlichen Städterepubliken: "la bella Ve-
nezia" zählt heute bei 150,000 Einw. 25,000 Unterstützungsbedürftige.
2) Das Vorbild für die Regelmässigkeit eines Nachrichtendienstes dürfte
zuerst nicht der Land-, sondern der Seeverkehr gegeben haben. Frühzeitig
musste sich für alle Seestaaten, aus politischen und militärischen Gründen
das Bedürfnis ergeben, mit ihren überseeischen Besitzungen in ständigem
Kontakt zu sein, gleichzeitig aber für die hiezu erforderliche Aussendung
von -- Monate ausbleibenden -- Schiffen aber eine gewisse Ordnung,
einen Kurs aufzustellen. Zugleich übt naturgemäss auch auf den binnen-
ländischen
Botendienst jeder Abgang und jede Ankunft eines den
Fernverkehr vermittelnden Schiffes eine gewisse Rückwirkung aus; schliess-
lich wird der Vorgang der Post-Schiffe zur Nachahmung der gleichen Regel-
mässigkeit anreizen. Thatsächlich hatten die römischen Kaiser "naves va-
gae" (lt. einem 1875 in Ostia aufgefundenen Gedenkstein für einen pro-

lässt, und den ihren Unterhalt übersteigenden »Mehrwert« vor-
wegnimmt 1).

Die Herrschaft aber über die anderen Völker hat, wer die
Welthandelsstrasse besitzt. Auch diese politische Seite
kann man an den beiden Haupt-Fahrbahnen, an den Wasser-
wegen und an der Eisenbahnroute deutlich verfolgen.

Früher nämlich als der Landverkehr (des Binnenlandes) ent-
wickelt sich — naturgemäss — der Wasserverkehr, für welchen
die Fahrbahn (und der Motor) schon von der Natur geschaffen
ist. Auf diesem Verhältnis beruht die kulturgeographische Be-
deutung der grossen historischen Flüsse: es war sehr lohnend,
von der See aus bergauf zu fahren und in das Innere einzu-
dringen; die Thalfahrt war leicht; daraus ergab sich von selbst
(Tour und Retourfahrt oder) das Hauptmoment des Verkehrs, die
Regelmässigkeit 2); aber daneben auch das der Billigkeit,

1) Aus dieser früheren Abhängigkeit des maritimen Zwischenhandels —
die solidere Unterlage einer nationalen Industrie gewann er erst im 19. Jhh.
und zwar in England — erklärt sich das rasche Aufblühen, aber auch der
rasche und totale Verfall aller Handelsstaaten und Handelsstädte, sobald
der Spekulationshandel nicht mehr möglich ist oder nicht mehr rentiert.
Im Altertum waren zudem alle blühenden Staaten Raubstaaten, (vor
allem Rom und Athen): damit, wie mit der unvermeidlichen Sittenverderbnis
mag es zusammenhängen, dass alle grossartigen Ruinen des Altertums nur
in der Wüstestehen
; Palmyra und Persepolis, Tyrus und Karthago,
Puteoli und Selinunt, Athen und Rom (Campagna: es ist, als ob der Fluch
der Götter laste auf dem Boden, der ihre Tempel untergehen sah).
Nicht viel besser stand es zur Zeit der Blüte und steht es demzufolge
auch heutzutage mit den mittelalterlichen Städterepubliken: »la bella Ve-
nezia« zählt heute bei 150,000 Einw. 25,000 Unterstützungsbedürftige.
2) Das Vorbild für die Regelmässigkeit eines Nachrichtendienstes dürfte
zuerst nicht der Land-, sondern der Seeverkehr gegeben haben. Frühzeitig
musste sich für alle Seestaaten, aus politischen und militärischen Gründen
das Bedürfnis ergeben, mit ihren überseeischen Besitzungen in ständigem
Kontakt zu sein, gleichzeitig aber für die hiezu erforderliche Aussendung
von — Monate ausbleibenden — Schiffen aber eine gewisse Ordnung,
einen Kurs aufzustellen. Zugleich übt naturgemäss auch auf den binnen-
ländischen
Botendienst jeder Abgang und jede Ankunft eines den
Fernverkehr vermittelnden Schiffes eine gewisse Rückwirkung aus; schliess-
lich wird der Vorgang der Post-Schiffe zur Nachahmung der gleichen Regel-
mässigkeit anreizen. Thatsächlich hatten die römischen Kaiser »naves va-
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[135/0151] lässt, und den ihren Unterhalt übersteigenden »Mehrwert« vor- wegnimmt 1). Die Herrschaft aber über die anderen Völker hat, wer die Welthandelsstrasse besitzt. Auch diese politische Seite kann man an den beiden Haupt-Fahrbahnen, an den Wasser- wegen und an der Eisenbahnroute deutlich verfolgen. Früher nämlich als der Landverkehr (des Binnenlandes) ent- wickelt sich — naturgemäss — der Wasserverkehr, für welchen die Fahrbahn (und der Motor) schon von der Natur geschaffen ist. Auf diesem Verhältnis beruht die kulturgeographische Be- deutung der grossen historischen Flüsse: es war sehr lohnend, von der See aus bergauf zu fahren und in das Innere einzu- dringen; die Thalfahrt war leicht; daraus ergab sich von selbst (Tour und Retourfahrt oder) das Hauptmoment des Verkehrs, die Regelmässigkeit 2); aber daneben auch das der Billigkeit, 1) Aus dieser früheren Abhängigkeit des maritimen Zwischenhandels — die solidere Unterlage einer nationalen Industrie gewann er erst im 19. Jhh. und zwar in England — erklärt sich das rasche Aufblühen, aber auch der rasche und totale Verfall aller Handelsstaaten und Handelsstädte, sobald der Spekulationshandel nicht mehr möglich ist oder nicht mehr rentiert. Im Altertum waren zudem alle blühenden Staaten Raubstaaten, (vor allem Rom und Athen): damit, wie mit der unvermeidlichen Sittenverderbnis mag es zusammenhängen, dass alle grossartigen Ruinen des Altertums nur in der Wüstestehen; Palmyra und Persepolis, Tyrus und Karthago, Puteoli und Selinunt, Athen und Rom (Campagna: es ist, als ob der Fluch der Götter laste auf dem Boden, der ihre Tempel untergehen sah). Nicht viel besser stand es zur Zeit der Blüte und steht es demzufolge auch heutzutage mit den mittelalterlichen Städterepubliken: »la bella Ve- nezia« zählt heute bei 150,000 Einw. 25,000 Unterstützungsbedürftige. 2) Das Vorbild für die Regelmässigkeit eines Nachrichtendienstes dürfte zuerst nicht der Land-, sondern der Seeverkehr gegeben haben. Frühzeitig musste sich für alle Seestaaten, aus politischen und militärischen Gründen das Bedürfnis ergeben, mit ihren überseeischen Besitzungen in ständigem Kontakt zu sein, gleichzeitig aber für die hiezu erforderliche Aussendung von — Monate ausbleibenden — Schiffen aber eine gewisse Ordnung, einen Kurs aufzustellen. Zugleich übt naturgemäss auch auf den binnen- ländischen Botendienst jeder Abgang und jede Ankunft eines den Fernverkehr vermittelnden Schiffes eine gewisse Rückwirkung aus; schliess- lich wird der Vorgang der Post-Schiffe zur Nachahmung der gleichen Regel- mässigkeit anreizen. Thatsächlich hatten die römischen Kaiser »naves va- gae« (lt. einem 1875 in Ostia aufgefundenen Gedenkstein für einen pro-

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Zitationshilfe: Huber, Franz C.: Die Geschichtliche Entwickelung des modernen Verkehrs. Tübingen, 1893, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_verkehr_1893/151>, abgerufen am 30.04.2024.