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Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862.

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Heiligen Geistes hervorgehobenen Erscheinungen, welche mit dem
gleichsam technischen Ausdruck "being struck" *) bezeichnet wurden,
Grund zu den schlimmsten Deutungen. Nach Verlauf von etwa
neun bis zehn Monaten nahm die Bewegung in ihrem ursprüng-
lichen Sitz allmählich einen viel ruhigeren Charakter an und wenn
sie auch keineswegs aufhörte, so zog sie wenigstens in ihren äußeren
Erscheinungen nicht länger die Beachtung in weiteren Kreisen und
so auch bei uns auf sich. Gleichzeitig aber verbreitete sich das
Revival theils in Jrland selbst und sogar auf römischem Gebiet,
wenn auch langsam und in äußerlich sehr abgeschwächter Form,
theils zunächst und besonders in Wales, dann in Schottland und
bald auch in England. Hier war die Entwicklung und ist sie bis
auf diesen Augenblick eine sprungweise, sporadische -- je nachdem zu-
nächst von Jrland aus durch einzelne von dort zurückgekehrte Gläu-
bige Funken jenes Feuers verbreitet wurden, dann theils durch
ähnliche Verbreitung aus diesem neuen Herde, theils durch allmähliche
Ausdehnung jedes einzelnen Herdes, endlich auch mehr regelmäßig
durch eine bestimmtere Organisation der zu einer aktiven Betheiligung
geeigneten und angeregten Kräfte. Dieses letztere Stadium erreichte
die Bewegung besonders, seit sie sich an die Erweckung und Be-
kehrung der gewaltigen Weltstadt an der Themse zu wagen den
Muth fand. Was in diesem Sinne zunächst für den Kampf in
London selbst geschah, das wurde zugleich aus nahe liegenden Grün-
den mehr oder weniger Mittelpunkt der ganzen Bewegung, die sich
denn bald wie ein mehr oder weniger weit geflochtenes Netz mit
seinen einzelnen Knoten über das ganze weite Gebiet der britischen
See- und Colonialwelt verbreitete, so daß wenigstens einzelne Herde
des Brandes kaum in einer der bedeutenderen Ansiedelungen, weder
in West- noch Ostindien, noch in China, noch in Australien und
der Südsee fehlen. Dazu kommt denn, daß namentlich in London
selbst die Revivalbewegung sich allmählich mehr oder weniger mit
anderen Strömungen der christlichen Liebesarbeit in den unteren
und am meisten verwahrlosten socialen Schichten vermischte, so daß

*) Es ist kaum möglich, einen etymologisch ganz genügenden deutschen Ausdruck
dafür zu geben und ein Sprachgebrauch hat sich bei uns begreiflich darüber
noch nicht gebildet. "Befall" oder "Befallenwerden" dürfte am
ehesten entsprechen. Auch kurzweg "cases", Fälle, kommt sehr oft vor.

Heiligen Geiſtes hervorgehobenen Erſcheinungen, welche mit dem
gleichſam techniſchen Ausdruck „being struck‟ *) bezeichnet wurden,
Grund zu den ſchlimmſten Deutungen. Nach Verlauf von etwa
neun bis zehn Monaten nahm die Bewegung in ihrem urſprüng-
lichen Sitz allmählich einen viel ruhigeren Charakter an und wenn
ſie auch keineswegs aufhörte, ſo zog ſie wenigſtens in ihren äußeren
Erſcheinungen nicht länger die Beachtung in weiteren Kreiſen und
ſo auch bei uns auf ſich. Gleichzeitig aber verbreitete ſich das
Revival theils in Jrland ſelbſt und ſogar auf römiſchem Gebiet,
wenn auch langſam und in äußerlich ſehr abgeſchwächter Form,
theils zunächſt und beſonders in Wales, dann in Schottland und
bald auch in England. Hier war die Entwicklung und iſt ſie bis
auf dieſen Augenblick eine ſprungweiſe, ſporadiſche — je nachdem zu-
nächſt von Jrland aus durch einzelne von dort zurückgekehrte Gläu-
bige Funken jenes Feuers verbreitet wurden, dann theils durch
ähnliche Verbreitung aus dieſem neuen Herde, theils durch allmähliche
Ausdehnung jedes einzelnen Herdes, endlich auch mehr regelmäßig
durch eine beſtimmtere Organiſation der zu einer aktiven Betheiligung
geeigneten und angeregten Kräfte. Dieſes letztere Stadium erreichte
die Bewegung beſonders, ſeit ſie ſich an die Erweckung und Be-
kehrung der gewaltigen Weltſtadt an der Themſe zu wagen den
Muth fand. Was in dieſem Sinne zunächſt für den Kampf in
London ſelbſt geſchah, das wurde zugleich aus nahe liegenden Grün-
den mehr oder weniger Mittelpunkt der ganzen Bewegung, die ſich
denn bald wie ein mehr oder weniger weit geflochtenes Netz mit
ſeinen einzelnen Knoten über das ganze weite Gebiet der britiſchen
See- und Colonialwelt verbreitete, ſo daß wenigſtens einzelne Herde
des Brandes kaum in einer der bedeutenderen Anſiedelungen, weder
in Weſt- noch Oſtindien, noch in China, noch in Auſtralien und
der Südſee fehlen. Dazu kommt denn, daß namentlich in London
ſelbſt die Revivalbewegung ſich allmählich mehr oder weniger mit
anderen Strömungen der chriſtlichen Liebesarbeit in den unteren
und am meiſten verwahrloſten ſocialen Schichten vermiſchte, ſo daß

*) Es iſt kaum möglich, einen etymologiſch ganz genügenden deutſchen Ausdruck
dafür zu geben und ein Sprachgebrauch hat ſich bei uns begreiflich darüber
noch nicht gebildet. „Befall‟ oder „Befallenwerden‟ dürfte am
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[8/0014] Heiligen Geiſtes hervorgehobenen Erſcheinungen, welche mit dem gleichſam techniſchen Ausdruck „being struck‟ *) bezeichnet wurden, Grund zu den ſchlimmſten Deutungen. Nach Verlauf von etwa neun bis zehn Monaten nahm die Bewegung in ihrem urſprüng- lichen Sitz allmählich einen viel ruhigeren Charakter an und wenn ſie auch keineswegs aufhörte, ſo zog ſie wenigſtens in ihren äußeren Erſcheinungen nicht länger die Beachtung in weiteren Kreiſen und ſo auch bei uns auf ſich. Gleichzeitig aber verbreitete ſich das Revival theils in Jrland ſelbſt und ſogar auf römiſchem Gebiet, wenn auch langſam und in äußerlich ſehr abgeſchwächter Form, theils zunächſt und beſonders in Wales, dann in Schottland und bald auch in England. Hier war die Entwicklung und iſt ſie bis auf dieſen Augenblick eine ſprungweiſe, ſporadiſche — je nachdem zu- nächſt von Jrland aus durch einzelne von dort zurückgekehrte Gläu- bige Funken jenes Feuers verbreitet wurden, dann theils durch ähnliche Verbreitung aus dieſem neuen Herde, theils durch allmähliche Ausdehnung jedes einzelnen Herdes, endlich auch mehr regelmäßig durch eine beſtimmtere Organiſation der zu einer aktiven Betheiligung geeigneten und angeregten Kräfte. Dieſes letztere Stadium erreichte die Bewegung beſonders, ſeit ſie ſich an die Erweckung und Be- kehrung der gewaltigen Weltſtadt an der Themſe zu wagen den Muth fand. Was in dieſem Sinne zunächſt für den Kampf in London ſelbſt geſchah, das wurde zugleich aus nahe liegenden Grün- den mehr oder weniger Mittelpunkt der ganzen Bewegung, die ſich denn bald wie ein mehr oder weniger weit geflochtenes Netz mit ſeinen einzelnen Knoten über das ganze weite Gebiet der britiſchen See- und Colonialwelt verbreitete, ſo daß wenigſtens einzelne Herde des Brandes kaum in einer der bedeutenderen Anſiedelungen, weder in Weſt- noch Oſtindien, noch in China, noch in Auſtralien und der Südſee fehlen. Dazu kommt denn, daß namentlich in London ſelbſt die Revivalbewegung ſich allmählich mehr oder weniger mit anderen Strömungen der chriſtlichen Liebesarbeit in den unteren und am meiſten verwahrloſten ſocialen Schichten vermiſchte, ſo daß *) Es iſt kaum möglich, einen etymologiſch ganz genügenden deutſchen Ausdruck dafür zu geben und ein Sprachgebrauch hat ſich bei uns begreiflich darüber noch nicht gebildet. „Befall‟ oder „Befallenwerden‟ dürfte am eheſten entſprechen. Auch kurzweg „cases‟, Fälle, kommt ſehr oft vor.

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Zitationshilfe: Huber, Victor Aimé: Sieben Briefe über englisches Revival und deutsche Erweckung. Frankfurt (Main), 1862, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_revival_1862/14>, abgerufen am 29.03.2024.