schmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie der runde Thurm, das hohe Gewölbe des Mittel- alters, noch die vollendete Säule der Vorzeit.
Der widrige Wind und die Saumseligkeit der Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe gorge übernachteten, wie ich sie auf meinen weit- läuftigen Kreuz- und Queerzügen nie widriger antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den Leuten ganz fremd, die Forderung von Waschwas- ser und dergleichen Toilettenbedürfnissen behandel- ten sie wie einen völlig ungereimten Einfall, und ein Frühstück, das wir um halb drei Uhr haben wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah- ren im Sinne hatten, schlugen sie uns geradezu ab, weil so früh niemand Feuer mache. Da des Menschen einziger wahrer Besitz Erfahrung ist, stiegen wir, sehr bereichert an diesem Schatz, aber mit sehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf unser Verdeck. Der Mond sank [g]egen das west- liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm vorüber, durch die er zuweile[n] wehmüthig und glanzlos durchblickte, bis er [e]ndlich, selbst einer blassen Wolke gleich vor einer gelblichen strahlen-
ſchmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie der runde Thurm, das hohe Gewoͤlbe des Mittel- alters, noch die vollendete Saͤule der Vorzeit.
Der widrige Wind und die Saumſeligkeit der Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe gorge uͤbernachteten, wie ich ſie auf meinen weit- laͤuftigen Kreuz- und Queerzuͤgen nie widriger antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den Leuten ganz fremd, die Forderung von Waſchwaſ- ſer und dergleichen Toilettenbeduͤrfniſſen behandel- ten ſie wie einen voͤllig ungereimten Einfall, und ein Fruͤhſtuͤck, das wir um halb drei Uhr haben wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah- ren im Sinne hatten, ſchlugen ſie uns geradezu ab, weil ſo fruͤh niemand Feuer mache. Da des Menſchen einziger wahrer Beſitz Erfahrung iſt, ſtiegen wir, ſehr bereichert an dieſem Schatz, aber mit ſehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf unſer Verdeck. Der Mond ſank [g]egen das weſt- liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm voruͤber, durch die er zuweile[n] wehmuͤthig und glanzlos durchblickte, bis er [e]ndlich, ſelbſt einer blaſſen Wolke gleich vor einer gelblichen ſtrahlen-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0067"n="53"/>ſchmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer<lb/>
einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie<lb/>
der runde Thurm, das hohe Gewoͤlbe des Mittel-<lb/>
alters, noch die vollendete Saͤule der Vorzeit.</p><lb/><p>Der widrige Wind und die Saumſeligkeit der<lb/>
Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo<lb/>
wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und <hirendition="#aq">coupe<lb/>
gorge</hi> uͤbernachteten, wie ich ſie auf meinen weit-<lb/>
laͤuftigen Kreuz- und Queerzuͤgen nie widriger<lb/>
antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den<lb/>
Leuten ganz fremd, die Forderung von Waſchwaſ-<lb/>ſer und dergleichen Toilettenbeduͤrfniſſen behandel-<lb/>
ten ſie wie einen voͤllig ungereimten Einfall, und<lb/>
ein Fruͤhſtuͤck, das wir um halb drei Uhr haben<lb/>
wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah-<lb/>
ren im Sinne hatten, ſchlugen ſie uns geradezu<lb/>
ab, weil ſo fruͤh niemand Feuer mache. Da des<lb/>
Menſchen einziger wahrer Beſitz Erfahrung iſt,<lb/>ſtiegen wir, ſehr bereichert an dieſem Schatz, aber<lb/>
mit ſehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf<lb/>
unſer Verdeck. Der Mond ſank <supplied>g</supplied>egen das weſt-<lb/>
liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm<lb/>
voruͤber, durch die er zuweile<supplied>n</supplied> wehmuͤthig und<lb/>
glanzlos durchblickte, bis er <supplied>e</supplied>ndlich, ſelbſt einer<lb/>
blaſſen Wolke gleich vor einer gelblichen ſtrahlen-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[53/0067]
ſchmerzlich aufdringt was ihr fehlt, keines ihrer
einzelnen Theile giebt ein vollendetes Bild wie
der runde Thurm, das hohe Gewoͤlbe des Mittel-
alters, noch die vollendete Saͤule der Vorzeit.
Der widrige Wind und die Saumſeligkeit der
Schiffleute ließ uns nur bis Boppart kommen, wo
wir in einer Schenke, Krug, Kneipe und coupe
gorge uͤbernachteten, wie ich ſie auf meinen weit-
laͤuftigen Kreuz- und Queerzuͤgen nie widriger
antraf. Der Begriff von einem Bettzeug war den
Leuten ganz fremd, die Forderung von Waſchwaſ-
ſer und dergleichen Toilettenbeduͤrfniſſen behandel-
ten ſie wie einen voͤllig ungereimten Einfall, und
ein Fruͤhſtuͤck, das wir um halb drei Uhr haben
wollten, weil die Schiffer um drei Uhr abzufah-
ren im Sinne hatten, ſchlugen ſie uns geradezu
ab, weil ſo fruͤh niemand Feuer mache. Da des
Menſchen einziger wahrer Beſitz Erfahrung iſt,
ſtiegen wir, ſehr bereichert an dieſem Schatz, aber
mit ſehr leerem Magen um drei Uhr wieder auf
unſer Verdeck. Der Mond ſank gegen das weſt-
liche Ufer hinab, dunkle Wolker gingen vor ihm
voruͤber, durch die er zuweilen wehmuͤthig und
glanzlos durchblickte, bis er endlich, ſelbſt einer
blaſſen Wolke gleich vor einer gelblichen ſtrahlen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.