dann bemerkte ich in einer Reihe etwas größerer Fenster die Halle, wo in roher Lust die Becher klangen, und erblickte im fernen Bethäuschen, dessen Kreuz hinter dem Felsen hervorsteht, den frommen Klausner, der die Hora läutend, durch die Kluft her den Becherklang hört, indeß der Ton seiner Glocke unten am Ufer einem Sterben- den, oder im Schloßkerker einem Unterdrückten Trost und Stärkung giebt. Mir ward ganz un- heimlich bei der Lebhaftigkeit meiner Vorstellun- gen. Ich sah den Rhein herauf, wie der un- glückliche Kaiser Heinrich in Speier den niedern Dienst eines Kirchenknechts, um seinen Unterhalt zu sichern, vergeblich flehte, ich sah hinab, und erblickte seinen Leichnam unbegraben in Lüttich stehen, sah jede einzelne Völkerschaft Deutsch- lands mit der andern in Krieg die Abgründe er- weitern, die endlich das Volk einer Sprache zu den unversöhnlichsten Feinden gemacht hat, die insgesammt tief gesunken, sich noch mit ihren eig- nen Fesseln zerfleischen. -- Unwillig wandte ich mein Gesicht ab -- nicht von jenen Zeiten, die in der Kette der Dinge klar dastehen, aber über jene Menschen, die uns jene Zeiten als das Blütheal- ter der Nation vorstellen. Welche herrliche Blü-
dann bemerkte ich in einer Reihe etwas groͤßerer Fenſter die Halle, wo in roher Luſt die Becher klangen, und erblickte im fernen Bethaͤuschen, deſſen Kreuz hinter dem Felſen hervorſteht, den frommen Klausner, der die Hora laͤutend, durch die Kluft her den Becherklang hoͤrt, indeß der Ton ſeiner Glocke unten am Ufer einem Sterben- den, oder im Schloßkerker einem Unterdruͤckten Troſt und Staͤrkung giebt. Mir ward ganz un- heimlich bei der Lebhaftigkeit meiner Vorſtellun- gen. Ich ſah den Rhein herauf, wie der un- gluͤckliche Kaiſer Heinrich in Speier den niedern Dienſt eines Kirchenknechts, um ſeinen Unterhalt zu ſichern, vergeblich flehte, ich ſah hinab, und erblickte ſeinen Leichnam unbegraben in Luͤttich ſtehen, ſah jede einzelne Voͤlkerſchaft Deutſch- lands mit der andern in Krieg die Abgruͤnde er- weitern, die endlich das Volk einer Sprache zu den unverſoͤhnlichſten Feinden gemacht hat, die insgeſammt tief geſunken, ſich noch mit ihren eig- nen Feſſeln zerfleiſchen. — Unwillig wandte ich mein Geſicht ab — nicht von jenen Zeiten, die in der Kette der Dinge klar daſtehen, aber uͤber jene Menſchen, die uns jene Zeiten als das Bluͤtheal- ter der Nation vorſtellen. Welche herrliche Bluͤ-
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dann bemerkte ich in einer Reihe etwas groͤßerer
Fenſter die Halle, wo in roher Luſt die Becher
klangen, und erblickte im fernen Bethaͤuschen,
deſſen Kreuz hinter dem Felſen hervorſteht, den
frommen Klausner, der die Hora laͤutend, durch
die Kluft her den Becherklang hoͤrt, indeß der
Ton ſeiner Glocke unten am Ufer einem Sterben-
den, oder im Schloßkerker einem Unterdruͤckten
Troſt und Staͤrkung giebt. Mir ward ganz un-
heimlich bei der Lebhaftigkeit meiner Vorſtellun-
gen. Ich ſah den Rhein herauf, wie der un-
gluͤckliche Kaiſer Heinrich in Speier den niedern
Dienſt eines Kirchenknechts, um ſeinen Unterhalt
zu ſichern, vergeblich flehte, ich ſah hinab, und
erblickte ſeinen Leichnam unbegraben in Luͤttich
ſtehen, ſah jede einzelne Voͤlkerſchaft Deutſch-
lands mit der andern in Krieg die Abgruͤnde er-
weitern, die endlich das Volk einer Sprache zu
den unverſoͤhnlichſten Feinden gemacht hat, die
insgeſammt tief geſunken, ſich noch mit ihren eig-
nen Feſſeln zerfleiſchen. — Unwillig wandte ich
mein Geſicht ab — nicht von jenen Zeiten, die in
der Kette der Dinge klar daſtehen, aber uͤber jene
Menſchen, die uns jene Zeiten als das Bluͤtheal-
ter der Nation vorſtellen. Welche herrliche Bluͤ-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/64>, abgerufen am 24.11.2024.
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