Gestaltungen von Steinmassen, alle durch eine mächtige Zerstörung nach regelmäßigen Gesetzen ge- lagert. Die schwarzen Schluchten der Schiefer- berge, die dichten Schichten festen Gesteins, die Zacken des Kalkfelsens, stehen jetzt alle frei und von dem Hintergrunde getrennt vor mir. Die al- ten Gemäuer haben einen Hintergrund an den hö- hern Hügeln. Die Hütten und Häuser der Dörfer stehen in einer Entfernung, wo ihre Armseligkeit sich mir nicht aufdringt, ihre Details mich nicht in die Mühseligkeit des schweren Lebens ihrer Bewohner hinein ziehn.
Das Schönste, was wir sehen, was wir em- pfinden, bleibt immer unbeschreiblich, und daher kann ich euch weniges von diesem Wege sagen, den ich in einer eigenen Stimmung machte. Es waren zwei Wesen in mir, das eine sah die Welt und sprach von ihr, das andere sah sie und schwieg. O, wie hätte das auch sprechen können! Wenn mich der Anblick der alten Schlösser vor einigen Monaten vom Rhein aus so lebhaft an die Ritter- zeit erinnerte, so bereicherte die nähere Ansicht ihrer Trümmer auf der Landfahrt meine Fantasie mit Bildern der verschiedensten Zeiten. In einigen der kleinen Städtchen längs dem Ufer, in Ander-
Geſtaltungen von Steinmaſſen, alle durch eine maͤchtige Zerſtoͤrung nach regelmaͤßigen Geſetzen ge- lagert. Die ſchwarzen Schluchten der Schiefer- berge, die dichten Schichten feſten Geſteins, die Zacken des Kalkfelſens, ſtehen jetzt alle frei und von dem Hintergrunde getrennt vor mir. Die al- ten Gemaͤuer haben einen Hintergrund an den hoͤ- hern Huͤgeln. Die Huͤtten und Haͤuſer der Doͤrfer ſtehen in einer Entfernung, wo ihre Armſeligkeit ſich mir nicht aufdringt, ihre Details mich nicht in die Muͤhſeligkeit des ſchweren Lebens ihrer Bewohner hinein ziehn.
Das Schoͤnſte, was wir ſehen, was wir em- pfinden, bleibt immer unbeſchreiblich, und daher kann ich euch weniges von dieſem Wege ſagen, den ich in einer eigenen Stimmung machte. Es waren zwei Weſen in mir, das eine ſah die Welt und ſprach von ihr, das andere ſah ſie und ſchwieg. O, wie haͤtte das auch ſprechen koͤnnen! Wenn mich der Anblick der alten Schloͤſſer vor einigen Monaten vom Rhein aus ſo lebhaft an die Ritter- zeit erinnerte, ſo bereicherte die naͤhere Anſicht ihrer Truͤmmer auf der Landfahrt meine Fantaſie mit Bildern der verſchiedenſten Zeiten. In einigen der kleinen Staͤdtchen laͤngs dem Ufer, in Ander-
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Geſtaltungen von Steinmaſſen, alle durch eine
maͤchtige Zerſtoͤrung nach regelmaͤßigen Geſetzen ge-
lagert. Die ſchwarzen Schluchten der Schiefer-
berge, die dichten Schichten feſten Geſteins, die
Zacken des Kalkfelſens, ſtehen jetzt alle frei und
von dem Hintergrunde getrennt vor mir. Die al-
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hern Huͤgeln. Die Huͤtten und Haͤuſer der Doͤrfer
ſtehen in einer Entfernung, wo ihre Armſeligkeit
ſich mir nicht aufdringt, ihre Details mich nicht
in die Muͤhſeligkeit des ſchweren Lebens ihrer
Bewohner hinein ziehn.
Das Schoͤnſte, was wir ſehen, was wir em-
pfinden, bleibt immer unbeſchreiblich, und daher
kann ich euch weniges von dieſem Wege ſagen, den
ich in einer eigenen Stimmung machte. Es waren
zwei Weſen in mir, das eine ſah die Welt und
ſprach von ihr, das andere ſah ſie und ſchwieg.
O, wie haͤtte das auch ſprechen koͤnnen! Wenn
mich der Anblick der alten Schloͤſſer vor einigen
Monaten vom Rhein aus ſo lebhaft an die Ritter-
zeit erinnerte, ſo bereicherte die naͤhere Anſicht
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mit Bildern der verſchiedenſten Zeiten. In einigen
der kleinen Staͤdtchen laͤngs dem Ufer, in Ander-
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/403>, abgerufen am 28.11.2024.
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