jedem Reisenden rathen, nicht zu Wasser, sondern zu Lande die Rheinufer zu bereisen. Macht er den Weg nach Cölln hinab und wieder zurück -- nun so gehe er einmal zu Wasser, aber das zweite mal lasse er sich nichts abhalten, ihn zu Lande zu ma- chen. Ich glaube, ich kann meinen Satz beweisen. Unten auf dem Rhein sehe ich nur die Ufer, wel- che, da sie hoch und steil sind, nie eine Aussicht, sondern ängstlich beschränkte Ansichten bieten. Für den, der wirkliche Berge und Felsen sah, haben sie dabei nie einen großen Karakter. Die alten Schlösser stellen sie, von unten hinauf gesehen, ohne allen Vorgrund, ohne alle Perspektive, guk- kastenmäßig dar; man übersieht immer nur den kleinen Theil, an den man hinauf sieht, weil die Gegenstände zu nahe sind. Ganz anders erblickt man sie von dem Landweg des linken Ufers -- dort sehe ich in die Thäler hinein, in die Schluch- ten, ich übersehe neben mir die ehrwürdigen Trüm- mer in ihrer Absicht und Zusammenhange; die Fel- sen werden jetzt wirklich groß, denn sie trennen sich nun in einzelne Massen, ich sehe sie herab zu dem Flusse steigen, der tief unter mir hingleitet, und sehe sie über meinem Haupte hoch aufsteigen. Jenseits erblicke ich den ganzen Reichthum abentheuerlicher
jedem Reiſenden rathen, nicht zu Waſſer, ſondern zu Lande die Rheinufer zu bereiſen. Macht er den Weg nach Coͤlln hinab und wieder zuruͤck — nun ſo gehe er einmal zu Waſſer, aber das zweite mal laſſe er ſich nichts abhalten, ihn zu Lande zu ma- chen. Ich glaube, ich kann meinen Satz beweiſen. Unten auf dem Rhein ſehe ich nur die Ufer, wel- che, da ſie hoch und ſteil ſind, nie eine Ausſicht, ſondern aͤngſtlich beſchraͤnkte Anſichten bieten. Fuͤr den, der wirkliche Berge und Felſen ſah, haben ſie dabei nie einen großen Karakter. Die alten Schloͤſſer ſtellen ſie, von unten hinauf geſehen, ohne allen Vorgrund, ohne alle Perſpektive, guk- kaſtenmaͤßig dar; man uͤberſieht immer nur den kleinen Theil, an den man hinauf ſieht, weil die Gegenſtaͤnde zu nahe ſind. Ganz anders erblickt man ſie von dem Landweg des linken Ufers — dort ſehe ich in die Thaͤler hinein, in die Schluch- ten, ich uͤberſehe neben mir die ehrwuͤrdigen Truͤm- mer in ihrer Abſicht und Zuſammenhange; die Fel- ſen werden jetzt wirklich groß, denn ſie trennen ſich nun in einzelne Maſſen, ich ſehe ſie herab zu dem Fluſſe ſteigen, der tief unter mir hingleitet, und ſehe ſie uͤber meinem Haupte hoch aufſteigen. Jenſeits erblicke ich den ganzen Reichthum abentheuerlicher
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jedem Reiſenden rathen, nicht zu Waſſer, ſondern
zu Lande die Rheinufer zu bereiſen. Macht er den
Weg nach Coͤlln hinab und wieder zuruͤck — nun
ſo gehe er einmal zu Waſſer, aber das zweite mal
laſſe er ſich nichts abhalten, ihn zu Lande zu ma-
chen. Ich glaube, ich kann meinen Satz beweiſen.
Unten auf dem Rhein ſehe ich nur die Ufer, wel-
che, da ſie hoch und ſteil ſind, nie eine Ausſicht,
ſondern aͤngſtlich beſchraͤnkte Anſichten bieten. Fuͤr
den, der wirkliche Berge und Felſen ſah, haben
ſie dabei nie einen großen Karakter. Die alten
Schloͤſſer ſtellen ſie, von unten hinauf geſehen,
ohne allen Vorgrund, ohne alle Perſpektive, guk-
kaſtenmaͤßig dar; man uͤberſieht immer nur den
kleinen Theil, an den man hinauf ſieht, weil die
Gegenſtaͤnde zu nahe ſind. Ganz anders erblickt
man ſie von dem Landweg des linken Ufers —
dort ſehe ich in die Thaͤler hinein, in die Schluch-
ten, ich uͤberſehe neben mir die ehrwuͤrdigen Truͤm-
mer in ihrer Abſicht und Zuſammenhange; die Fel-
ſen werden jetzt wirklich groß, denn ſie trennen ſich
nun in einzelne Maſſen, ich ſehe ſie herab zu dem Fluſſe
ſteigen, der tief unter mir hingleitet, und ſehe ſie
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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/402>, abgerufen am 24.11.2024.
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