nen Jahrhunderten, und die Sandhügel in meinem Rücken beschämten mich, und die rauschende Fluth rief: Geschöpfe von gestern her! damals wälzten wir unser Wasser da, wo jetzt der todte Damm uns ohnmächtig trotzt. -- Ich dachte hinüber an das Gestade, wo vom Abend her der Sturm heulte, und wie manches Menschenalter der Mensch hier stand, nicht ahndend, daß dort Brüder lebten, und wie manches Menschenalter hindurch diese Wel- len Brüder zum Brudermord hinüber trugen, und wie das Antlitz der Welt sich wandelte mit ihren Be- wohnern und ihren Schmerzen -- nur diese Wo- gen brüllten fort in ewiger Freiheit, und diese Win- de rauschten dahin in ewiger Nacht. Ich ward so klein und einsam! -- hinter mir der todte Sand- hügel, vor mir das unendliche Meer, und ging meine Fantasie vorwärts, so reichte mir der Ein- wohner von Neufundland zuerst die Bruder- hand.
Der Sturm nahm zu, und ich wollte zu- rückkehren, ehe meine Gefährten mich vermiß- ten, und so sah ich den Strand erst nach einer Stunde wieder, wie das Toben des Windes sich etwas gelegt hatte, um die rückkehrende Fluth zu beobachten.
nen Jahrhunderten, und die Sandhuͤgel in meinem Ruͤcken beſchaͤmten mich, und die rauſchende Fluth rief: Geſchoͤpfe von geſtern her! damals waͤlzten wir unſer Waſſer da, wo jetzt der todte Damm uns ohnmaͤchtig trotzt. — Ich dachte hinuͤber an das Geſtade, wo vom Abend her der Sturm heulte, und wie manches Menſchenalter der Menſch hier ſtand, nicht ahndend, daß dort Bruͤder lebten, und wie manches Menſchenalter hindurch dieſe Wel- len Bruͤder zum Brudermord hinuͤber trugen, und wie das Antlitz der Welt ſich wandelte mit ihren Be- wohnern und ihren Schmerzen — nur dieſe Wo- gen bruͤllten fort in ewiger Freiheit, und dieſe Win- de rauſchten dahin in ewiger Nacht. Ich ward ſo klein und einſam! — hinter mir der todte Sand- huͤgel, vor mir das unendliche Meer, und ging meine Fantaſie vorwaͤrts, ſo reichte mir der Ein- wohner von Neufundland zuerſt die Bruder- hand.
Der Sturm nahm zu, und ich wollte zu- ruͤckkehren, ehe meine Gefaͤhrten mich vermiß- ten, und ſo ſah ich den Strand erſt nach einer Stunde wieder, wie das Toben des Windes ſich etwas gelegt hatte, um die ruͤckkehrende Fluth zu beobachten.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0358"n="344"/>
nen Jahrhunderten, und die Sandhuͤgel in meinem<lb/>
Ruͤcken beſchaͤmten mich, und die rauſchende Fluth<lb/>
rief: Geſchoͤpfe von geſtern her! damals waͤlzten<lb/>
wir unſer Waſſer da, wo jetzt der todte Damm<lb/>
uns ohnmaͤchtig trotzt. — Ich dachte hinuͤber an<lb/>
das Geſtade, wo vom Abend her der Sturm heulte,<lb/>
und wie manches Menſchenalter der Menſch hier<lb/>ſtand, nicht ahndend, daß dort Bruͤder lebten,<lb/>
und wie manches Menſchenalter hindurch dieſe Wel-<lb/>
len Bruͤder zum Brudermord hinuͤber trugen, und<lb/>
wie das Antlitz der Welt ſich wandelte mit ihren Be-<lb/>
wohnern und ihren Schmerzen — nur dieſe Wo-<lb/>
gen bruͤllten fort in ewiger Freiheit, und dieſe Win-<lb/>
de rauſchten dahin in ewiger Nacht. Ich ward ſo<lb/>
klein und einſam! — hinter mir der todte Sand-<lb/>
huͤgel, vor mir das unendliche Meer, und ging<lb/>
meine Fantaſie vorwaͤrts, ſo reichte mir der Ein-<lb/>
wohner von Neufundland zuerſt die Bruder-<lb/>
hand.</p><lb/><p>Der Sturm nahm zu, und ich wollte zu-<lb/>
ruͤckkehren, ehe meine Gefaͤhrten mich vermiß-<lb/>
ten, und ſo ſah ich den Strand erſt nach einer<lb/>
Stunde wieder, wie das Toben des Windes<lb/>ſich etwas gelegt hatte, um die ruͤckkehrende<lb/>
Fluth zu beobachten.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[344/0358]
nen Jahrhunderten, und die Sandhuͤgel in meinem
Ruͤcken beſchaͤmten mich, und die rauſchende Fluth
rief: Geſchoͤpfe von geſtern her! damals waͤlzten
wir unſer Waſſer da, wo jetzt der todte Damm
uns ohnmaͤchtig trotzt. — Ich dachte hinuͤber an
das Geſtade, wo vom Abend her der Sturm heulte,
und wie manches Menſchenalter der Menſch hier
ſtand, nicht ahndend, daß dort Bruͤder lebten,
und wie manches Menſchenalter hindurch dieſe Wel-
len Bruͤder zum Brudermord hinuͤber trugen, und
wie das Antlitz der Welt ſich wandelte mit ihren Be-
wohnern und ihren Schmerzen — nur dieſe Wo-
gen bruͤllten fort in ewiger Freiheit, und dieſe Win-
de rauſchten dahin in ewiger Nacht. Ich ward ſo
klein und einſam! — hinter mir der todte Sand-
huͤgel, vor mir das unendliche Meer, und ging
meine Fantaſie vorwaͤrts, ſo reichte mir der Ein-
wohner von Neufundland zuerſt die Bruder-
hand.
Der Sturm nahm zu, und ich wollte zu-
ruͤckkehren, ehe meine Gefaͤhrten mich vermiß-
ten, und ſo ſah ich den Strand erſt nach einer
Stunde wieder, wie das Toben des Windes
ſich etwas gelegt hatte, um die ruͤckkehrende
Fluth zu beobachten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/358>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.